Hamburg. Vor drei Jahren stürzten zwei Männer in die Tiefe, weil ein Balkongitter abgebrochen war. Jetzt stehen drei Angeklagte vor Gericht.

Sein Leben, sagt Fabian B., ist „komplett auf den Kopf gestellt“. Alle Zukunftspläne dahin, die allermeisten Freuden auch, die Gesundheit ist zerstört. Der 30-Jährige kann nur mit Mühe einige wenige Schritte gehen, und dabei muss er sich schwer auf Krücken stützen. Der Tag, der sein Leben in ein Davor und ein Danach zerschnitt, war der 16. Juni 2016. Es sollte ein fröhlicher Fußballabend mit Freunden werden. Statt dessen erlebte der Mann eine persönliche Katastrophe.

Lesen Sie auch:

Balkonsturz: Die drei Angeklagten schweigen

Fabian B. stürzte vom Balkon einer im ersten Stock gelegenen Wohnung und prallte dabei so mit dem Rücken auf der Kante eines Tisches auf, dass er eine inkomplette Querschnittslähmung erlitt und seitdem zu 100 Prozent schwerbehindert ist. Hätte dieses Drama verhindert werden können? Ja, sagt die Staatsanwaltschaft, die drei Männer wegen des Unglücks der fahrlässigen Körperverletzung angeklagt hat. Das Geländer des Balkons, auf den Fabian B. seinerzeit zusammen mit Freunden trat, gab nach und brach heraus, so dass der 30-Jährige und ein weiterer Mann in die Tiefe stürzten.

Das Geländer sei „offensichtlich baufällig“ gewesen und habe zunehmend Rost angesetzt, heißt es in der Anklage. Den beiden Vorständen der zuständigen Wohngenossenschaft, Hardy H. (61) und Sönke S. (55), wirft die Staatsanwaltschaft vor, es als Verantwortliche versäumt zu haben, das Gebäude von fachkundigem Personal auf Sicherheitsmängel kontrollieren zu lassen. Der Hauswart Rene P. (48) hat laut Anklage erforderliche Instandsetzungsarbeiten nicht in Auftrag gegeben. Der zweite Mann, der bei dem Unglück ein Stockwerk tief hinunterfiel, ist der Mieter der Wohnung. Er erlitt Prellungen und eine Ellbogenverletzung. Die drei angeklagten Männer wollen zunächst nichts sagen.

Fabian B. und sein Freund stürzten hinab

Es war während der ersten Halbzeit an jenem Fußball-Fernsehabend, als Fabian B. und drei seiner Kumpel auf den Balkon der Wohnung gingen, um zu rauchen. Um einem Freund Platz zu machen, erinnert sich der groß gewachsene Mann jetzt im Prozess, lehnte sich der Hamburger ans Geländer. Das riss aus der Verankerung, Fabian B. und sein Freund stürzten hinab. „Im Nachhinein denke ich: Warum bin ich überhaupt rausgegangen und habe nicht weiter Fußball geguckt?“, fragt Fabian B bitter. „Nie hätte ich gedacht, dass das Geländer weg bricht!“ Sein Leben wäre heute ein anderes, ganz sicher besseres.

„Ich bin auf dem Marmortisch aufgekommen“, schildert der 30-Jährige weiter. Bis der Krankenwagen kam, sei es ihm „wie eine Ewigkeit“ vorgekommen. In der Klinik sei er zweimal operiert worden, und es habe sich eine Sepsis entwickelt. „Ich lag elf Tage im Koma.“ Sein Vater habe ihm erzählt, dass dieser von den Ärzten gebeten wurde, „er solle die Familie zusammentrommeln. Weil man nicht weiß, ob ich das überlebe.“

Fabian B. hat zum Speditionskaufmann umgeschult

Seitdem versucht der Mann, „überhaupt wieder in die Spur zu kommen“. Den Traum, nach einer Weiterbildung zum Techniker regenerative Energie in diesem Beruf zu arbeiten, musste Fabian B. aufgeben, weil er wegen seiner starken körperlichen Einschränkungen beim Gehen nur noch einen Job im Sitzen ausüben kann und jetzt zum Speditionskaufmann umgeschult hat. „Mein komplettes Leben hat sich verändert.“ Sein Behindertenausweis weißt unter anderem ein „H“ aus — für „hilflos“, erklärt der Zeuge.

Auch seinen Hobbys, dem Fußballspiel, Football und Basketball, kann er nicht mehr nachgehen. Seine Wohnung musste behindertengerecht umgebaut werden. Der bescheidene Erfolg nach jahrelangem intensiven Training: Er kann jetzt wenige Meter gehen. Die mangelnde Möglichkeit, sich ausreichend zu bewegen, hat auch weitere, deutlich sichtbare Spuren an seinem Körper hinterlassen. Fabian B. legte 40 Kilo an Gewicht zu.

Fabian B. wischt sich Tränen aus den Augen

Was ihm bei seinem Weg durchs Leben helfe, möchte der Amtsrichter von dem 30-Jährigen wissen. Fabian B. muss einen Augenblick überlegen. Seinerzeit im Krankenhaus habe er sehr schwere Fälle gesehen, Leute, denen es noch viel schlechter ging als ihm. Wenigstens ein klein wenig die Füße voreinander setzen zu können, sei schon etwas Positives, meint der Zeuge. Und er erhalte viel Unterstützung von seiner Familie, sagt er, ringt sichtlich um Fassung und wischt sich Tränen aus den Augen.

Bisher, berichtet der Anwalt von Fabian B., habe sein Mandant noch keinerlei zivilrechtliche Entschädigung erhalten. Eine solche zu bekommen, etwas Geld, das auch sein Zurechtkommen im Alltag erleichtern würde, das erhofft sich Fabian B. schon. „Weil mein Leben viel weniger lebenswert sein wird, als es hätte sein können.“ Der Prozess wird fortgesetzt.