Am Sonnabend dürfen die Spieler und Anhänger des FC St. Pauli ein bisschen internationale Fußballatmosphäre schnuppern.

An diesem Sonnabend dürfen die Spieler und Anhänger des FC St. Pauli ein bisschen internationale Fußball­atmosphäre schnuppern. Der FC Sevilla, zuletzt dreimal in Folge Gewinner der Europa League, kommt ins Millerntor-Stadion. Nun gut – es ist nur ein Testspiel, und bei spanischen Clubs, für die die Punktspielsaison in diesem Jahr erst am 19. August beginnt, kann man sich nie sicher sein, in welcher Verfassung ihre Spieler gerade sind. Aber immerhin: Der Stadtteil-Club misst sich mit einem europäischen Hochkaräter.

Die Frage, ob dies in den nächsten, sagen wir mal, zehn Jahren auch in einem offiziellen Wettbewerb stattfinden wird, könnte Inhalt einer spannenden Langfrist-Wette sein – natürlich mit Handicap-Faktor. Selbstverständlich liegt die Wahrscheinlichkeit, dass dem FC St. Pauli die Teilnahme an einem Europapokal auch künftig aus sportlichen Gründen verwehrt bleibt, bei weit mehr als 50 Prozent. Auf der anderen Seite haben zuletzt auch immer wieder einmal Clubs wie der SC Freiburg, der 1. FSV Mainz 05 oder der FC Augsburg, die alle drei aufgrund ähnlicher Grund­voraussetzungen gern als Vorbild für den FC St. Pauli genannt werden, den Sprung ins internationale Geschäft geschafft. Also: Warum nicht mal einen Zehner riskieren für einen Traum?

Dies ist möglicherweise vor allem deshalb gar nicht so völlig absurd, weil der Club vom Millerntor derzeit von Personen geführt wird, die trotz emotionaler Leidenschaft alles andere als Träumer sind. Es ist schon bemerkenswert, wie das seit November 2014 amtierende Präsidium mit Oke Göttlich an der Spitze den FC St. Pauli Stück für Stück weiter professionalisiert und strukturell wettbewerbsfähiger macht. Dass in diesem Zuge vor gut einem Jahr ein ausgewiesener Fachmann wie An­dreas Rettig für den Job des kaufmänni- schen Geschäfts- führers ge- wonnen werden konnte, war ein echter Coup.

Der Verkauf des Stadionnamens bleibt tabu

All dies war keinesfalls zu erwarten, als vor zwei Jahren der damalige Aufsichtsrat entschied, das bis dahin durchaus erfolgreich arbeitende Präsidium mit Frontmann Stefan Orth durch eine deutlich Fan-nähere und politischer orientierte Führung ersetzen zu lassen. Als dann auch noch ein fast komplett neuer Aufsichtsrat gewählt wurde, der mehrheitlich der von manchen gefürchteten Abteilung fördernder Mitglieder (AfM) zuzurechnen war, schien eine Ausrichtung vorgezeichnet, die jede Kommerzialisierung ablehnt und auch die sportliche Drittklassigkeit für undramatisch hält. Frei nach dem Motto: Egal in welcher Liga und gegen wen wir spielen, Hauptsache, wir haben Spaß auf unseren Stehplätzen.

Heute wissen wir, dass alles ganz anders gekommen ist. Präsidium, Aufsichtsrat und Geschäftsführung arbeiten mit einer zuvor nicht erlebten Konsequenz an der Steigerung der Einnahmen. Der Rückkauf der Merchandisingrechte und das sich daraus ergebende Gewinnpotenzial sowie der Millionendeal mit dem nicht unumstrittenen Ausrüster Under Armour sind Beispiele dafür. Vermutlich konnten nur ein Präsidium und ein Aufsichtsrat, die im organisierten Fanlager verwurzelt sind und die vereinseigene DNA respektieren, solche wegweisenden Entscheidungen fällen, ohne Protestwellen auszulösen. Natürlich bleiben der Verkauf des Stadionnamens und von Vereinsanteilen an Investoren tabu.

Am Ende bleibt die Frage, wozu das alles im sportlichen Bereich führt. Grundsätzlich erhöht ein Plus an Geld die Chance, Leistungsträger zu halten oder zu kaufen. Und doch gibt es kaum einen Wirtschaftszweig, in dem Erfolg und Misserfolg so sehr von Zufällen abhängig ist, wie es im Profifußball der Fall ist. Daher gilt es in der anstehenden Saison für den FC St. Pauli, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Dabei wird es eine neue Herausforderung sein, mit den durch den zuletzt erreichten vierten Platz der Zweiten Liga zwangsläufig gestiegenen Erwartungen gelassen umzugehen und bei Rückschlägen nicht hektisch zu werden und sich aus dem Konzept bringen zu lassen. Hier wird sich zeigen, wie stabil die Professionalität wirklich ist.