Hamburg. Viel Kritik an Aussagen des grünen Umweltsenators zum Wachstum Hamburgs – aber auch Lob und nachdenkliche Stimmen.

Die Forderung von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) nach mehr Hamburger Bescheidenheit hat eine große Debatte in der Rathaus-Politik über die Wachstumsziele der Hansestadt ausgelöst. „Wir müssen nicht immer die Größten und Wichtigsten sein“, hatte Kerstan im Abendblatt-Interview gesagt. „Es reicht doch, wenn unsere Stadt nach außen sympathisch auftritt und man hier gut leben kann. Hamburg ist eine Großstadt. Hamburg ist eine weltoffene Stadt. Aber Hamburg muss keine Weltstadt sein.“ Nach seinem Eindruck wolle das die Mehrheit der Hamburger gar nicht. „Das haben auch die Ablehnung von Olympia und die Skepsis gegenüber dem G20-Gipfel gezeigt“, sagte Kerstan. „Auch in Barcelona sieht man, dass viele Menschen den Boom kritisch sehen. Hamburg muss nicht um jeden Preis weiterwachsen, um eine tolle Stadt zu sein. Das ist auch so schon.“

CDU, FDP und AfD kritisierten Kerstans Aussagen am Sonntag zum Teil scharf. „Es gibt einen globalen Trend des Zuzugs in Städte; diesem kann sich keine Stadt entziehen. Es gilt, hierfür Antworten zu finden, damit dies gesteuert wird und vor allem qualitative Aspekte einbezieht“, sagte CDU-Fraktionschef André Trepoll dem Abendblatt. „Das war und ist das Ziel unserer Politik. Hamburg mit seinem Hafen ist das Tor zur Welt und natürlich eine großartige Metropole. Noch.“ Wenn es nach den Grünen ginge, wäre Hamburg bald nur noch ein „Tor ins Feuchtbiotop“, so Trepoll. „Ein spießiger grüner Umweltsenator, der Hamburg klein­redet und die Augen vor dieser Entwicklung verschließt, hat im Hamburger Senat nichts zu suchen.“ Die CDU wolle Hamburg „voranbringen“ und stehe daher auch weiterhin zu dem von ihr im vergangenen Jahrzehnt entwickelten Leitbild „Metropole Hamburg – wachsende Stadt“.

„Hamburg ist seit jeher eine weltoffene Metropole“

Die FDP-Fraktionschefin Katja Suding sagte, Kerstans „Schwarz-Weiß-Denken“ helfe niemandem. „Durch den weltweiten Handel und den Hafen ist Hamburg seit jeher eine weltoffene Metropole – auch wenn Herr Kerstan das mit Maßnahmen wie einer Müllgebühr, die Wohnen in Hamburg noch teurer machen wird, oder unwirksamen Fahrverboten für Dieselautos am liebsten ändern möchte. Das Ziel seiner Politik sollte besser sein, Hamburg in eine lebenswerte und prosperierende Zukunft führen zu wollen, statt wichtige Projekte zu hintertreiben, wie etwa Elbvertiefung und Olympiabewerbung.“

AfD-Fraktionschef Bernd Baumann sagte: „Dass Hamburg nicht Weltstadt sein soll, zeigt die gleiche links-grüne Fortschrittsblockiererei wie bei der Elbvertiefung: Auch diese lehnt Umwelt­senator Kerstan ja persönlich offen ab. Kommt er damit dauerhaft durch, wird Hamburg sich nicht einmal mehr als die Welthafenstadt halten können, die es noch ist.“

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel machte klar, dass die Debatte für ihn auch etwas Gutes habe. „Ich persönlich bin als Hamburger froh, nicht in einer stagnierenden oder schrumpfenden Stadt zu leben. Wie das aussieht, ist in vielen deutschen Städten zu besichtigen, wo reihenweise Schulen, Bücherhallen oder andere öffentliche Einrichtungen geschlossen werden“, so Dressel. „Eine Stadt, die wächst, wächst immer auch für die Bürger, die in der Stadt schon leben – und nicht nur für Neubürger und Besucher.“ Von den Investitionen etwa in Schulen oder Nahverkehr profitierten alle Hamburger. „Aber die Debatte zeigt: Es ist unsere gemeinsame Herausforderung, die Vorteile für jeden Einzelnen immer wieder herauszustellen“, sagte Dressel. „Unser Anspruch, den wir auch schon vor einigen Jahren als SPD formuliert hatten, ist: Unser Hamburg wächst für alle.“

„Wichtiger ist, dass Menschen die Miete zahlen können“

Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir fragte: „Was bringt es denn den Hamburgern, dass ihre Stadt eine Weltstadt ist, wenn sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können?“ Statt ständig in die Ferne zu schauen, müsse der Senat die Hamburger Probleme wie die steigende Armut oder die Wohnungsnot angehen. „Das ist viel wichtiger als irgendwelche zweifelhaften Titel.“

Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks sagte: „Wir wollen, dass Hamburg auch in Zukunft eine der lebenswertesten Städte der Welt bleibt. Dazu gehört vor allem eine saubere Umwelt, bezahlbarer Wohnraum und eine moderne Infrastruktur.“ Ein lebenswertes Hamburg sei „immer auch ein wachsendes Hamburg, das die Weltbühne nicht scheuen muss“. Den Grünen gehe es aber darum, „dieses Wachstum mit Augenmaß zu gestalten und nicht um jeden Preis einen Weltstadtwettbewerb zu gewinnen“.

Hamburgs BUND-Chef Manfred Braasch lobte Kerstan zwar dafür, dass dieser „die richtigen Fragen“ stelle. „Wachstumswahn und Weltstadt-Illusion sind schlechte Ratgeber für eine nachhaltige Stadtentwicklung“, so Braasch. „Den rot-grünen Koalitionsvertrag ziert die Überschrift ,Zusammen schaffen wir das moderne Hamburg‘. Wird Zeit, sich darauf zu verständigen, was wirklich modern wäre. Die aktuelle Senatspolitik ist es jedenfalls in weiten Teilen nicht, sondern folgt der ein­dimensionalen Wachstumsverliebtheit des letzten Jahrhunderts.“