Hamburg. Nabu hat am Grund der Ostsee großflächige Strukturen der geschützen Riffe nachgewiesen. Ministerium äußert Zweifel.

Der Naturschutzbund (Nabu) hat nach eigenen Angaben Riffe großen Ausmaßes im geplanten Korridor des Fehmarnbelttunnels gefunden. Eine von der Umweltorganisation durchgeführte Biotopkartierung habe ergeben, dass zumindest ein Teil des Seebodens auf dieser Trasse nicht – wie in der Planfestellung zugrundeliegenden Umweltverträglichkeitsstudie angegeben – aus Sand und Schlick bestehe. „Dort gibt es Quadratkilometer große und artenreiche Riffe“, sagt der Leiter des Bereichs Meeresschutz beim Nabu, Kim Detloff. Gebiete wie diese seien durch das Bundesschutzgesetz und die europäische Flora-Fauna-Habitatrichtlinie streng geschützt, fügt Nabu-Meeresschutzexpertin Anne Böhnke-Heinrichs hinzu. Sie setzte sich eine lange Zeit akribisch mit dem Thema auseinander und fand Ungereimtheiten in den Unterlagen und Gutachten des Vorhabenträgers Femern A/S.

Letztlich entschied sich der Nabu dazu, selbst nachzuforschen, welche Strukturen sich am Boden der Trasse befinden. Dem Umweltverband zufolge kommen neun von 16 rifftypischen am Fehmarnbelt vor. Zu finden seien dort unter anderem Tange, Schwämme, Moostierchen, Miesmuscheln und Großfische. „Die Taucher haben dort außerdem eine sehr hohe Dichte an Plattfischen festgestellt, wie sie sonst nicht in der Ostsee zu beobachten ist“, sagt Bönke-Heinrichs. Das zeige aber nicht die gesamte Vielfalt, sondern nur eine Momentaufnahme. Die entdeckten Riffe liegen direkt vor Puttgarden, dem Startpunkt für den Fehmarnbelttunnel, und wurden von zwei Routen aus befahren. Warum vorher keiner auf die Riffe gestoßen ist, fragt sich Kim Detloff: „Entweder es war ein Versehen, es wurde gepfuscht oder das Land hat mit der Ausweise seiner eigenen Meeresschutzgebiete den Weg für das Projekt Fehmarnbelttunel erst freigemacht.“

Entsprechende Unterlagen lägen dem Ministerium noch nicht vor

Laut Joschka Touré, Sprecher des Umweltministeriums in Schleswig-Holstein, seien dem Land zum Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses in dem Korridor keine Riffe bekannt: „Der Nabu hat nun einige Punktaufnahmen gemacht und nach dortiger Auffassung relevante „Strukturen“ gefunden.“ Die Aussagen des Nabu könnten vom Umweltministerium nicht abschließend bewertet werden, da die Organisation die entsprechenenden Unterlagen noch nicht vorgelegt habe. Das Vorkommen von „Strukturen“ im Bereich der Trasse sei noch kein ausreichender Hinweis darauf, dass es sich um ein Riff handle.

Ein solches müsse nach internationalen Vorgaben eine Mindestgröße von 1000 Quadratmetern aufweisen. „Das Vorkommen lediglich einzelner Steine würde nach bestehender Biotopverordnung nicht als Riff gewertet werden können“, so Touré. Soweit es sich tatsächlich um Riffe im Sinne der FFH-Richtlinie handeln sollte, seien diese Vorkommen zunächst nur innerhalb des Netzes Natura 2000, einem zusammenhängendes Netz von Schutzgebieten innerhalb der Europäischen Union, rechtlich bedeutsam und in der Planung zu berücksichtigen. „Innerhalb des Trassenverlaufes sind in Schleswig-Holstein keine entsprechenden Schutzgebiete ausgewiesen“, so Touré. Es lägen dem Ministerium bislang keine Hinweise vor, die die Ausweitung des Netzes Natura 2000 auf den Bereich des Trassenverlaufes erforderlich machen.

Nabu: "Verstoß gegen deutsches und europäisches Recht"

Kann dieser Fund den Bau des Tunnels also überhaupt gefährden? „Wir sehen hier eindeutig einen Verstoß gegen deutsches und europäisches Recht. Aus diesem Grund ist aus unserer Sicht die Baugenehmigung fehlerhaft“, so Bönke-Heinrichs. Die Riffe sind daher bereits Teil der Klage, die der Nabu im Juli zusammen mit sieben weiteren Klägern beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht hatte. Die Leipziger Richter seien nun gefragt, die Vollständigkeit und Rechtmäßigkeit der Genehmigung zu überprüfen. Die Umweltorganisation habe nämlich gegenüber der Genehmigungsbehörde schon frühzeitig angemerkt, dass Riffe im Bereich der Trasse vorhanden sein könnten, sagt Bönke-Heinrichs: „Die Bundesbehörde hat es einfach verpasst, dem nachzugehen. Das stellt auch die gesamte Genehmigungspraxis infrage.“

Femern A/S sieht in der vorgelegten Kartierung hingegen keinen neuen Sachstand. „Die Ausführungen des Nabu kennen wir. Aber wir halten sie nicht für geeignet, an der Rechtmäßigkeit der Planfeststellung zu zweifeln“, sagt Femern-Sprecherin Inga Karten. Zu der Frage, ob die vom Nabu entdeckten Riffe in den Planfeststellungsunterlagen berücksichtigt wurden, gibt es von dem Unternehmen aufgrund laufender Verfahren keine Auskunft.

Malte Siegert, Nabu-Fehmarnbelt-Experte, fordert bei solchen Projekten besonders in einem Punkt Besserung: „Unabhängige Genehmigungsbehörden müssen auch unabhängige Gutachter beauftragen. Sonst führt es natürlich dazu, dass die Ergebnisse nicht gerade neutral sind.“ Je nachdem, wer diese Gutachten durchführt, kämen Natur- und Umweltschutz „nicht unter die Räder“.