Jens Meyer-Odewald

Hamburg

Die größten Feinde der Bundeswehr lauern in den eigenen Reihen. Es sind Disziplinlosigkeit und die Gier nach Geld. Denn immer mehr Soldaten bessern ihren Sold mit teilweise üppig dotierten Nebenjobs auf. Allein an der Universität der Bundeswehr in Hamburg sollen 200 der 1800 Soldaten "finanziell fremdgehen". Der wirtschaftliche Schaden wird auf mehr als zehn Millionen Euro geschätzt. Jährlich.

Da speziell höhere Dienstgrade aus dem Lager der Offiziersanwärter und Offiziere betroffen sind, ist Gefahr im Verzug. Längst hat sich das Verteidigungsministerium eingeschaltet, auch der Wehrbeauftragte, Wilfried Penner (SPD), wurde bei seinem jüngsten Hamburg-Besuch schriftlich mit den Vorfällen konfrontiert. Die CDU Hamburg will auf ihrem Landesparteitag am Sonnabend beschließen, den Verteidigungsausschuss des Bundestages anzurufen.

Interne Bundeswehrermittlungen gegen Studenten mit Nebenjobs ergaben, dass vor allem der Hamburger Finanzdienstleister Tecis mit fetten Provisionen lockt. Dem Hamburger Abendblatt liegen vertrauliche Dokumente vor. Danach sind in Hamburg 110 Disziplinarfälle aktenkundig; mehr als zehn Offiziere stehen wegen illegaler Nebeneinnahmen vor dem Truppendienstgericht. Weitere Anklagen sollen folgen.

"Die Problematik ist akut", sagt Oberst Cord Schwier, Leiter der militärischen Universitätsabteilung. "Nach einem jahrelangen Kleinkrieg muss jetzt durchgegriffen werden." Während in den Bundeswehr-Hochschulen vermehrt Nachforschungen angestellt werden, arbeiten Experten des Ministeriums eifrig daran, strengere Gesetzesgrundlagen für Nebentätigkeiten zu schaffen.

Derzeit gilt folgende Regelung: Soldaten, die weniger als acht Stunden pro Woche nebenher arbeiten und dabei weniger als 100 Euro verdienen, müssen diesen Zusatzerwerb beim Vorgesetzten anzeigen. Wer darüber liegt, muss sich den Job genehmigen lassen. Aber kaum einer tut das. Geheimen Listen zufolge beträgt die Zusatzeinnahme monatlich zwischen 2000 und 10 000 Euro. Zum Vergleich: Ein Leutnant erhält etwa 1500 Euro monatlich. Kein Wunder, dass bei so viel nebenberuflichem Mammon manchem Studiosus in Uniform der Sinn nicht mehr nach Büffeln steht. Nicht wenige wollen dem Lockruf des Geldes unverzüglich folgen und die Bundeswehr verlassen. Voraussetzung für das teure und vom Staat finanzierte Hochschulstudium ist aber eine Verpflichtung von zwölf oder mehr Jahren. Durchaus verständlich, weil sich die Bundeswehr die Aufwendungen anschließend nur so nutzbar machen kann. Wer auf Rechnung der Armee studiert, muss dort danach auch Leistung bringen.

Muntere Nebenjobber empfinden diese Praxis als Fessel. In einem Dossier listet die Bundeswehr auf, welche Auswirkungen die "Nebentätigkeiten im Studentenbereich" haben. Die Bilanz verblüfft: 32 Studienabbrüche basieren auf Nebenjobs; hinzu kommen 18 Anträge auf Überschreitung und Rückstufung der Studiendauer. Verheerender noch: Angeblich haben sich elf Soldaten, die mit Tecis in Verbindung stehen, an die psychiatrische Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses gewandt. Das Ziel angeblich: "Weg vom Bund, hin zu Tecis." 36 Fälle führten zu Disziplinarmaßnahmen oder Verhandlungen vor dem Truppendienstgericht. Zudem liegen 30 Beschwerden und Eingaben vor.

Hier sieht sich die Bundeswehr nicht nur mit Betroffenen, sondern mit Experten einer renommierten Anwaltssozietät aus Harvestehude konfrontiert. Auftraggeber ist der Finanzdienstleister Tecis, den die Leitung der Bundeswehr-Hochschule für den Verursacher der aktuellen Probleme hält. "Keiner hier hat etwas gegen nebenberufliche Finanzaufbesserungen im bisher gewöhnlichen Rahmen", meint ein ranghoher Offizier zum Abendblatt. "Die Anwerbe- und Baggermethoden der Firma Tecis aber haben absolut professionelles Niveau." Die offizielle Angabe von 110 betroffenen Soldaten allein in Hamburg sei "die Spitze eines Eisberges".

