Hamburg/Kopenhagen. Aus acht Meter Höhe stürzt Tetiana Korenieva in die Tiefe und bricht sich mehrere Halswirbel. Nun sammelt ihr Freund für ihre Therapie.

Es ist ein ganz normaler Mittwoch, an dem sich das Leben von Tetiana Korenieva für immer verändert. Die junge Hamburger Artistin fühlt sich gut an diesem 1. August, schwingt sich routiniert in die Kuppel des dänischen Cirkus Arena, der gerade in Hornbæk nördlich von Kopenhagen gastiert. Gekonnt lässt sich die 24-Jährige, die alle im Zirkus nur Tanja nennen, an langen, weißen Bändern hinabgleiten, dreht sich um die eigene Achse, schwebt scheinbar schwerelos in der Luft. Es ist eine Nummer, die sie in- und auswendig kennt, schon Hunderte Male so oder ähnlich gezeigt hat.

Stahlseil reißt während der Vorstellung

Da geschieht das Unfassbare: Ein Stahlseil, das die gebürtige Ukrainerin eigentlich sichern soll, reißt – Tetiana Korenieva stürzt etwa acht Meter in die Tiefe. Schwer verletzt wird sie mit einem Rettungshubschrauber nach Kopenhagen ins Krankenhaus geflogen. Von einem Augenblick auf den anderen ist die Karriere der Artistin vorbei.

„Es ist ein Wunder, dass ich diesen Sturz überhaupt überlebt habe“, erzählt die 24-Jährige dem Abendblatt am Telefon, während sie in der Wohnung ihres Freundes Sebastian Hofmann in Barmbek-Süd sitzt. Tetiana muss rund um die Uhr eine dicke Halskrause tragen, kann nur durch einen Strohhalm trinken. Das Reden hat sich die junge Frau in den vergangenen Wochen erst wieder mühsam zurückerobern müssen.

Acht Stunden Operation

Eine achtstündige Notoperation hat sie in Kopenhagen hinter sich. Fast alle Wirbel im Hals sind gebrochen, einige mussten mit Titanplatten verstärkt werden, dazu kommt noch eine Fraktur ihres linken Beckens. Den linken Arm kann die Artistin aufgrund von Nervenschäden nur bedingt bewegen, in den Fingern fehlt ihr das Gefühl. Sie muss täglich mehrere starke Schmerzmittel nehmen.

 Tetiana Korenieva bei einem ihrer Auftritte am Seil
Tetiana Korenieva bei einem ihrer Auftritte am Seil © Tetiana Korenieva

Ein wenig kann Tetiana mithilfe eines Rollators in der Wohnung umhergehen. Ihr Freund Sebastian hilft ihr so gut es geht bei der Bewältigung des Alltags. „Zähneputzen, Haarewaschen, alles ist eine große Herausforderung für mich“, sagt die 24-Jährige. Ob die junge Frau ihren Hals je wieder drehen kann, wird sich erst in einigen Monaten zeigen. Dann kommt auf die Artistin möglicherweise noch eine weitere große Operation zu.

Keine Krankenversicherung

Doch zu den massiven körperlichen Schwierigkeiten kommen noch große finanzielle Sorgen. Tetiana hatte nur für kurze Zeit eine dänische Krankenversicherung, seit sie wieder in Hamburg ist, muss sie alle Rechnungen für Physiotherapie, Medikamente, Arztbesuche und mögliche weitere Operationen selbst bezahlen. Eine deutsche Krankenversicherung habe sie als ukrainische Staatsbürgerin nicht abschließen können, sagt ihr Freund. „Daher kommen nun mehrere Zehntausend Euro Kosten auf uns zu." Der Cirkus Arena lehne jegliche soziale Verantwortung für das Unglück ab. Wer die Schuld an dem Unglück trägt, wird derzeit noch ermittelt.

Vor diesem Hintergrund hat Hofmann eine Spendenkampagne auf der Crowdfunding-Plattform GoFundMe gestartet. Unter dem Stichwort „Help Tanya Dance Again“ versucht er, 70.000 Euro für die weitere Behandlung seiner Freundin zusammenzubekommen. Rund 12.800 Euro an Spenden sind bislang eingegangen, vor allem von Menschen aus Dänemark.

Crowdfunding für soziale Projekte

Die amerikanische Plattform GoFundMe ist seit einem Dreivierteljahr in Deutschland aktiv, hat sich ausschließlich auf soziale Projekte spezialisiert. „Bevor wir eine Kampagne annehmen, checken wir den kompletten Hintergrund, achten darauf, dass die Gelder an die richtige Adresse kommen“, sagt Sprecherin Ilka Franzmann. Auch dem Abendblatt liegen mehrere medizinische Berichte über den Gesundheitszustand von Tetiana Korenieva vor.

Nicht ganz klar ist allerdings, warum die Artistin schon jetzt Dänemark verlassen hat, wo sie zumindest noch bis Anfang Oktober versichert gewesen wäre. Nach Abendblatt-Informationen hatte der Cirkus Arena der Artistin angeboten, dort noch länger zu wohnen. Nach Angaben ihres Freundes hätte sie dann aber weiter mit dem Zirkus herumreisen müssen, was in ihrem Gesundheitszustand unzumutbar gewesen sei.

Bei Roncalli in Hamburg kennengelernt

Für Sebastian Hofmann ist die junge Artistin seine große Liebe. Die beiden haben sich im Frühjahr vergangenen Jahres kennengelernt. Da arbeitete Tetiana noch beim bekannten Circus Roncalli, gastierte fünf Wochen auf der Moorweide. „Ich war dreimal in der Vorstellung, Tanja ging mir nicht mehr aus dem Kopf“, sagt ihr Freund. „Nach der dritten Show habe ich mir ein Herz gefasst und sie mit einem großen Blumenstrauß in der Hand um ein Date gebeten.“

Dass die junge Ukrainerin je wieder im Zirkus auftreten kann, ist im Augenblick eher unwahrscheinlich. Vor ihr liegen viele Monate der Therapie. „Am Seil werde ich wohl kaum noch arbeiten können, vielleicht aber am Boden“, sagt Tetiana Korenieva. Sie ist vor allem froh, das Unglück ohne massive Lähmungen überlebt zu haben. „Mit wurde ein zweites Leben geschenkt“, sagt sie.