Hamburg . Das Landgericht hat Ralf W. in zweiter Instanz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Das sagt der Vater des Opfers.

Ein Blick auf den 14 Jahre alten Tim reicht, um zu erahnen, was in ihm vorgeht. Mal schaut er betreten nach unten, dann presst er seinen Kopf an die Schulter seiner Mutter, während ihm sein Vater tröstend über den Rücken streichelt. Selbst als der Angeklagte aufsteht und sich in seinem „letzten Wort“ mit zitternder Stimme bei Tim entschuldigt, senkt er den Kopf – als wolle er sich vor den Worten wegducken.

Der Mann, der sich da gerade entschuldigt, hat ihn aus dem Hinterhalt mit einem Schuss aus einem aufgemotzten Luftgewehr niedergestreckt und schwer verletzt. In der Verhandlung, die Tim in weiten Teilen verfolgt hat, ging es auch um die Frage, ob er sterben sollte. Hier und heute geht es dem Jungen gar nicht gut.

Es handele sich nur um eine „kosmetische Korrektur“

Vielleicht hilft ihm das Urteil des Landgerichts, endlich einen Schlussstrich unter das unfassbare Geschehen vom 23. Juli 2016 zu ziehen. Am Donnerstag verurteilte es den Schützen Ralf W. (55) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Es folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft; im Ergebnis ist das lediglich eine „kosmetische Korrektur“ gegenüber den drei Jahren Freiheitsstrafe, die das Amtsgericht Mitte vor gut einem Jahr in erster Instanz verhängt hatte. Sofern der Angeklagte nicht erfolgreich Revision einlegt, wird er die Strafe hinter Gittern verbüßen müssen. Bis zuletzt hatte der angeklagte ehemalige Bundeswehroffizier gehofft, dass ihm eine Haftstrafe erspart bleibt. Doch für eine Freiheitsstrafe im bewährungsfähigen Bereich von bis zu zwei Jahren, das stellte der Vorsitzende Richter Oliver Lass am Donnerstag klar, habe das Gericht keinen Spielraum gesehen. Nicht mal ansatzweise.

Neben der schwerwiegenden Tat als solches musste das Gericht auch generalpräventive Aspekte würdigen. Denn bei dem Tatort handelt es sich um einen öffentlichen Spielplatz – nach gängiger Auffassung ein Bereich, in dem Kinder als besonders geschützt zu gelten haben. „Ein Spielplatz ist ein besonderer Ort der Sicherheit, durch Ihre Tat haben Sie diese Sicherheit genommen“, sagte Lass. Der Angeklagte habe „das Urvertrauen, sich dort geschützt fühlen zu dürfen, erschüttert.“

Nicht weniger erschütternd: das nichtige Motiv

Am 23. Juli 2016 übte Tim, damals 13 Jahre alt, auf dem Spielplatz am Alsterberg Schüsse auf ein Tor; es wurde lauter, weil der Fußball immer wieder gegen einen Metallzaun krachte. Zum hohen Aggressionspotenzial und der durch einen Tinnitus bedingten Lärmempfindlichkeit des Angeklagten gesellte sich an jenem Tag noch eine starke psychische Anspannung. Alles zusammen habe dafür gesorgt, dass bei ihm die „Sicherungen durchbrannten“, sagte sein Verteidiger.

Ralf W. schnappte sich sein Luftgewehr mit einer Durchschlagskraft von 7,2 Joule, trat auf den Balkon, visierte sein Opfer durch die Zieloptik an und drückte ab. Die zweite Kugel – ein zur Kleintierjagd geeignetes „Hornet“-Spezialgeschoss – traf. Der Junge lief noch ein paar Meter, bevor er blutüberströmt zusammenbrach. Das Geschoss hatte die Haut durchbohrt, war zwischen der achten und neunten Rippe steckengeblieben und hatte die Leber nur um Millimeter verfehlt. Tim musste in Vollnarkose operiert werden.

Ralf W. wollte das KInd nicht töten – er zielte auf den Arm

Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Fall zunächst wegen versuchten Mordes ermittelt, den Vorwurf nach einigem Hin und Her aber auf eine gefährliche Körperverletzung beschränkt. „Hier einen Mordvorsatz anzunehmen, ist gewiss nicht fernliegend“, sagte Richter Lass. Allerdings stünde nach der Beweisaufnahme fest, dass Ralf W. das Kind nicht töten, mit Sicherheit aber verletzen wollte. Während er im ersten Prozess ausgesagt hatte, er habe den Jungen mit dem Gewehr nur grob anvisiert, räumte er im Berufungsverfahren ein, auf seinen Arm gezielt zu haben – im Gegensatz zum Amtsgericht wertete das Landgericht seine Aussage daher als volles Geständnis.

Zweifellos habe Ralf W. eine schwere Straftat begangen: „Hätten Sie in erster Instanz vor dieser Kammer gestanden, wäre die Strafe noch höher ausgefallen“, sagte Lass. Allerdings seien seit dem ersten Urteil weitere strafmildernde Aspekte hinzugekommen. So hatte der Angeklagte einen Teil des Schadens wiedergutgemacht, indem er 5000 Euro Schmerzensgeld an den Jungen zahlte. Außerdem hat er eine Verhaltenstherapie begonnen, die ihm helfen soll, einen drohenden Kontrollverlust zu erkennen und zu verhindern.

Tims Vater sagte dem Abendblatt: „Wir sind froh, dass der Angeklagte eine Freiheitsstrafe bekommen hat, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Eine noch höhere Strafe hätte uns auch nicht glücklicher gemacht. Für uns ist das Urteil annehmbar, und dem Angeklagten ist es zumutbar.“