Tatsächlich spricht ein "Tecis-Aussteiger" von "knallharten Geschäftsmethoden". Zukünftige Mitarbeiter seien aufgefordert worden, Listen mit präzisen Angaben über Verwandte, Kollegen und Freunde anzufertigen. Andere Offiziere sprechen von massiven Verkaufsgesprächen in Vorlesungspausen und in der Kantine. Ein ehemaliger Tecis-Mitarbeiter fühlte sich sogar "an Praktiken der Scientology-Sekte" erinnert. Tenor der Aussagen mehrerer Offiziere: "Tecis stört den Studienfrieden."

"Gegen pauschale Angriffe lässt sich nicht vernünftig argumentieren", entgegnet Tecis-Vorstandschef Christian Steinberg, "aber natürlich haben wir mit den Scientologen nichts gemein." Tatsächlich handelt es sich bei der in Wandsbek ansässigen Firma um ein börsennotiertes Unternehmen, das im Jahr 2000 vom US-Magazin "Forbes Global" unter die Top 20 der kleinen Unternehmen der Welt gewählt wurde. Das Fachblatt "AktienResearch" schreibt im Juli 2001: "So schaffte es Tecis nicht nur innerhalb von 15 Jahren vom zwielichtigen Strukturvertrieb zum seriösen Finanzdienstleister, sondern auch innerhalb von zwei Jahren vom Börsenneuling zum MDax-Wert." Meist werden Aktienfonds angeboten. Die Vermittlung beschere derart lukrative Provisionen, so führende Hochschul-Offiziere, dass "das Betriebsklima dahin sei und das Studium schleifen gelassen" werde.

Tecis-Boss Steinberg äußert sich verblüfft zu den verbalen Angriffen der Bundeswehr. "Beide Seiten haben Regularien festgelegt, nach denen ein gedeihliches Miteinander möglich ist." Unterstellungen, seine Firma halte sich nicht an Abmachungen, seien "Blödsinn". So sei die Bundeswehr seit "18 Monaten nicht mehr auf mich zugekommen".

Diese Äußerung stößt auf Widerspruch. Bei einem Treffen zwischen Steinberg und der Hochschul-Führung Anfang 2001 sei eine Amnestie für verdächtige Tecis-Mitarbeiter vereinbart worden. Im Gegenzug habe sich das Unternehmen schriftlich verpflichten müssen, ausschließlich Offiziere zu beschäftigen, denen eine ausdrückliche Genehmigung erteilt worden sei. "Auf die Bestätigung dieser Vereinbarung warten wir trotz Mahnung bis heute", sagt Oberst Schwier.

Kollegen von ihm verweisen auf den "immensen volkswirtschaftlichen Schaden". Ihren Rechnungen gemäß koste ein Bundeswehr-Studium pauschal 1,5 Millionen Euro. Allein 32 Studienabbrüche durch Nebentätigkeit summieren sich auf fast 50 Millionen Euro. Von der Moral in der Truppe ganz zu schweigen.

Trotz der Vorwürfe will Tecis an der freien Mitarbeit der Offiziere festhalten. Zumal manche länger bleiben: Vier der 18 Tecis-Manager sind ehemalige Offiziere. "Warum auch nicht?", fragt Christian Steinberg.

Gestern kamen Vorbehalte auch von politischer Seite. "Die Goldader, die sich allein aus der Zugehörigkeit zur Bundeswehr und dem Zugang zu den Kameraden begründet, scheint so lukrativ zu sein, dass Bundeswehrangehörige mit vielen Mitteln versuchen, die Bundeswehr vor Ende der Dienstzeit zu verlassen", sagt der CDU-Ortsvorsitzende Peter Schmidt. "Das ist für die Steuerzahler untragbar." Der Parteitag der Hamburger CDU am Sonnabend soll den Weg für eine Untersuchung durch den Verteidigungsausschuss ebnen.

Nach Meinung der Bundeswehr ist Eile geboten. "Das Problem greift jetzt auch auf Truppen- und Offiziersschulen über", sagt ein hoher Offizier. "An der Panzertruppenschule in Munster durfte ein Tecis-Mann zuletzt gar ein Seminar nutzen."

"Beide Seiten haben Regularien festgelegt, nach denen ein gedeihliches Miteinander möglich ist." Tecis-Boss Steinberg

Wer auf Rechnung der Armee studiert, muss dort danach auch Leistung bringen.

Allein 32 Studienabbrüche durch Nebentätigkeit summieren sich auf fast 50 Millionen Euro.

36 Fälle führten zu Disziplinarmaßnahmen oder Verhandlungen vor dem Truppendienstgericht.