Ja, wir alle sind schockiert über den Tod von George Floyd. Doch wissen wir wirklich, was Rassismus in einem Menschen auslöst?

Das Video, das den Todeskampf des Afroamerikaners George Floyd zeigt, hat mich verstört und fassungslos zurückgelassen. Der Aufschrei, der weltweit folgte, hat mich so sehr beeindruckt, dass ich vor einer Woche eine Kolumne über ihn geschrieben habe.

Danach habe ich mich gefragt: Hast du eigentlich begriffen, was du da zu Papier gebracht hast? Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, was es bedeutet, mit schwarzer Hautfarbe geboren worden zu sein? Hast du als weiße deutschstämmige Journalistin überhaupt das Recht, über das Leid einer unterdrückten Bevölkerung zu urteilen?

Keine Ahnung, wie sich Rassismus anfühlt

In meinem Leben habe ich schon einige fremde Länder bereist – und trotzdem keinen blassen Schimmer, wie sich Rassismus anfühlt. Mir wurde noch nie ein Mietvertrag wegen meines Nachnamens verwehrt. Meine Bewerbung blieb niemals wegen meiner Hautfarbe unbeantwortet. Der Türsteher vor dem Club hat mich nie abgewiesen, weil ihm mein Äußeres nicht passte.

Ich bin damit aufgewachsen, dass die Polizei mein Freund und Helfer ist. Wenn ich sie rufe, habe ich Gewissheit, dass mir geholfen wird. Noch nie haben sich andere Menschen in der U-Bahn mit gerümpfter Nase von mir weggesetzt. Noch nie wurde ich am Flughafen gründlicher durchleuchtet als andere Passagiere, weil meine Hautfarbe unter Generalverdacht steht. Nein, ich habe keine Vorstellung davon, was es in einem auslöst, von Fremden beleidigt zu werden, obwohl sie einen gar nicht kennen. Denn ich bin nur die weiße Journalistin, die Texte über Rassismus schreibt.

Bessere Chancen in der Welt – reines Glück

Mir war lange nicht bewusst, wie privilegiert ich bin, weil ich von Weißen abstamme. Dafür muss man sich nicht entschuldigen, aber man sollte es zu schätzen wissen. Rein gar nichts habe ich dafür geleistet, bessere Chancen in dieser Welt zu erhalten. Das war reines Glück. Mit viel Empathie kann ich versuchen, mich in schwarze und andere rassistisch diskriminierte Menschen hineinzuversetzen – aber wirklich nachempfinden kann ich ihren Schmerz vermutlich nie.

In meinem Kopf rattert es. Ich versuche, mich an Situationen zu erinnern, in denen ich Rassismus erfahren habe. Doch mir fällt nichts ein. Natürlich weiß ich, wie mies sich andere Diskriminierung anfühlt. Etwa Vorwürfe wie diese: Die Kolumne dürfe ich schließlich nur schreiben, weil ich ganz nett lächeln kann. Viel vom Leben verstünde ich aber trotzdem nicht, weil ich dafür noch zu jung sei. Aber das sei sowieso egal, denn ich sei eine Frau, früher oder später säße ich zu Hause und müsse mich um die Kinder kümmern.

Das sind erträgliche Einzelfälle. Die meiste Zeit meines Lebens begegnen mir andere Menschen offen und mit Liebe. Habe ich mir eigentlich ausreichend Zeit genommen, um dankbar dafür zu sein?

Über das Gefühl schreiben, weiß zu sein

Der schwarze Journalist Malcolm Ohanwe, der in München geboren wurde, hat bei Twitter Kollegen dazu aufgerufen, nicht einfach einen weiteren Text über Rassismus zu kopieren. In Medien berichten derzeit schwarze Betroffene von ihren Erfahrungen, die zumeist von weißen Experten eingeordnet werden. Ohanwe fordert stattdessen, über das Gefühl zu schreiben, weiß zu sein: „Eure Gehirne werden rattern, und es wird wahnsinnig schwer sein, kluge und gute Texte zu schreiben über das Weißsein, weil viele von euch sich noch niemals damit auseinandergesetzt haben (...). Ihr werdet Fehler machen, aber try!“

Unter dem Hashtag #KritischesWeißsein teilen seitdem Menschen die Momente, in denen sie gemerkt haben, privilegiert zu sein. Auch ich habe Angst, Fehler in diesem Text zu begehen – der größte wäre aber, ihn nicht zu schreiben.

Rassistische Denkweisen zu hinterfragen ist unbequem

Es ist einfach, „Black lives matter“ zu skandieren. Solidarität im Alltag wirklich zu leben erfordert Mut. Eigene rassistische Denkweisen zu hinterfragen ist unbequem. Die meisten Menschen verlassen ihre Komfortzone nur ungern. „Warum gehen die Leute in Hamburg demonstrieren, wenn ein Schwarzer in den USA umgebracht wurde? Was geht uns das an?“, fragt manch einer, während er im Garten seinen Tomatenstauden beim Wachsen zusieht.

Sie, die noch nie Rassismus erlebt haben, wollen Mitbürgern erklären, wie man richtig mit Wut und Trauer umzugehen hat: Demonstrieren ist okay, aber bitte nicht während der Corona-Pandemie, danach hören wir euch wieder zu, versprochen. Versprochen?