Hamburg. St. Paulis Trainer Luhukay tauscht vier Spieler auf einmal und zeigt sich nach dem 0:4 in Darmstadt dünnhäutig.

Am Morgen nach der höchsten Saisonniederlage liefen die Fußballprofis des FC St. Pauli bei Regenschauern und Windböen überwiegend schweigend ihre Runden auf den beiden Rasenplätzen an der Kollaustraße. Die äußeren Umstände passten zur Stimmung. Der Ball kam bei dieser Regenerationseinheit rund 20 Stunden nach dem ernüchternden 0:4 beim SV Darmstadt 98 gar nicht erst ins Spiel.

Was man mit dem Spielgerät an sinnvollen Dingen anfangen kann, hatten die Hamburger Profis schon am Sonnabend offenbar vergessen. Eine knappe Woche nach dem 1:0-Sieg gegen Nürnberg zum Wiederbeginn der Zweiten Liga nach der Corona-Pause leistete sich das Team insbesondere in der Schlussphase den schlechtesten Auftritt in der gesamten Saison.

Doch nicht allein die beteiligten Spieler, die in fußballerischer, aber auch athletischer Hinsicht weit unter ihrer individuellen Normalform blieben, waren für das Debakel im leeren Stadion am Böllenfalltor verantwortlich. Im Fokus stand auch Trainer Jos Luhukay, der sowohl mit seiner Startelf als auch später mit seinem Rekordwechsel, als er gleich vier neue Spieler auf einen Schlag auf das Feld brachte, Unverständnis hervorrief.

Luhukay tauschte gleich vier Spieler auf einmal aus

Hatten sich die Beobachter am Tag vor dem Spiel nach einigen interpre­tationsfähigen Aussagen Luhukays noch die Frage gestellt, ob in der Offensive doch wieder der gegen Nürnberg früh ausgewechselte Dimitrios Diamantakos oder Siegtorschütze Viktor Gyökeres an der Seite von Henk Veerman in der Startformation stehen würde, war die mit der Bekanntgabe der Aufstellung gegebene Antwort eine völlig unerwartete. Gyökeres durfte spielen, aber anstelle des für gesetzt gehaltenen Veerman bekam der bisher torlose Boris Tashchy erst zum zweiten Mal in dieser Saison einen Startelfeinsatz.

Diese taktische Zockerei ging nicht auf, Tashchy konnte seine Chance zur Eigenwerbung nicht nutzen, offenbarte wieder seine bekannten technischen Mängel und ließ sich bei seiner einzigen echten Torchance so viel Zeit, dass ihm der Ball noch vom Fuß gespitzelt wurde.

Lesen Sie auch:

Doch anders als beim 1:0 gegen Nürnberg mit der frühen Herausnahme von Diamantakos korrigierte Luhukay seinen Fehlgriff nicht schon im Laufe der ersten Halbzeit, ja noch nicht einmal zur Pause. Diese für ihn ungewöhnliche Zögerlichkeit ermöglichte ihm immerhin, sich in der 61. Minute einen kleinen Eintrag in die Geschichte des deutschen Profifußballs zu sichern. Er tauschte gleich vier Spieler auf einmal aus. Das hatte es in einem Pflichtspiel noch nie gegeben. Die erst seit dem Neustart geltende Corona-Sonderregel, die insgesamt fünf Wechsel erlaubt, hatte bis dahin keiner von Luhukays Kollegen für einen solchen Massentausch genutzt.

Truppe glich nach dem Wechsel einem aufgescheuchten Hühnerhaufen

Ein cleverer Schachzug war die historische Aktion allerdings nicht. Hatte sein Team in der ersten Halbzeit nach dem frühen 0:1-Rückstand durch Honsak noch recht ordentlich ins Spiel gefunden, glich die Truppe nach dem Vierfachwechsel nur noch einem aufgescheuchten Hühnerhaufen. Die drei Gegentreffer innerhalb von 15 Minuten waren die lo­gische und schmerzhafte Konsequenz.

Auf die berechtigte Frage, ob er sich mit der unerwarteten Startformation ohne Torjäger Veerman und mit dem Rekordtausch nach einer Stunde „verwechselt“ habe, antwortete Luhukay schnippisch: „Wenn man das so sehen will, dann habe ich das Spiel verloren.“

Auf die Nachfrage, was ihn denn zum Austausch von 40 Prozent seiner Feldspieler auf einem Schlag bewogen habe, sagte der Trainer: „Ich habe keine Lust, über die Wechsel zu sprechen. Alles hat seinen Grund, aber ich muss nicht jedes Detail erklären.“ Mit dieser Weigerung, wenigstens in Ansätzen seine Gründe zu nennen, vergab Luhukay seine Chance, wenigstens für ein gewisses Verständnis für sein Handeln zu werben.

Der Auftritt von Darmstadt lässt Schlimmstes befürchten

Mit dem Debakel von Darmstadt beendete St. Pauli jäh seine kleine Serie von fünf Spielen ohne Niederlage in Folge, fiel wieder zurück in die untere Tabellenhälfte und hat weiter nur fünf Punkte Vorsprung auf den Abstiegs-Relegationsplatz 16. „Ich habe noch nicht einmal über den Abstiegskampf gesprochen und werde auch jetzt nicht darüber sprechen“, setzte Luhukay bei der virtuellen Pressekonferenz nach dem Spiel seine von Trotz geprägten Aussagen fort. Dabei muss auch ihm klar sein, dass es an der Situation seines Teams sieben Spieltage vor Schluss nichts ändert, ob er nun eine Vokabel wie Abstiegskampf und Klassenerhalt benutzt oder eben nicht.

Seine Spieler sind da weniger zurückhaltend. „Das Ziel ist, am Ende der englischen Woche ein größeres Polster auf die unteren Ränge zu haben als jetzt“, sagte Torwart Robin Himmelmann, der im Spiel seinen Frust darüber herausbrüllte, dass seine Vorderleute ihre Abwehrarbeit grob fahrlässig verrichteten. „Wir müssen uns steigern. Auch gegen Heidenheim und in Karlsruhe wird so eine Leistung nicht reichen, um Punkte zu holen.“ Diese Sätze können als Alarmruf eines Spielers verstanden werden, der in den vergangenen Jahren fast regelmäßig mit der Abstiegsgefahr seines Team konfrontiert war.

In diesem Jahr kommt eine brisante Konstellation hinzu, die am Ende fatal sein könnte. In Darmstadt setzte Luhukay nicht weniger als sechs der zehn Spieler ein, die nach jetzigem Stand am Saisonende Abschied vom Millerntor nehmen, darunter auch Diamantakos, dessen Wechsel zu Hajduk Split feststeht. Ob diese sich bis zum Schluss so vehement gegen den drohenden Abstieg wehren werden, wie es andere in vielen Jahren zuvor taten, ist nicht sicher. Der Auftritt von Darmstadt lässt jedenfalls Schlimmstes befürchten.