Am Mittwoch hat die Plenarsitzung um 13.30 Uhr begonnen – mit Live-Fragerunde. Wie weit darf die Reform der Bürgerschaft gehen?

Das klingt nach Ärger mit Ansage. „Ich werde dagegen klagen“, kündigt der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete markig an. Der frühere Beginn der Parlamentssitzungen behindere ihn in der Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt. Und der Jurist hat auch gleich den passenden Satz aus der Hamburgischen Verfassung parat: „Die Vereinbarkeit des Amtes eines Abgeordneten mit einer Berufstätigkeit ist gewährleistet.“ Für ihn offenbar nicht mehr.

Doch, nein. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) muss sich nicht auf eine Verfassungsklage gefasst machen, weil die Plenarsitzung des Landesparlaments am Mittwoch dieser Woche zum ersten Mal statt um 15 Uhr schon um 13.30 Uhr begonnen hat. Die Klageandrohung aus den Reihen der CDU liegt fast auf den Tag 20 Jahre zurück, denn damals, am 14. Januar 1997, läutete die Glocke von Parlamentspräsidentin Ute Pape (SPD) zu Sitzungsbeginn erstmals um 15 statt um 16 Uhr wie Jahrzehnte zuvor.

Der Autor leitet das Ressort Landespolitik beim Abendblatt
Der Autor leitet das Ressort Landespolitik beim Abendblatt © HA / Andreas Laible

Und der „Rebell“ von einst ist Ralf-Dieter Fischer, CDU-Urgestein aus Harburg und damals Vorsitzender des Rechtsausschusses der Bürgerschaft. „Ich hätte gern geklagt, um die Sache zu klären“, sagt Fischer heute, streitlustig wie immer. „Auch heute werden bestimmte Berufsgruppen, vor allem Selbstständige, von der Ausübung eines Mandats ausgeschlossen.“ Aber seit der Bürgerschaftswahl im September 1997 gehörte Fischer nicht mehr dem Landesparlament an. „Ich war nicht mehr klagebefugt“, sagt der CDU-Mann bedauernd.

1997 tobte um den Termin des Sitzungsbeginns ein erbitterter Streit

Damals tobte um die Uhrzeit des Sitzungsbeginns ein erbitterter Streit. Die Bürgerschaft war ein Feierabendparlament, und der späte Sitzungsbeginn ermöglichte vielen Berufstätigen, Job und Mandat zu vereinbaren. Die Idee dahinter hatte die Stadtrepublik über Jahrhunderte geprägt: Wer Politik für die Stadt machte, sollte nicht den Kontakt zur Arbeitswelt verlieren, um zu gewährleisten, dass die Entscheidungen mit der Lebenswirklichkeit in Einklang stehen.

Die Gegenargumente derjenigen, die für einen früheren Beginn sind, ähneln sich – damals wie heute. „Das Parlament in Hamburg lebt ein wenig in Abgeschiedenheit“, sagte Jan Ehlers vor 20 Jahren, damals SPD-Fraktionsvize. Er meinte wohl, so spät am Abend höre kaum jemand mehr hin und nehme nicht wahr, was die Abgeordneten debattierten. „Wir wollen mehr Aufmerksamkeit als Parlament. Wir wollen die öffentliche Wahrnehmung stärken und den Wert unserer Demokratie erfahrbarer machen“, sagte Carola Veit in dieser Woche bei der Vorstellung der neuen Regeln für den Ablauf der Parlamentssitzungen. Meint im Grunde dasselbe.

Ehlers, Vormann des linken Parteiflügels, wollte damals sogar, dass die Sitzungen schon um 14 Uhr beginnen. Und er fand einen Unterstützer auch von unerwarteter Seite. „14 Uhr ist in Ordnung. Dann ist die Börse geschlossen“, sagte der FDP-Fraktionschef und Immobilienkaufmann Frank-Michael Wiegand, dessen Prioritäten damit geklärt waren.

Die Vorverlegung auf 15 Uhr vor 20 Jahren war schließlich ein klassischer politischer Kompromiss. Dass Veits Glöckchen im Jahr 2017 schon um 13.30 Uhr erstmals klingelt, ist dagegen völlig unumstritten. Alle sechs Fraktionen der Bürgerschaft – von der Linken bis zur AfD – haben diese Änderung unterstützt. Mehr noch: Ausgerechnet die CDU-Opposition, einst Speerspitze gegen einen früheren Beginn, hatte die Initiative zur Änderung der Geschäftsordnung ergriffen. CDU-Fraktionschef André Trepoll war ein gewisser Stolz über das Erreichte bei der gemeinsamen Pressekonferenz aller sechs Fraktionschefs jedenfalls anzumerken. „Es ist kein alltäglicher Vorgang, dass ein Impuls, der aus der Opposition gekommen ist, eine solch gute Umsetzung findet“, sagte Trepoll.

Auf die Union geht auch ein weiteres neues Element der Plenarsitzungen zurück: die Senatsbefragung. Dabei dürfen jeweils zwei Fraktionen pro Sitzungstag einem Senatsmitglied eine vorher eingereichte Frage stellen, dann sind Zusatz- und Nachfragen möglich, die spontan sind. Die Generalprobe in dieser Woche zum Ausländerrecht mit Innensenator Andy Grote (SPD) verlief vielversprechend, weil Grote gut informiert und nicht ausweichend antwortete.

Die Opposition sieht in diesem In­strument die große Chance, den Senat live „stellen“ zu können. Trepoll griff als Beispiel den Talkshow-Auftritt von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) vom vergangenen Sonntag auf. „Jetzt können wir schneller reagieren und ihn in der Bürgerschaft fragen, welche praktischen Auswirkungen seine dort gemachten Äußerungen zum Beispiel zur Asylpolitik für Hamburg haben“, sagte der Oppositionschef, um dann leicht süffisant hinzuzufügen: „Ich freue mich, dass der Senat jetzt auf dem noch heißeren Stuhl sitzt und den Abgeordneten Rede und Antwort stehen muss.“

Vor 20 Jahren gab es eine umfassende Verfassungs- und Parlamentsreform

Vor 20 Jahren begnügte sich die Bürgerschaft nicht mit ein paar Änderungen der Geschäftsordnung, sondern brachte nach ziemlichen Mühen (Klaus Lattmann, CDU: „Wir haben uns nicht mit Ruhm bekleckert.“) eine umfassende Verfassungs- und Parlamentsreform auf den Weg. Immerhin: Der „ewige Senat“ wurde abgeschafft, der Erste Bürgermeister erhielt Richtlinienkompetenz und für die Abgeordneten wurde eine Altersversorgung eingeführt. Neu war auch, dass die Mandatsträger statt einer Aufwandsentschädigung Diäten wie in allen anderen Landesparlamenten auch bekamen – wenn auch deutlich niedriger. Und: Die Volksgesetzgebung mit den drei Stufen Volksinitiative, -begehren und -entscheid wurde eingeführt. Nur an ein heißes Eisen trauten sich die Abgeordneten nicht heran: den Umbau der Bürgerschaft zu einem echten Vollzeit-Parlament. Das war – zumindest indirekt – auch ein Erfolg von Abgeordneten wie Ralf-Dieter Fischer.

„Ich traue der Reform 20 Jahre Haltbarkeit zu“, sagte Jan Ehlers damals. Das hat sich als zu pessimistisch erwiesen. Nicht nur, weil die Verfassungsänderungen nach wie vor gelten. Nach großen Reform-Würfen steht den heutigen Abgeordneten auch künftig nicht der Sinn.