Hamburg. Musical, Theater, dazu eine große Ausstellung: So bewerten Hamburger die Veranstaltungen im Kulturfrühling.

Ohrwürmer
"My Fair Lady“, das berühmte Singspiel mit den unvergesslichen Ohrwürmern („Ich hätt’ getanzt heut Nacht“, „Mit ’nem kleinen Stückchen Glück“), wurde in sechs Jahren 2700- mal in New York aufgeführt. Aber das war in den 50ern. Jetzt, fast 60 Jahre später, ist es mit seiner altenglischen Vornehmheit doch längst aus der Mode gekommen und angestaubt, oder? Mitnichten! Wer die Darbietung des EngelsaalEnsembles gesehen und gehört hat, war schlicht begeistert.

Die Inszenierung von Theaterchef Wellerdieck, dem 2010 verstorbenen Regisseur Schröder und unter der musikalischen Leitung von Herbert Kauschka, hat aus dem biederen Nachkriegsplot eine „ plietsche“ Hamburg- Version gemacht, die von Spielwitz, Lebendigkeit und Emotionalität nur so sprüht. Und das Thema der Operette – wieder zu sehen am 29.5. und 14.6. – ist zeitlos und aktueller, als man denkt. Eliza, überzeugend und berührend von Tina Eschmann dargestellt, eine Blumenverkäuferin vom Hamburger Fischmarkt, trifft auf den Sprachprofessor Higgins und seinen Doktoranden Freddy. Die beiden denken sich ein Experiment mit Eliza als Versuchskaninchen aus, wollen ihr eine vornehme Haltung und gewählte Aussprache beibringen. Higgins und Freddy erfinden Eliza quasi neu.

Wie neu und erfolgreich soll sich dann auf einem Ball im Hamburger Rathaus zeigen. Noch spricht Eliza nämlich ein schauderhaftes Hamburger Platt, von dem sich die Akademiker mit Grausen wenden. „Es grünt so grün“ ist nicht nur eines dieser Ohrwurmstücke, sondern eine Sprechübung für Eliza. Doch wenn Eliza die Herzen der vornehmen Hamburger Herren, auch das von Freddy, im Sturm erobert, gelingt ihr das nicht wegen der erfolgreichen Manipulationen eines selbstverliebten Intellektuellen, sondern weil sie sich gerade nicht verbiegen lässt.

Sie spricht nun zwar korrektes Deutsch, bleibt aber sie selbst: ein gradliniges und liebenswertes Mädchen. „Ich bin ich, ohne Dich!“ wirft sie denn auch Higgins an den Kopf, nachdem sie seine Manipulationen entdeckt hat. Eine mutige Erkenntnis, die das heutige Bedürfnis nach Imagepflege und perfekter Verwandlungskunst, als das charakterisiert, was es ist: mehr Schein als Sein! Fazit: Auf zum Engelssaal in der Belle Etage und sich verzaubern lassen!

Rainer Müller-Broders, Suchttherapeut

Unter Wasser
Auch wer den Film „Das Boot“ nach dem Roman von Lothar-Günther Buchheim kennt, konnte sich im Ernst Deutsch Theater durch die Bühnenfassung des Buches zum Nachdenken anregen lassen. Auf der Bühne ein U-Boot im Querschnitt. 13 Männer vegetieren zwischen Körpergeruch und Dieselgestank und fahren in einem eisernen Sarg durch feindliche Gewässer, um ihren Kriegsauftrag zu erfüllen: Schiffe versenken. Draußen Wasser, nichts als Wasser, drinnen bedrückende Langeweile. Kein wirkliches Leben, nur sentimentale Erinnerungen an Zuhause beim Betrachten persönlicher Fotos. Keine menschliche Wärme, nur derbe Männerphantasien um Weibergeschichten – so verrinnt die Zeit zwischen Essen, Schlafen und Wache stehen. Beim Tauchgang Schweißausbrüche und Panikattacken. Keine Hoffnung auf den Endsieg, nur lakonische Scherze: Toll, der Führer hat an alles gedacht und zu Weihnachten einen Tannenbaum geschickt – der steht verloren neben den Schlafkojen.

Das Stück ist im Zweiten Weltkrieg angesiedelt, aber Krieg, Vertreibung und Rassismus reichen in unsere Zeit. Und Krieg ist ein Wirtschaftsfaktor: Deutschland verdient gut am Verkauf von Kriegsgerät, Hamburg ist ein Hauptumschlagplatz für Rüstungsgüter und damit auch das Tor zur Kriegswelt. Ein Stoff zum Nachdenken. Leider in dieser Saison nicht mehr im Spielplan.

Andreas Klaus, technischer Angestellter

Mieser Typ
In dem noch bis zum heutigen Dienstag an den Kammerspielen laufenden Stück „Seite Eins“, spielt Ingolf Lück den durchtriebenen Boulevardjournalisten Marco, dem jedes Mittel recht ist, um eine Titelstory zu bekommen. Er will die junge Sängerin Lea bekannt machen und nimmt keine Rücksichten. Am Anfang bezieht Marco das Publikum mit ein, indem er Fragen stellt und den Zuschauern seine Sicht auf die Meinungsmacher unserer Zeit schildert. Er ist der Ansicht, dass ein Meinungskartell herrsche und dass fast nur noch Political Correctness an der Tagesordnung sei.

