Hamburg. Das Museum für Kunst und Gewerbe veranschaulicht die Verwandtschaft zwischen historischen Holzschnitten und modernsten Mangas.

Sein Roboter-Visier hat Rudolf Arnold (62) heruntergeklappt. Er trägt blaue Locken, riesige schwarze Engelsschwingen, und auf seinem Torso leuchten Lichtlinien auf. Im normalen Leben ist er Mathematiklehrer in Ulm, wo er feststellte, dass Schüler, die sich langweilten, meistens Mangas zeichneten. Das faszinierte ihn, und dann entdeckte er die Cosplayer-Szene, wo junge Leute in die Kostüme von Manga-Figuren schlüpfen. Er wurde selbst zu der Kunstfigur Mika in männlicher Abwandlung, die er im Museum für Kunst und Gewerbe zur Eröffnung der Ausstellung „Hokusai x Manga. Japanische Popkultur seit 1680“ zur Schau trägt.

Damit ist man schon mittendrin in zwei populären Kunstformen, die sich zwar zeitlich gut auseinanderdividieren lassen, aber inhaltlich und motivisch enger miteinander verzahnt sind als sich das Uneingeweihte so träumen ließen. Auf Anhieb werden sich junge Leute wohl kaum für die alten Holzschnitte interessieren, die das Museum in dieser vielschichtigen, sehenswerten Ausstellung zum ersten Mal so umfassend präsentiert. In Beziehung zu modernen japanischen Mangas aber werden plötzlich beide Bilderwelten lebendig und verständlich, die des 17./18. Jahrhunderts und die heutige. Kuratoren sind Nora von Achenbach und Simon Klingler.

Grusel, Spannung und Unterhaltung

Nicht nur, dass schaukelnde Einäugige und kichernde Monster aus Kawanabe Kyosais Geisterparade von 1890 in einem animierten Film ihren Schabernack treiben dürfen. Über diesen Kunstgriff wird auch klar, dass die Meister früherer Zeiten bereits dasselbe im Sinn hatten wie die Trickfilmer und Computergamer des 21. Jahrhunderts, nämlich Grusel, Spannung und Unterhaltung. Auch der Mythos der 47 heldenhaften Samurai hielt sich lange Zeit in der japanischen Schrift- und Bildkunst. Prächtige Blätter aus einer farbigen, gekonnt inszenierten Heldenserie von Utagawa Kuniyoshi lassen unerschrockene Kämpfer im Angesicht eines unsichtbaren Gegenübers ihr Schwert ziehen.

Ungeheuer dramatisch wirkt dagegen der Kampf des Helden Imaro mit dem Seemonster in der aufgewühlten See, ebenfalls von Kuniyoshi. Diese Blätter aus dem 19. Jahrhundert wirken wie Stills aus einem modernen Actionfilm. So macht es Sinn, dass die Ausstellung in stetiger Korrespondenz mit den historischen Holzschnitten viele kleine Filme und Animationen zeigt und Multimedia-Stationen bereitstellt, nicht zuletzt, um am Ende die Fangemeinde aktiv zu integrieren. Denn kaum eine Szene ist so computeraffin wie die der Manga-Leser. Den Gipfel der Überschneidung digitaler und wirklicher Welten ist das Video eines Live-Konzerts mit der von Rudolf Arnold eingangs so begeistert dargestellten, superheldinnenartigen Kunstfigur Mika. Diese Kindfrau, die die von ihren Fans komponierten Songs auf überhöhter Bühne zum Besten gibt, gibt hier als 3-D-Animation Konzerte vor echten Fans. Massenhaft lassen sie ihrer Begeisterung freien Lauf.

In ihrer ganzen Erhabenheit breitet sich in einem anderen Raum die berühmte Hokusai-Serie „Die 36 Ansichten des Fuji“ an einer langen Wand aus. Abstrakte und zugleich atmosphärische Landschaften, Farbholzschnitte von 1830/31. Gegenüber wurden einige Seiten aus Jiro Taniguchis Comic „Der spazierende Mann“ (1992) gehängt, Zeichnungen eines Mannes, der in domestizierter Natur flaniert, welcher die Erhabenheit verloren gegangen ist.

Ein Kinder-Kabinett veranschaulicht, wo die europäische Manga-Begeisterung, die in Deutschland maßgeblich vom Hamburger Carlsen-Verlag getragen wurde, ihren Anfang nahm: Hier wird an die Animationsfilme europäischer Geschichten von Heidi, Biene Maja (1975–80) oder Pinocchio erinnert, und man kann sich auch mit der Ästhetik nachfolgender Filme wie dem Mädchen-Heldinnen-Film „Sailor Moon“ (1992/93) vertraut machen.

Klassische Heldenmythen werden demontiert

Eine Sonderposition nehmen moderne Mangas wie die besonders erfolgreichen „Akira“-Geschichten ein, die die klassischen Heldenmythen demontieren. Der selbst tief traumatisierte Keiji Nakazawa hat ebenfalls ein Tabu gebrochen, nämlich, über den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima zu sprechen. „Barfuß durch Hiroshima“ (1975) steckt voller hochdramatischer, schwer erträglicher Bilder jenes unfassbar schrecklichen Ereignisses.

Die fantastische Darstellung eines Erdbebens von Hattori Yasunori und Utagawa Yoshiharu stellt dem Menschengemachten in Hiroshima die Naturgewalt gegenüber, der sich der Inselstaat Japan seit jeher ausgeliefert sah. Wie überhaupt das Wasser-Thema künstlerisch wunderschön variiert wird.

Ein erotisches Kabinett, eingeleitet von zahlreichen Szenen aus der subtilen Kultur des Konkubinentums, ergänzt die Ausstellung. Erstaunlich ist die Freizügigkeit der historischen Sex-Szenen und die Umgehung der Zensur in den dazu passenden Erotik-Mangas mit all ihren übererregten Kindfrauen.

„Hokusai x Manga“ Museum für Kunst und Gewerbe (U/S Hbf), Steintorplatz. Ausstellung bis 11.9. Di–So 10–18.00, Do bis 21.00. Eintritt 12, erm. 8,- (www.mkg-hamburg.de)