Die Eltern glaubten an die “Neue Medizin“, an Wunderheiler. Sie holten die kranke Tochter aus dem Krankenhaus, flohen quer durch Europa. Erst als ihnen das Sorgerecht entzogen wurde, konnte Olivia operiert werden - heute ist sie geheilt.

Sie ist eine kleine Schönheit geworden in den vergangenen sechs Jahren. Schlank und zart. Olivia Pilhar. Heute 13 Jahre alt - und quietschvergnügt. Eine modebewusste junge Dame, deren Styling den Hang zur Klasse verrät. "Olli", wie sie von ihren Freunden gerufen wird, trägt Glockenhosen von Versace in der Farbe ihrer dunklen langen Haare. Und sie quillt förmlich über vor Lebensfreude.

Wenn ihr Lachen über den Schulhof der Computerschule von Maiersdorf bei Wien schallt, freuen sich die Lehrer und die Mitschüler der sechsten Klasse. Olli, die gern im Internet surft, die genau so viele Freunde im Internet wie in der realen Welt ihr Eigen nennt. Die gern zum Shoppen mit der Mutter die 40 Kilometer nach Wien fährt, die sich dann die neuesten Filme aus der Traumfabrik Hollywood anschaut. Olli hat den Tod aus ihrem Leben verbannt.

Die Eltern Helmut (36) und Erika Pilhar (34) waren 72 Tage lang mit ihrer Tochter auf der Flucht. Millionen Menschen in ganz Europa waren betroffen, haben geweint und gebetet, als sie die Bilder des Krebskindes in den Medien sahen. Ein fußballgroßer Tumor im Bauch des Kindes. Mehr als sechs Kilo schwer - und dazu immer wieder dieses Gefasel des selbst ernannten Wunderheilers, der nach der Flucht der kleinen Olivia ins Gefängnis musste und sich schon lange nicht mehr Doktor nennen darf: Geerd Ryke Hamer (66). Bei dem todbringenden Geschwür handele es sich keinesfalls um einen Tumor über der Niere, sondern um einen nicht ausgelebten Konflikt. Den müsse man einfach gehen lassen wie er gekommen ist. Vielleicht ein wenig Salbe. Mehr nicht.

Deshalb hatten die Eltern Pilhar Olivia heimlich aus dem Krankenhaus in der Wiener Neustadt geholt. Die Familie tauchte einfach ab, verschwand von der Bildfläche. Ihre 72 Tage dauernde Flucht durch Europa hielt die Menschen in Atem. Aber auch dem Ingenieur Helmut und der Lehrerin Erika Pilhar war keinesfalls entgangen, wie das todbringende Geschwür über der Niere Tag für Tag wuchs und ihre Tochter hochschwanger aussehen ließ. Olivia auf der Flucht, die Familie getrieben von einem Mann, der im Rahmen dieser Flucht die Chance nutzen wollte, die kruden Thesen seiner "Neuen Medizin" unters Volk zu bringen.

So sah ganz Europa Bilder von einer weinenden Olivia und ihrem vom Tumor aufgeblähten Bauch, der mit Salbe massiert wurde. Da mussten geschockte Eltern vor dem Fernseher erleben, wie das Kind mit schmerzverzerrtem Gesicht am spanischen Strand der untergehenden Sonne entgegenging.

In Malaga war die Flucht vorbei. Die Polizei war da, der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil eigens eingeflogen. Er holte Olivia - offenbar im letzten Moment - zurück nach Hause. Renommierte Schulmediziner aus dem Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Wien nahmen - viel zu spät - ihre Arbeit auf. Bestrahlungen, Chemotherapie. Aus seinem spanischen Versteck ätzte Hamer, dass die Ärzte das Kind nur töten wollten.

Inzwischen achtet ein ärztlicher Vormund auf das medizinische Wohlergehen des Mädchens. Die Eltern waren mittlerweile wie Wachs in den Händen Hamers. Helmut und Erika Pilhar wurden angeklagt und wegen Körperverletzung zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt (40 EVR 534/95; 40 HV 143/96; LG Wiener Neustadt). Der selbst ernannte Wunderheiler Geerd Ryke Hamer wurde in Köln wegen Verstoßes gegen das Heilmittelgesetz zu 19 Monaten Haft verurteilt, zwölf davon saß er ab.

Am 13. Juni diesen Jahres wurde Olivia zum Ende ihrer Therapie untersucht. Ein guter Befund: Das Mädchen gilt als krebsfrei. Der schlimme Feind ist besiegt. Keine Metastasen, keine Zysten, keine verdächtigen Knoten. Helmut Pilhar hat seine eigene Meinung dazu: "Die Zwangstherapien haben mein Kind unfruchtbar gemacht." Und er legt nach: "Olivia wird niemals Kinder bekommen können." Was nach Meinung der AKH-Ärzte nicht stimmt: "Das wissen wir erst, wenn Olivia die Pubertät beendet hat." Heinz Zimper, Chef der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt, die Olivias medizinischen Vormund stellt: "Erst wenn die behandelnden Ärzte mir grünes Licht geben, bekommen die Eltern das uneingeschränkte Sorgerecht zurück."

Was machen die anderen Beteiligten im Fall Olivia Pilhar? Helmut Pilhar hat mittlerweile seinen Job als Ingenieur aufgegeben, schreibt Bücher über die Hamer-Medizin und hält europaweit Vorträge, die ausgezeichnet besucht sind. Bis zu 350 Mark kassiert Olivias Vater pro Besucher. Mutter Erika arbeitet weiter halbtags als Lehrerin.

Der zynische Wunderheiler Hamer ist nach seiner Haftentlassung wieder in Spanien untergetaucht. Per Haftbefehl gesucht (AZ: 34 JS 221/96). Vielleicht sollten die Fahnder einmal im kleinen spanischen Bergdorf Allhaurin vorbeischauen. Dort lebt der Gesuchte in einem kleinen Pinienhain, gleich links hinter einem baufälligen Haus und empfängt Klienten aus aller Welt, die er "berät" und die nach Gutdünken ein Honorar dalassen.

Währenddessen verabredet sich Olivia mit ihrer Freundin. Ein spannender Zeitvertreib auf dem Abenteuer-Spielplatz, den die Eltern für sie und ihre drei Geschwister zu Hause im Schutz tief hängender Bäume im Garten angelegt haben. Olivia sagt es ohne Worte: "Es ist eine Lust zu leben." Sie sprüht vor Lebensfreude, lacht und tanzt in der Schule - und auch wenn Hamer über den Vater verbreiten lässt, dass die Schulmedizin Olivia gequält hätte, ist sich die junge Frau heute schon sicher, was sie einmal werden will: "Krankenschwester."

Olivias Berufswunsch ist wie eine Ohrfeige für den Wunderheiler.

Sie will jetzt Krankenschwester werden.

Die Eltern