St. Pauli verändert sich so schnell wie nie zuvor: Das Abendblatt stellt die Menschen vor, die Hamburgs berühmtestem Stadtviertel ein neues Gesicht geben. Eine Serie von MICHAEL SEUFERT und SEPP EBELSEDER

Die Sache mit St. Pauli begann, als er Student war. Da sagte ein Freund zu ihm: "Mensch, wenn du Geld verdienen willst, ich habe einen Job auf der Großen Freiheit, da kriegen wir zehn Mark und ein Bier." Es war Mitte der 60er-Jahre, die sexuelle Befreiung hatte begonnen, für den Bauernsohn aus dem niedersächsischen Bederkesa war es eine große Verlockung. "Wir haben nachmittags in einem Striptease-Laden in der ersten Reihe gesessen und unser Bier getrunken. Die junge Dame auf der Bühne lag auf einem Fell, rauchte und rührte sich nicht. Wenn draußen der Türsteher die Klingel drückte, weil er einen Gast gekobert hatte, fingen wir an zu johlen und zu klatschen. Die Dame strippte ein bisschen. Sobald der Mann seine Getränke bestellt hatte, war Ende der Vorführung."

Jetzt ist Dr. Hans Hellberg, 56, Vorstandsvorsitzender der "B & L Immobilien AG", wieder auf dem Kiez aktiv. Er ist dabei, ein Bürohochhaus am Eingang der Reeperbahn zu bauen. Dort, wo heute der Betonklotz der ehemaligen Bowlingbahn steht, hässlich, aber höchst lebendig - ist doch hier die Heimat vom "Mojo Club", von der "Mandarin-Lounge" und vom "Phonodrom".

200 Millionen Mark will Hellberg hier investieren. Er hat unter anderen den deutsch-amerikanischen Architektur-Guru Helmut Jahn aus Chicago an die Elbe geholt, der einen großen Wurf abgeliefert hat. Zwei L-förmig verbundene, 14-stöckige Gebäude mit einer transparenten Glasfassade und einer kühnen Dachkonstruktion. "Wir wollen ein neues Hamburger Wahrzeichen schaffen.

Etwas ganz Leichtes. Im typischen Backstein wäre es viel zu massig." Der Komplex wird weit in die Reeperbahn hineinragen, so dass der Spielbudenplatz wieder wirklich als Platz erkennbar wird. Beide Gebäudeteile werden durch Glasbrücken verbunden, so dass optisch ein Tor entsteht - eine Erinnerung an das Millerntor, mit dem hier die Hamburger Obrigkeit ihren St.-Pauli-Bürgern bis Silvester 1860 den abendlichen Zutritt zur Altstadt versperrte.

Den Standort hält Hellberg für einen Glücksfall. "St. Pauli ist für Hamburg ein großer Wirtschafts-faktor, genauso wichtig wie der Hafen und vom Image attraktiver als die Alster und der Michel. Wo gibt es schon eine solche Mischung aus Nachtleben, Entertainment und Events? St. Pauli und Reeperbahn sind international bekannte Markenbegriffe und so viel wert, dass man sie mit Geld nicht bezahlen kann. Aber das städtische Marketing könnte sehr viel besser sein."

Für die Entwicklung von Großprojekten in kritischen Lagen hat Hellberg ein Händchen. Er war am Bau des "Wandsbek Quarree" beteiligt wie am "Mercado" in Ottensen und am Musical-Theater "Neue Flora". Seinerzeit Europachef von "Jones, Lang + Wotton" war er schon 1990 beim Poker um das Grundstück an der Reeperbahn dabei. Damals erhielt Konkurrent Dabelstein für ein paar Millionen mehr den Zuschlag. Später übernahm eine schwedische Versicherung die Immobilie und plante ein großes Entertainment-Center mit Kinos, Restaurants, Tanzpalästen und Ladenstraße. Doch das Projekt strandete, es fanden sich keine Investoren.

"Im vergangenen Dezember haben wir das Grundstück für 34 Millionen Mark erworben." Als hochmodernes Bürohaus mit atemberaubenden Ausblicken auf Hafen, Elbpark und Reeperbahn, die U-Bahn direkt vor der Tür, wird es eine begehrte Adresse sein, da ist sich Hellberg sicher. "Die heutigen Entscheider in den Unternehmen sind zwischen 35 und 45 Jahre alt, die haben keine Vorbehalte mehr wie früher, zumal sich St. Pauli vom reinen Rotlichtviertel weit entfernt hat."

