Hannover/Bremen. Experten: Todesfälle an Bahnübergängen oft vermeidbar. Leichtsinn, Risikobereitschaft und Unwissenheit führen zu schlimmen Unfällen.

Obwohl die Zahl der Bahnübergänge in Niedersachsen seit Jahren sinkt, kommt es weiterhin zu Unfällen. Im vergangenen Jahr gab es 20 Zusammenstöße auf Überwegen, wie die Deutsche Bahn am Mittwoch mitteilte. Im Jahr davor kam es zu 23 Unfällen, 2014 zu 17. In Bremen hingegen gab es im vergangenen Jahr wie auch 2014 keinerlei Unfälle an Bahnübergängen. 2015 kam es zu einem einzigen Unfall.

Im vergangenen Jahr gab es in Niedersachsen noch 2134 Bahnübergänge, in Bremen waren es 22. Im Jahr 2007 gab es in Niedersachsen noch rund 2600 Bahnübergänge. Die Zahl ist rückläufig, weil Übergänge an viel befahrenen Straßen durch Über- oder Unterführungen ersetzt werden oder wenig genutzte Überwege geschlossen wurden. Einzelne Strecken wurden auch stillgelegt.

Bundesweit 29 Tote bei 140 Unfällen im vergangenen Jahr

Bundesweit gab es im vergangenen Jahr 140 Unfälle, 2002 waren es noch 294 Zusammenstöße. 61 Prozent der Bahnübergänge sind mit Schranken oder zumindest Blinklichtern gesichert. An 39 Prozent der Übergänge, die an mit geringem Tempo befahrenen Nebenstrecken liegen, gibt es nur ein Andreaskreuz. Autofahrer und Fußgänger müssen dort selber auf herannahende Bahnen achten. Mehr als 90 Prozent aller Unglücke an Bahnübergängen werden nach Angaben der Bahn von Autofahrern und Fußgängern aus Unachtsamkeit oder Unkenntnis selbst verursacht.

Obwohl die Zahl der Unfälle an Bahnübergängen immer weiter sinkt, starben im vergangenen Jahr noch 29 Menschen, 157 erlitten bei insgesamt 140 Unfällen teils schwere Verletzungen. „Jeder Tote ist einer zu viel“, betont Roland Bosch, Vorstand Produktion der DB Netz AG. Besonders bitter: Technisches Versagen der Warnmelder oder der Bahnschranken führte nur in den seltensten Fällen zum Crash. „Mehr als 90 Prozent der Kollisionen hätten durch richtiges Verhalten vermieden werden können“, sagt Bosch.

Präventionskampagne „Sicher drüber“ neu gestartet

Risikofaktor Mensch: Mal sind es Leichtsinn und Risikobereitschaft nach dem Motto „Das schaffe ich noch rechtzeitig“, aber auch Unwissenheit spielt eine Rolle. Eine infas-Studie im Auftrag der Bahn unter 2500 Befragten kam zu dem Ergebnis, dass fast ein Viertel der Befragten der Meinung war, ein blinkendes Licht am Bahnübergang entspreche dem Gelb der Ampel – Anhalten sei demnach noch nicht erforderlich.

Um auf die Gefahren aufmerksam zu machen und Zusammenstöße zu verhindern, ist jetzt die Präventionskampagne „Sicher drüber“ der Bahn und ihrer Partner bei Polizei, ADAC und dem Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) neu gestartet. Sie soll alle erreichen – von Kindern bis Senioren. „Sicher drüber“ existiert bereits seit 15 Jahren und hat nach Einschätzung der Bahn zur Verringerung der Unfallzahlen beigetragen. Doch nun sollen mit einer Neuauflage der Kampagne ganz besonders auch junge Menschen und Fahranfänger erreicht werden – eine Generation, die laut Unfallstatistiken besondern durch Risikobereitschaft auffällt.

Daneben wird auf technische Verbesserungen gesetzt. „Ich bin etwas im Zweifel, ob man dem österreichischen Beispiel von Blitzern an Bahnübergängen folgen sollte“, sagt VDV-Vizepräsident Veit Salzmann. Doch Investitionen zur technischen Aufrüstung der 16.871 Bahnübergänge in Deutschland könnten Leben retten.

Sensibilisierung der Autofaher durch Warnhinweise in Navis

In Frankfurt arbeitet ein sechsköpfiges Team der Bahn an solchen Lösungen, etwa an benutzergesteuerten Bahnübergängen. Dort wäre die Schranke dauerhaft geschlossen. Wer sie passieren will, muss einen Knopf drücken – kommt kein Zug, öffnet sich die Schranke automatisch.

Mehr Sensibilisierung der Autofahrer erhoffen sich die Bahnspezialisten auch durch die Anzeige von Bahnübergängen und entsprechenden Warnhinweisen in Navigationsgeräten. Ein erster Schritt ist bereits gemacht, entsprechende Daten wurden den Anbietern von Karten-Software zur Verfügung gestellt. Bisher sind die Daten allerdings in keines der Endgeräte aufgenommen worden.

Wichtig ist die Vermeidung von Unfällen an Bahnübergängen nicht zuletzt auch wegen der großen Folgewirkungen, betont Michael Schuol, Ständiger Vertreter der Bundespolizei Koblenz. Im Fall eines Unfalls mit einem schwer verletzten Autofahrer im Bereich Frankfurt etwa musste die Strecke fünf Stunden lang gesperrt werden. Der Lokführer konnte wegen eines Schocks die Fahrt nicht fortsetzen, die Reisenden durften den Zug erst nach 90 Minuten verlassen. Rechtlich könne der Autofahrer in so einem Fall auch noch wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr zur Verantwortung gezogen werden: „Das sind keine Lappalien.“