Hamburg. Seit 30 Jahren kämpft Nadja Uhl gegen Stereotype in ihrem Beruf. Jetzt ist sie in einer Serie über Vereinigungskriminalität zu sehen.

Sie ist geradeheraus, sagt offen, was sie denkt, und hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Das hat Nadja Uhl mit vielen ihrer Rollenfiguren gemein, die ihr auch oft auf den Leib geschrieben werden. Wie nun die Kommissarin Karo Schuber, die in der neuen ARD-Serie „ZERV – Zeit der Abrechnung“ mit eben jener Sondereinheit zusammenarbeiten soll, die der Serie den Titel gibt: Die Zentralstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, die 1992, also kurz nach der Wende, eingerichtet wurde, aber dann Ende 2000 wieder eingestellt wurde – weil sie wohl zu viel herausbekommen hätte. Selbst von der Existenz dieser Einheit wissen bislang nur wenige.

Ich muss gestehen, ich habe vor der Serie noch nie von der ZERV gehört. Wussten Sie, dass es die gab?

Nadja Uhl: Nein, mir geht es da genauso wie vermutlich allen. Ich hatte zuvor mit Gabriela Sperl die Serie „Der Preis der Freiheit“ gemacht, darin ging es, wenn Sie sich erinnern, um drei Schwestern zwischen der DDR und der BRD. Sie hatte da noch viel Material übrig und erzählte von einer Sonderkommission, die gegen Regierungs- und Vereinigungskriminalität ermittelte. Dass es das gab, kann jemanden, der sich ein wenig politisch interessiert, im Jahr 30 nach der Wende nicht mehr wirklich erstaunen. Aber dass sie ZERV hieß und was sie konkret machte, das wusste ich auch nicht.

Sie spielen eine Kommissarin aus dem Osten, die sich nichts sagen lässt. Das wirkt, als sei Ihnen die Rolle auf den Leib geschrieben.

Nadja Uhl: Ich arbeite seit Jahren mit Gabriela Sperl zusammen, das ist wirklich eine wunderbare Partnerschaft. Aber diesmal habe ich mich aus der Recherche komplett herausgehalten. Es gab dann ein erstes, sauberes, eher klassisches Drehbuch. Aber das war mir zu nüchtern, zu humorlos. Wegen des Lockdowns konnten wir dann im Sommer nicht drehen, da habe ich dem Regisseur Dustin Loose und der Autorin Kim Zimmermann geschildert, welche Probleme ich damit habe. Ich habe noch gedacht: Was willst du diesen deutlich jüngeren, westlich sozialisierten Menschen erzählen? Die werden nicht verstehen, dass man in solchen geschlossenen Systemen auch einen großen Galgenhumor entwickelt. Aber nach einer Woche hatte ich ganz starke Bücher auf dem Tisch.

Die Serie deckt ein Kapitel von politischer Kriminalität auf, über das offensichtlich mit Absicht ein Mantel des Verschweigens und Verdeckens gedeckt wurde. Wie stehen Sie zu dieser Erinnerungskultur?

Nadja Uhl: Die Kulturgeschichte der Menschheit als höheres Wesen beruht auf der Reflexion unseres Seins. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn man irgendeinen Anspruch an ein bewusstes Sein hat: dass man sich hinterfragt, wo kommen wir her, welche Spuren wollen wir hinterlassen, was zeichnet mich als Mensch aus. Insofern ist Erinnerungskultur fundamental – nicht nur gesellschaftlich, auch im Kleinen. Wenn man sich im eigenen Leben mit der Geschichte der Familie auseinandersetzt, mit der eigenen Toleranz oder Intoleranz, das ist für mich wahrhaftig. Da kann noch so viel gepredigt werden, wie es sein sollte und was politisch korrekt ist. Aber erst in der Eigenverantwortung für das eigene Glück, für die eigene Vergangenheit und Zukunft kann es Frieden geben. Wenn ich mein Gegenüber herabwürdige, weil Stereotype mir vermeintlich aus meinen eigenen Minderwertigkeitskomplexen heraushelfen, dann muss ich klären, wo der Mangel in mir ist. Insofern ist Erinnerungskultur ganz wichtig. Und wir Schauspieler erleben ja ein Berufsleben lang Vergangenheitsbewältigung, weil wir immer wieder solche Rollen und Konflikte durchspielen. Und ich werde dessen auch nicht müde, das gehört für mich zu meinem Auftrag, zu meiner Identität als Künstlerin, zu reflektieren und infrage zu stellen, streitbar zu sein.

