Hamburg. Der Streit zwischen zwei verfeindeten Zirkusfamilien endet für einen Mann blutig. Doch vor Gericht schweigt er sich über die Tat aus.

„Keine Polizei! Keine Polizei!“ Blutüberströmt stand der Mann da, ganz offensichtlich mit Wunden übersät und schwer gezeichnet. Doch anstatt nach Hilfe und ärztlicher Versorgung zu fragen, war dem Verletzten vor allem eines wichtig: dass die Polizei außen vor bleiben solle. Was steckt hinter diesem rätselhaften Fall, bei dem der Direktor einer Zirkusfamilie und frühere Profi-Boxer Angelo F. attackiert und zusammengeprügelt wurde?

Womöglich werden die Hintergründe dieses Angriffs vom 26. Januar 2021 nie aufgeklärt werden. Am Montag wurden drei Angehörige einer anderen Zirkusfamilie, die im Verdacht standen, für die Tat zulasten von Angelo F. verantwortlich zu sein, vom Schöffengericht freigesprochen. „Wir wissen, dass ein Mann zusammengeschlagen wurde, auf ziemlich üble Weise“, sagte der Vorsitzende in der Urteilsbegründung. „Wir wissen aber nicht, wer es war.“

Gericht Hamburg: Drei Angehörige von Zirkusfamilie wird Prozess gemacht

Schon seit längerer Zeit hatte es geheißen, dass die Zirkusfamilie um Angelo F. und die Zirkusfamilie R., von der jetzt drei 37, 27 und 22 Jahre alten Männer auf der Anklagebank beim Schöffengericht gelandet waren, in Streitigkeiten verwickelt seien. Sogar von einer Feindschaft war die Rede. Doch im Prozess erlebte man eine kollektive Mauer des Schweigens – nicht nur der Angeklagten. Auch Opfer Angelo F. machte deutlich, nicht aussagen zu wollen. „Ich bin nicht verletzt worden“, behauptete der 34-Jährige sogar.

Dabei hätte Angelo F. als Betroffener vermutlich am besten schildern können, was sich an jenem 26. Januar 2021 ereignet hatte. Laut Anklage wurde der Artist „unter Inkaufnahme tödlicher Verletzungen“ attackiert.

Opfer soll vor Kirche aufgelauert worden sein

Im Einzelnen soll ihm vor der Flottbeker Kirche aufgelauert worden sein. Den Ermittlungen zufolge spielte sich die Tat so ab: Während einer der Angreifer ein Autofenster einschlug, soll ein anderer die Beifahrertür aufgerissen haben. Ein dritter habe die Tat gesichert. Nun hätten die zwei Männer am Auto auf den 34-Jährigen eingeprügelt und mindestens zehn Verletzungen an dessen Kopf verursacht. Dabei sollen sie jedenfalls die Fäuste, womöglich auch einen Schlagring eingesetzt haben. Schließlich sei es F. gelungen zu flüchten.

So ähnlich hatte es im Prozess auch eine unbeteiligte Zeugin geschildert und davon gesprochen, dass der Anblick des schwer verletzten Opfers „erschreckend“ gewesen sei. Auch ein Polizeibeamter, der damals als einer der Ersten bei der Flottbeker Kirche angekommen war, erzählte, Angelo F. sei „blutüberströmt“ gewesen. Im Krankenhaus wurden zehn Wunden am Kopf des Mannes genäht. Eine rechtsmedizinische Sachverständige hatte zudem erläutert, dass massiv durch stumpfe Gewalt auf den Kopf des Opfers eingewirkt worden sein müsse.

Gericht Hamburg: Es gibt keine Hinweise auf die Täter

So weit die objektiven Erkenntnisse, soweit man sie treffen konnte. Was fehlten, waren eindeutige Hinweise auf die Täter. „Wir haben keine Fingerabdrücke, keine DNA, nichts“, hatte einer der Verteidiger die Beweislage zusammengefasst. Und man hatte auch keine gerichtlich verwertbare Zeugenaussage des Opfers.

Schon im Ermittlungsverfahren hatte Angelo einen bemerkenswerten Zickzackkurs gefahren. Unmittelbar nach dem Vorfall hatte er gegenüber der Polizei gesagt, er wisse nicht, wer hinter dem Angriff stecke. Einen Tag später wandten der 34-Jährige und dessen Vater sich an eine Polizeistation im Umkreis von Hamburg und erzählten einer Beamtin, sie würden die Täter kennen: nämlich drei Brüder der Zirkusfamilie R. „Ich spürte bei Vater und Sohn Angst“, sagte die Polizeibeamtin als Zeugin.

Gericht Hamburg: Opfer widerspricht sich in seinen Aussagen

Offenbar hatte es zuvor eine Drohung gegen die Familie von Angelo F. gegeben. Sinngemäß hätten die beiden Männer gesagt, wenn einer schon am helllichten Tag mitten in Hamburg angegriffen werde: „Was passiert dann nachts?“ Doch welche dieser Aussagen von Angelo F. nun der Wahrheit entsprach, konnte, nachdem der Zeuge sich vor Gericht für eine Totalverweigerung entschieden hatte, nicht ermittelt werden.

Weil sich die Geschehnisse nicht aufklären ließen, beantragte nicht nur die Verteidigung, sondern zuvor auch die Staatsanwaltschaft einen Freispruch für die drei angeklagten Zirkusleute. Aus ihrer Sicht spreche schon einiges dafür, dass die Angeklagten diejenigen waren, die auf Angelo F. einprügelten, so die Staatsanwältin.

Doch beweisen lasse sich das nicht – insbesondere, weil der Verletzte bei seinen Aussagen „eine 180-Grad-Wende gemacht“ habe. Und auch der Richter betonte, gerade bei Widersprüchen in Zeugenaussagen müssten diese „besonders kritisch gewürdigt werden“. Diese Möglichkeit gab es hier nicht.