Den Boulevardjournalismus hingegen verherrlicht er als „Stimme des Volkes“. Lück spielt diesen zynischen und hinterlistigen Boulevardjournalisten mit starker körperlicher Präsenz und stimmlich fein nuanciert von aufgeregt laut bis einschmeichelnd leise, etwa wenn er die junge Sängerin Lea am Telefon hat. Als der Zuschauer gegen Ende des Stücks schon denkt, dass Marco am Verzweifeln ist, weil er durch ungenügende Recherche bei seiner Titelstory Mist gebaut hat, überrascht uns dieser durchtriebene Typ mit dem nächsten glänzenden Einfall.

Mittels einer weiteren hanebüchenen Story setzt er der eigentlich missglückten Geschichte noch die Krone auf. Das facettenreiche Spiel von Ingolf Lück und der intelligente bissige Text von Johannes Kram machen dieses Stück sehr sehenswert.

Christiane Mahnke, Jurastudentin

Hilter Live
Finde ich das witzig? Muss ich das sehen? Fragen, die mir vor dem Besuch von „Er ist wieder da“ (Vorstellungen bis 2.6.) im Altonaer Theater durch den Kopf gingen. Zum Inhalt: Nach 66 Jahren taucht Adolf Hitler wieder in Berlin auf, in einer für ihn unbekannten Welt mit EU, Smartphone, Internet und einer Frau an der Regierungsspitze. Er wird von Fernsehmachern entdeckt und macht das, was er schon früher getan hat: Er nutzt die Medien für Propagandazwecke. Die Fernsehmacher freuen sich, die Quote stimmt schließlich, und lassen ihn seine „alte“ Ideologie verbreiten. Dass das alles ziemlich komisch ist, liegt vor allem an Hitler-Darsteller Kristian Bader, der seine Figur durch das heutige Berlin stolpern und sie darüber staunen lässt, was sich alles verändert hat.

Dabei parodiert Bader seine Hauptfigur nicht, sondern nimmt sie ernst und hat sich offensichtlich intensiv mit Mimik, Gestik und der Aussprache von Hitler – speziell in seinen Reden – auseinandergesetzt. Grandios. Das Stück verharmlost nichts, sondern beschäftigt sich mit dem „Was wäre wenn“. Ja, mir ist auch mal das Lachen im Halse steckengeblieben, aber laut und viel gelacht habe ich, so wie alle anderen Zuschauer, ziemlich oft. Es war ein ganz besonderer Theaterabend, der aber auch nachdenklich machte. Gut, dass ich dort war. Ich finde: So soll Theater sein.

Kathrin Schwäbe, Polizeibeamtin

Volkstheater
Das Leben beginnt, wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Hund tot ist. Glücklich aufatmend wollen Elli und Georg Böckmann in „ Hartlich willkamen“ (derzeit nicht mehr auf dem Spielplan des Ohnsorg Theaters) nun das Leben genießen und sich ihren Hobbys widmen. Doch da platzen die alten Eltern in diese Idylle. Erst Alfred, Ellis Vater, dann Grete, Georgs Mutter, jeweils auf unbestimmte Zeit. Sie bringen den Haushalt durcheinander, müssen versorgt und getröstet werden. Dazu noch Ruth, Alfreds giftig nervende Gattin.

Schließlich beginnt Georg nach einer neuen Bleibe zu suchen, während seine Frau zwischen der Tür und dem unentwegt klingelnden Telefon hin und her saust und allen gerecht werden will. „Wir sind die Sandwich-Generation“ klagt sie. „Oben die alten Eltern, unten unsere Kinder und dazwischen gequetscht, wir. Wir möchten die Alten nicht kränken, aber wir wären sie gerne mal wieder los.“ Kreischend lacht das Publikum über den energiegeladenen Alfred, dessen Tatendrang schließlich einem Kurzschluss zum Opfer fällt. Ende gut, alles gut. Spritziges Theater, witzige Dialoge, typische Altersgebrechen und diese deutlich beim Namen genannt. Das darf man im Ohnsorg, es ist nun mal ein Volkstheater. Vieles kam mir geradezu erschreckend bekannt vor.

Renate Pötter, Rentnerin

Bilderwelten
Der Zauber der Bilder der kostbaren Sammlung des Schweizer Ehepaares Hahnloser, ist er überholt worden von der digitalen Bilderflut, die täglich auf uns einprasselt? Offen gesagt, die Ausstellung „Verzauberte Zeit“ in der Kunsthalle (noch bis 16.8.) hat mir nicht gefallen. Für mich war der Anblick der 200 Werke ermüdend und ermattend. Warum? Es war zu sehr eine Aneinanderreihung von besonderen Bildern, mit besonderen Strichen, die die besondere Phase des besonderen Künstlers eingeläutet haben.

Ein Picasso ist im Übrigen nicht zu finden neben Cézanne, van Gogh, Bonnard, Manguin, Giacometti, weil er und die Sammlerin Hedy Hahnloser-Bühler sich nicht sympathisch waren. Jedoch viele andere Künstler waren zu Gast in der Villa Flora in Winterthur. Bei dem Ehepaar Hahnloser traf man sich dienstags zum Kaffee und diskutierte. Die Magie der damaligen revolutionären Zeit ist für mich nicht spürbar gewesen.

Es fehlte mir das Ambiente der Villa. Die Einführung zu Beginn der Ausstellung war mir zu wenig, der Film zum Ende war mir zu lang. Mein Tablet für die Microwebsite hatte ich nicht dabei, und den Audioguide nehme ich meist nicht. Grundsätzlich versuche ich, Ausstellungen einfach so auf mich wirken zu lassen, ohne dass mir jemand mitteilt, wie ich Bilder zu sehen habe. Aber es gab um mich herum viele Besucher, die begeistert waren.

Sabine Dierks, Leiterin Seniorenwohnanlage