Kurz nach der Wende gab es erst mal gar keine Geschichten über die DDR, dann lange nur Ostalgie-Komödien. Die wirkliche Aufarbeitung begann erst spät, mit Filmen wie „Gundermann“ oder Serien wie „Weissensee“. Braucht es erst eine gewisse Zeit, um davon erzählen zu können?

Nadja Uhl: Die Frage kommt oft auf. Ich habe aber keine Antwort darauf. Es kommt mir aber so vor, als sei das ganz primitiv: Die Sieger schreiben die Geschichte. Man muss fragen, wer die Sieger sind. Gerade nach unserer Serie.

Als die ZERV vor 21 Jahren geschlossen wurde, ging ein wichtiges Instrument zur Aufarbeitung verloren. Ein Fehler?

Nadja Uhl: Es gibt halt immer Interessenlagen. Wir als Künstler treten ja auch nicht an, um einfache Schuldzuweisungen zu geben. Aber wenn wir von solchen Strukturen erzählen, wäre es ziemlich naiv zu denken, nach den acht Jahren Arbeit der ZERV habe alles aufgehört. Man muss eher fragen, warum hat die Arbeit nach acht Jahren aufgehört? Und warum hat bis heute keiner von der ZERV gehört? Es geht halt um Macht und Geld. Und darum, wer am längeren Hebel sitzt. Und für uns Künstler stellt sich die Frage, wie lange dürfen wir als Hofnarren agieren und auf solche Missstände aufmerksam machen. Egal, wie viel Dreck unterm Teppich steckt, er ist erst weg, wenn er bereinigt wird. Deshalb könnten wir diese Themen noch unendlich beackern.

Sie sind so was wie die Filmanwältin der kleinen Leute im Osten, die sich nicht unterkriegen lässt. Und immer auch mit Berliner Schnauze. Suchen Sie sich das so aus oder wird das an Sie herangetragen?

Nadja Uhl: Ich glaube, ab einer gewissen Zeit in der Branche ist man auch sein eigenes wandelndes Klischee. Da wissen alle, die erfüllt dieses Fach ganz gut. Wobei ich daran erinnern möchte, dass ich in „Männerherzen“ oder „Sommer vorm Balkon“ auch andere weibliche Typen bedient habe. Aber ich bin eigentlich froh, dass man sich nicht immer wieder alles erkämpfen muss. Dass einem im 30. Berufsjahr auch eine gewisse Intelligenz zugemutet wird. 30 Jahre Kampf gegen Stereotype – das geht ja nicht nur mir so. Aber dann gibt es plötzlich so jüngere Menschen, die plötzlich verstehen, was man meint.

Von „ZERV“ gibt es sechs Folgen. Könnte es weitere Staffeln geben?

Nadja Uhl: Ich hoffe, ich hoffe, ich hoffe. Es ist so schwierig, wenn man sich so viel Mühe gibt und es so wenig Aussagen gibt, ob man vielleicht weitermacht. Das würde ja auch wahnsinnig Geld sparen, wenn man daran anknüpft. Man muss nicht wieder ein Fundament bauen und recherchieren. Das wäre auch mal effizient. (lacht) Jetzt habe ich die letzte, die wirtschaftliche Karte gezogen. Sie haben’s durchschaut, aber ich gebe es auch zu.

„ZERV – Zeit der Abrechnung“ 20.15 Uhr, Das Erste