Berlin. Der Niedrigzins der EZB ist für Stiftungen ein großes Problem. Sie wagen für guten Zweck höhere Risiken und gehen an die Rücklagen.

Zum Glück hat Horst Kayser Rücklagen gebildet. Damals, als es noch Zinsen gab. Der frühere Siemens-Manager ist Beirat einer kleinen Stiftung, die alleinerziehende Eltern fördert und Schülern beim Einstieg in das Berufsleben hilft. Kaysers Mutter Ursula hatte einst die Stiftung ins Leben gerufen.

Als die Zinsen noch höher waren, konnte die Schmid-Kayser Stiftung 80 Prozent ihrer Projekte aus den Erträgen des Stiftungsvermögens finanzieren. „Heute sind es nur noch 20 bis 30 Prozent“, sagt Kayser. Würde er nicht regelmäßig privates Geld zuschießen oder Rücklagen aufbrauchen, müsste die Stiftung ihr Engagement zurückfahren.

Kleine Stiftungen investieren gemeinsam in Vermögenspool

Stiftungen wie die der Kaysers entlasten den Staat hierzulande an vielen Stellen. Sie unterstützen Schulen, vergeben Stipendien, loben Gründerpreise aus oder helfen in Krisengebieten. Schätzungen zufolge geben Stiftungen in Deutschland jährlich 17 Milliarden Euro für ihre jeweiligen Zwecke aus.

Das meiste Geld fließt in soziale und gemeinnützige Zwecke wie Bildung, Erziehung, Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung. Doch dieser Einsatz funktioniert nur, wenn das Stiftungsvermögen eine Rendite abwirft. Denn Stiftungen bürgerlichen Rechts dürfen ihr Vermögen nicht aufbrauchen. Sie müssen es auf ewig erhalten und dürfen nur die Erträge für gemeinnützige Zwecke ausgeben.

Leitzins bei null Prozent

Das wird immer schwieriger, solange die Zinsen so niedrig sind. Seit dem Frühjahr belässt die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins bei null Prozent und kauft Unternehmensanleihen in Milliardenhöhe auf. Damit will die EZB bewirken, dass Firmen und Privatleute mehr Kredite aufnehmen und so die Wirtschaft ankurbeln. Doch Stiftungen leiden unter dieser Politik. Wenn sie ihr Vermögen in Festgelder oder sichere Anleihen anlegen, erhalten sie kaum noch Zinsen.

Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.
Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. © dpa | Arne Dedert

Noch haben manche Stiftungen langfristige Anleihen im Depot, die höhere Renditen abwerfen. Doch von Jahr zu Jahr laufen mehr alte Anlagen aus. „Die Niedrigzinsphase ist ohne Frage eine große Herausforderung für Stiftungen“, sagt Felix Oldenburg, Generalsekretär des Bundesverbands Deutscher Stiftungen. „Doch sie bietet auch die Chance, dem Stiftungsrecht und dem Vermögensmanagement ein Update zu verpassen.“

Aufwand und mehr Risiko

Viele Stiftungen sehen sich nun gezwungen, mehr Aktien, Immobilien oder Anleihen in Fremdwährungen zu kaufen. Und sie werben um Spenden und Zustiftungen, um das Zinstief zu überstehen. Doch all das ist mit Aufwand und mehr Risiko verbunden. Gerade kleinen Stiftungen fällt es schwer, höhere Renditen zu erzielen. Horst Kayser etwa legt nun größere Teile des Stiftungsvermögens in Aktien- und Immobilienfonds an.

„Doch bei vielen Fonds werden hohe Gebühren fällig“, sagt Kayser, „und es ist teuer, die Risiken dieser Finanzprodukte professionell einschätzen zu lassen.“ Vor einem Jahr ist Kayser deshalb einem Vermögenspool des Haus des Stiftens beigetreten. Dieses Sozialunternehmen aus München hat drei Fonds aufgelegt, in die etwa 600 Stiftungen aus Deutschland insgesamt mehr als 60 Millionen Euro investiert haben.