Wie das Erdgeschoss gestaltet werden soll, darüber wird noch nachgedacht. Es gäbe eine Reihe von Bewerbern mit interessanten Konzepten. Für den "Mojo Club" wären die Mieten unbezahlbar, aber, so Hellberg, "wir wissen, welche Bedeutung der Club für die Jugend hat. Vielleicht gibt es eine Lösung in den Garagengeschossen. Dafür müsste die Stadt auf einen Teil der verlangten Stellplätze verzichten. Darüber diskutieren wir."

Dass er international agierender Unternehmer und nicht Landwirt wurde, hat er seinem Vater zu verdanken. "Der hat gesagt, der Junge kann lernen, also soll er lernen. Den Ältesten vom Hof zu lassen, das war damals für einen Bauern eine ganz ungewöhnliche Entscheidung." Hellberg hat dann in Hamburg und Amerika Volkswirtschaft studiert. Weil er schon als Schüler so gut Englisch sprach, schenkte ihm seine Tante in New York nach dem Abitur 1964 eine Schiffspassage auf der "Hanseatic". Zweieinhalb Monate lebte er dort und lernte an der "New York Business School" einen Professor kennen, dessen Vorfahren aus Bederkesa stammten. Der gab ihm den Rat, in Hamburg mit dem Studium zu beginnen und dann zwei Semester in New York zu verbringen. "Genau so habe ich es gemacht, und es hat mich persönlich sehr geprägt."

Nach der Promotion in Hamburg arbeitete er in einem privaten Forschungsinstitut unter anderem für das Bundesbauministerium in Bonn, wurde Berater der brasilianischen Regierung für Regionalpolitik und Städtebau. Dann engagierte ihn der mächtige "Neue Heimat"-Chef Albert Vietor als Geschäftsführer der "Neuen Heimat International". "Zu der Zeit brannte dort schon der Dachstuhl. Ich habe drei Jahre lang aufgeräumt und Schaden begrenzt." Als Nächstes wurde er als Trouble-Shooter nach Düsseldorf geholt, wo er 47 000 "Neue Heimat"-Wohnungen in die "Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen" einbrachte. Doch die Rolle als beamteter Unternehmer schmeckte ihm nicht. "Es gab gleich ein klein kariertes Kompetenzgerangel mit dem Minister." So griff er zu, als das Angebot von "Jones, Lang & Wotton" kam.

1993 schließlich gründete er mit den Immobilien-Investoren Albert Büll und Dr. Cornelius Liedtke eine Firma, die heute Tochtergesellschaft der "B & L Immobilien AG" ist. Ende Mai machte er wieder Schlagzeilen. Da kaufte die B & L gemeinsam mit der Hamburgischen Landesbank fünfzig Prozent der "Landesentwicklungsgesellschaft Schleswig-Holstein" mit 18 000 Wohnungen.

Vielleicht liegt es an seinem Hobby, dass er so geduldig auf den richtigen Zeitpunkt für ein gutes Geschäft warten kann. Schon als Sechsjähriger ist er mit seinem Großvater auf die Jagd gegangen. Von dem hat er auch das Revier in Bederkesa geerbt, in dem er sich heute mit seinen Freunden trifft, einem Hühnerzüchter und einem Tischlermeister. "Für mich ist das reine Erholung. Man ist draußen, weit weg vom Telefon und kann nachdenken. Anschließend trinken wir in der Kneipe Bier und Korn und reden über alles, nur nicht über den Beruf."

Bei der Jagd lernt man auch, verpassten Chancen nicht nachzuweinen. So wie auf St. Pauli, am anderen Ende der Reeperbahn, als es um den Verkauf des "Niebuhr"-Hochhauses ging. "Ich habe der Familie damals einen Preis genannt. Die Herren aus dem Rotlichtmilieu haben mehr geboten. Da heißt es dann, weg ist weg, auf zu neuen Ufern."

Nun ist er eben am Millerntor vor Anker gegangen.