Annette von Rantzau

Wenn man den griechischen Geschichtsschreiber Thukydides aus der Rede des Perikles an die Athener anlässlich des Peloponnesichen Krieges zitieren hört, hat man keineswegs den Eindruck, sich im Jahre 424 v. Chr. zu befinden, sondern in unserer hochaktuellen Situation.

"Derjenige, der an den gemeinsamen Dingen der Gesellschaft nicht Anteil nimmt, ist kein stiller Bürger, sondern ein schlechter", heißt es da.

Für Perikles war das klärende Wort, die bedachte Rede, bevor man zur nötigen Tat schreitet, eine wichtige Voraussetzung. Damit hat er wohl Recht. Entscheidend jedoch ist in jedem Falle, dass dann das eigene aktive Tun folgt und das wohl heute in besonderem Maße.

Geredet wird überall, die wahre, die echte große Politik wird inzwischen in den Talkshows gemacht. Bei den drei Damen vom Politgrill Christian-sen, Illgner und Maischberger sitzen sowieso immer wieder die Gleichen in der ersten Reihe und reden vom Kampf gegen den Terror, vom Sieg des Guten, vom Ende der Spaßgesellschaft und dem Beginn der neuen Ernsthaftigkeit. All jene, die in der Politik nicht wirklich etwas zu sagen haben, dürfen von Zeit zu Zeit mal im Reichstag reden.

Was hat der 11. September wirklich verändert?

Aber was wird denn wirklich getan, um diese Werte, die wir so lautstark beschwören, auch zu leben?

Weihnachten ist gerade vorbei und der Jahreswechsel steht vor der Tür. Gerade jetzt gäbe es die Chance der Besinnung - findet sie statt? Was hat der 11. September in unserem persönlichen Leben wirklich verändert - diese Frage wird jeder für sich selbst beantworten müssen. Aber eines ist sicher: die Bedeutung des Religiösen in der Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem Osten bringt in unserer säkularen Gesellschaft religiöse Seiten in Schwingungen.

Damit das Zusammenleben mit unseren ausländischen Mitbürgern gelingen kann (in unserem Land leben inzwischen etwa drei Millionen Moslems), brauchen wir zumindest einen Dialog der auf gegenseitige Achtung lenkt. Das erfordert in erster Linie Wissen über den eigenen Glauben, um ihn selbstbewusst vertreten zu können. Aber auch die Toleranz, uns in unserer Verschiedenheit ernst zu nehmen und uns diese auch gegenseitig zuzugestehen.

Wo aber kann an dieser Stelle unser Tun einsetzen? Wie kann man den freien Bürger in seiner sozialen Kompetenz stärken, damit er seine Lust zur Nächstenliebe leben kann?

Es gibt viele Möglichkeiten, sich sozial zu engagieren

Erstaunlicherweise brauchen wir gar nicht so weit zu schauen oder zu suchen. Es gibt in unserer Gesellschaft eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich sozial zu engagieren, und sie sind für jeden greifbar, der helfen möchte. Wir müssen nur unser Bewusstsein öffnen für die Tatsache, dass wir in einer Gemeinschaft leben, die auch von gemeinsamen Werten getragen wird. Allein leben ist unmenschlich.

Wir im Westen verteidigen zwei Werte, die im Grunde nicht deckungsgleich sind: das Christentum und die Menschenrechte. Das heißt auf der einen Seite die Feindesliebe, wie die Bergpredigt sie lehrt, und auf der anderen Seite der unbedingte Schutz der Würde aller Menschen.

Nur sehr wenigen Organisationen gelingt es, diese beiden Gegensätze in Einklang zu bringen. Eine davon ist sicherlich das Rote Kreuz, dessen weltweite Gemeinschaft von Menschen, wie man gerade auch kürzlich im Afghanistankrieg gesehen hat, uneingeschränkte Anerkennung gefunden hat. Menschen setzten sich ein für das Leben, die Gesundheit, das Wohlergehen, den Schutz, das friedliche Zusammenleben und die Würde aller Menschen.

Hilfeleistungen ohne Ansehen der Nationalität

Gerade die Konzentration auf unparteiliche Hilfeleistung ohne Ansehen der Nationalität, der Rasse, der Religion, der sozialen Stellung, oder der politischen Überzeugung, allein nach dem Maß ihrer Not und allein im Zeichen der Menschlichkeit sollte vielen Hilfswilligen die Kraft geben sich einzusetzen.

Was sagte Perikles zu seinen Athenern? Ein stiller Bürger ist ein schlechter Bürger.