Stiftung werben dafür, ihnen Kapital zu vererben

Der Vermögenspool kann die Risiken breiter streuen, als es die einzelnen Stiftungen alleine können. Alle Beteiligten teilen sich die Kosten, die für das Risiko-Management anfallen. Horst Kayser hat die Hälfte des Stiftungsvermögens in einen der Fonds angelegt. Ein anderer Ausweg: Viele Stiftungen werben dafür, ihnen zusätzliches Kapital zu spenden oder zu vererben. Beispielsweise werden der SOS-Kinderdorf-Stiftung immer mehr Häuser vermacht.

Zwölf Prozent des Stiftungsvermögens sind inzwischen in vermieteten Immobilien angelegt, sagt Geschäftsführerin Petra Träg. „Wenn jemand unserer Stiftung eine Immobilie in normalem Standard zustiften möchte, übernehmen wir diese sehr gerne.“ Mieteinnahmen der Immobilien und Dividenden von Aktien sind die planbaren Erträge, die der SOS-Kinderdorf-Stiftung durch das Zinstief helfen. Immerhin konnte die Organisation im vergangenen Jahr zehn Prozent mehr Geld für ihre Projekte ausgeben als im Jahr zuvor.

Kauf von Anleihen guter Bonität wird schwieriger

„Wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, passen wir unsere Anlage-Richtlinien an“, erklärt Träg. Hatte die Stiftung anfangs nur maximal ein Viertel ihres Vermögens in Aktien investiert, liegt die Quote inzwischen bei 40 Prozent. Hinzu kommen Immobilienfonds und Anleihen in US-Dollar. Zugleich wird es für Stiftungen immer schwieriger, europäische Anleihen guter Bonität zu kaufen. Denn im Rentenmarkt tritt die EZB als Großabnehmer auf. „Das macht den Kauf für uns nicht leichter“, sagt Träg.

Auch Horst Kayser ärgert sich über die Zinspolitik. „Es ergibt keinen Sinn, Stiftungsvermögen dauerhaft unverzinst liegen zu lassen“, sagt der Beirat. Sollten die Zinsen noch länger so niedrig bleiben, könnte Kayser erwägen, die Stiftung in eine Verbrauchsstiftung umzuwandeln. Diese Rechtsform sieht vor, dass das Vermögen im Laufe der Zeit aufgezehrt und für den Stiftungszweck ausgegeben wird.

Verbrauchsstiftungen in Deutschland selten

Doch noch ist dieses Modell in Deutschland selten. Dem Bundesverband Deutscher Stiftungen sind bislang nur 30 Verbrauchsstiftungen bekannt. Ein Grund: Viele Aufsichtsbehörden wollen die Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung nicht genehmigen. Schließlich macht es den Reiz des Stiftens aus, dass das Vermögen über den Tod des Stifters hinaus bestehen soll und die Erträge ewig dem Stiftungszweck nützen.

Der Verband fordert, die Politik sollte es den Organisationen einfacher machen, sich in eine Verbrauchsstiftung umzuwandeln oder mit anderen Stiftungen zusammenzutun. Gerade wenn der Stifter noch lebt, sollte es leichter möglich sein, die Satzung der Stiftung zu ändern. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe berät zurzeit über mögliche Änderungen des Stiftungsrechts. Es liegt aber noch kein konkreter Gesetzentwurf vor.

Insbesondere kleine Stiftungen hoffen auf Ende des Zinstiefs

Ob der Staat den Stiftungen entgegenkommt, wird davon abhängen, wann die EZB ihre Politik des billigen Geldes beendet. Gerade kleinere Organisationen wie die Schmid-Kayser Stiftung hoffen, dass ihre Rücklagen bis dahin noch ausreichen – und sich genug Spenden und Zuschüsse mobilisieren lassen, um das Zinstief zu überstehen. „Sollte die Niedrigzinsphase noch lange andauern“, sagt Kayser, „werden wir prüfen, ob wir einzelne Projekte einstellen müssen.“