Warum machen Computer-Spiele Spaß? Ein Workshop an der Uni Lüneburg suchte nach wissenschaftlichen Antworten.

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armlos wirkt der silberfarbene Kasten im zweiten Stock des Rechenzentrums der Universität Lüneburg. Etwas kleiner und höher als ein Tischkicker, ist in der Mitte des Metallkubus ein Monitor eingelassen, auf dem das Ur-Spiel "Pong", eine primitive Tennisvariante, zu einer Partie einlädt. Über ein Drehknopf steuern die Spieler den Schläger, ihre linke Hand müssen sie auf eine kleine Fläche am Rand der Platte legen.

Doch die "PainStation", so heißt das Gerät, ist alles andere als ein lustiges Vergnügen. Immer wieder schreien die Spieler vor Schmerz auf, denn wenn sie den Ball verfehlen, drohen ihren Händen Stromstöße, Hitze oder Hiebe durch eine rotierende Mini-Peitsche. Im Laufe der Partie steigen Spielgeschwindigkeit und Qual-Dosis. Wer zuerst die Hand vom Tisch nimmt, hat das digitale Duell verloren.

Die "PainStation" gehörte trotz des eher masochistischen Einschlags zu den beliebtesten Spielen, die auf der "HyperKult X" die Theorie in die Praxis umsetzen sollten. Rund 80 Teilnehmer waren zu dem dreitägigen Workshop der Fachgruppe "Computer als Medium" erschienen. Dabei ging es weniger um Technik oder brandneue Programme als vielmehr um philosophische Aspekte der Bildschirm-Daddelei. "Seit Internet und Spiele zusammenwachsen, finden Computerspiele immer größeres Interesse in der wissenschaftlichen Diskussion", so Martin Warnke, HyperKult-Veranstalter und Leiter des Faches Kulturinformatik über den Themenschwerpunkt 2001.

Möglichst viele Monster töten oder neue Streckenrekorde auf digitalen Rennstrecken einzufahren, sind nach Claus Pias von der Bauhaus-Universität Weimar nur vordergründige Ziele der Spiele. Pünktlichkeit und Geschicklichkeit seien die eigentlichen Pflichten des Spielers, deren Missachtung mit einem symbolischen Tod bestraft werde. Ob es dabei um niedliche Jump&Runs oder blutige Metzeleien geht, sei dabei unerheblich. Reizvoll am Spiel seien bei Actionspielen die schnelle Rückkopplung, Reaktionen zu lernen und neue Terrains zu erobern, ergänzt Organisator Warnke. "Der Computer ist die ideale Konditionierungsmaschine." Die Lust am Spiel sei vergleichbar mit dem Spaß, den Kinder haben, wenn sie laufen oder lesen lernen.

Juristen und Erzieher können eigentlich nur neidisch auf die Programmierer schauen: Im Spiel unterwerfen sich Jugendliche und Erwachsene freiwillig den Regeln des Computers, lassen sich für Fehler bestrafen und scheinen auch noch glücklich dabei. "Die Freiwilligkeit ist ein entscheidender Punkt", so Warnke. Im Spiel könne der Umgang mit Regeln ausgelebt werden. Wilde Ballerei oder Verfolgungsjagden geraten in der Realität schnell an ihre Grenzen. Am Computer lassen sich diese Regeln dagegen übertreten. "Der Spieler kann durch Schummeln oder Aufhören sogar die Regeln kontrollieren."

Simulations- und Strategiespiele versetzen den Spieler in eine andere Welt, die ihm gottähnliche Züge verleiht, beschreibt die Kasseler Wissenschaftlerin Karin Wenz den Reiz. Das Spiel "Black & White", in der der Spieler als Gott eine Welt aufbauen und beherrschen kann, treibe diesen Aspekt auf die Spitze: "Hier kann auch ein sadistischer Gott zum Erfolg gelangen."

Warum Computerspiele scheinbar Männersache sind, dazu brachte der Workshop keine klare Antwort. "Empirisch ist es nicht belegt, dass geschlechtsspezifische Unterschiede im Spielverhalten existieren - weil es schlicht überhaupt keine Untersuchungen dazu gibt", wie Gesa Mietzner bei ihren Recherchen feststellte.

Die Bremer Kulturwissen-schaftlerin hat ihre Magisterarbeit über "Frauen und Computer" geschrieben und vermutet fehlende Identifikationsmöglichkeiten mit den Spielfiguren als Ursache für die fehlende Lust der Frauen am Spielen mit der Maus.

Heldinnen wie Lara Croft ("Tomb Raider") und Rynn ("Drakan") bieten neuerdings Vorbilder nach dem Motto "wehrhaft und trotzdem weiblich". Trotzdem hätten Männer noch immer ein "lustvolleres Verhältnis zur Technik", glaubt Martin Warnke.

Doch mit Netzwerk- und Online-Spielen sieht Warnke neue Formen der Kommunikation entstehen, die auch für Frauen interessant seien. Statt allein gegen die Maschine anzutreten, schließen sich die Spieler im Internet oder auf Netzwerk-Partys zu Mannschaften zusammen, bilden Ligen und tragen Meisterschaften aus. Die Verhaltensmuster ähneln denen des Fußballplatzes. "Die Spieler verständigen sich über Körperbewegungen ihrer Figuren, über Sprache und Texte", beschreibt der Berliner Künstler Florian Muser das soziale Verhalten am Bild-schirm. Muser spielt im Netz, seit Mitte der 90er-Jahre Schieß-Spiele wie "Doom" oder "Quake" ihre Arenen für mehrere Kontrahenten gleichzeitig öffneten. Dass es dort meist um das Töten von Menschen geht, interessiere die Spieler nicht, glaubt Muser, "denen geht es um den Wettkampf".

Mit der 3D-Software von "Quake" kombinierte Muser Spiele mit Kunst, indem er die Hamburger Galerie der Gegenwart auf vier vernetzten Rechnern virtuell begehbar machte. Während einer Ausstellung in dem Gebäude konnten die Besucher über die Rechner miteinander in Kontakt treten oder die Exponate in Schutt und Asche legen.

Nicht nur die Kunst versucht, das kreative Potenzial, das Computerspiele freisetzen können, für ihre Zwecke zu nutzen. So sollen im Arbeitskontext Bürosoftware mit spielerischen Elementen wie helfende Büroklammern oder das Kartenspielchen "Solitär" den Eindruck vermitteln, die Arbeit an Tabellen oder Texten sei ein Vergnügen.

"Alles Fassade, die dem Anwender suggerieren soll, es ginge um seine Interessen", urteilt Warnke. "Auch wenn eine Bank ein Spiel an ihre Kunden verbreitet, geht es im Grunde um deren Geld."

Auch Natascha Adamowsky von der Berliner Humboldt-Universität bezweifelt in ihrem schriftlich eingereichten Beitrag, dass sich der in unserer spielfeindlichen Kultur verankerte strenge Gegensatz zwischen Arbeit und Freizeit, Spaß und Ernst so ohne weiteres überwinden lässt: "Es wird immer ein Problem mit digitalen Spielformen geben, solange uns das Spielen selbst problematisch ist."

"Die Lust am Spiel ist vergleichbar mit dem Spaß den Kinder haben, wenn sie laufen oder lesen lernen."

"Mit Netzwerk- Spielen entstehen neue Formen der Kommunikation. Die sozialen Muster ähneln denen des Fußballplatzes."