Von KARSTEN BROOCKMANN

"Hamburg ist die dämlichste, vertrotteltste Stadt Europas. Wenn man die Einträge liest, dann glaubt man, dort wohnen lauter Vollidioten", war jüngst im virtuellen Gästebuch des Hamburger Senats zu lesen. Den Mut, sich offen zu der Meinung zu bekennen, hatte W. W. aus W. freilich nicht und beschränkte sich auf Initialen. Das Internet machts möglich.

"Na, na", mahnte Online-Redakteur Dieter Obele aus der Staatlichen Pressestelle 20 Minuten später süffisant im World Wide Web (www). "Bitte bedenken Sie, dass sich hier nicht nur Hamburgerinnen und Hamburger mit Einträgen zu Wort melden. Allgemeine Rückschlüsse auf die Intelligenz der Hanseaten sind deshalb . . . unintelligent."

Obele hat schon ganz andere Online-Schlachten geschlagen und dabei vor allem eines gelernt: "Früher hätte ich den Beitrag vielleicht gelöscht. Aber so etwas hat die Leute erst recht provoziert. Es gab regelrechte "Hase und Igel"-Spielchen. Gelöschte Beiträge wurden erneut 20-mal geschickt. Ich habe sie wieder gelöscht, und sofort kamen 50 zurück. Mir wurde Zensur vorgeworfen. Andere Gäste beschwerten sich über Beiträge, die stehen geblieben waren. Jetzt lösche ich nur noch üble Beleidigungen und strafbare Äußerungen, beispielsweise mit volksverhetzendem Charakter."

In schweren Fällen werden die Beiträge an die Polizei weitergeleitet. So ein Eintrag von A. H. (für Adolf Hitler?) aus Braunau (!), der vor zwei Wochen die Hundeverordnung als "Rassegesetz" bezeichnete und seinen Beitrag mit "Heil dem deutschen Schäferhund" unterschrieb.

Die Hamburger Hundeverordnung war die Feuertaufe für Dieter Obele, der sich ursprünglich nur nebenbei um das Gästebuch kümmern sollte. Doch als die Diskussion im Sommer begann, war es mit der Disziplin im Netz vorbei. Das Gästebuch, in das sich bis dahin vor allem ehemalige Hamburger aus aller Welt eingetragen hatten, mutierte zum dauerbe-treuten Diskussionsforum, in dem auch Obele kräftig beschimpft wurde.

"Ich musste mich schon zügeln. Wenn man angemacht wird, neigt man dazu, emotional zu reagieren", sagt der eher besonnene 44-Jährige. Sein größter Fehler sei es gewesen, sich am Anfang inhaltlich in die Hundedebatte einzumischen. Das brachte ihm Feinde und "geht gar nicht", weiß er heute.

Um den Wildwuchs im Netz in den Griff zu kriegen und das Gästebuch wieder zu dem zu machen, was es war, richtete die Stadt Anfang des Jahres unter hamburg.de drei weitere Foren ein. Das schuf erneut Probleme. Schon zwei Monate später musste das neue Flirtbuch wegen Obszönitäten vorübergehend geschlossen werden. Derzeit ist es auf Bewährung geöffnet.

"Die Chance, die das Internet jedem bietet, seine Meinung zu äußern, ist letztlich höher zu bewerten als die Gefahren. Deshalb muss man damit leben, dass sich auch Spinner eintragen", verteidigt Obele den Schritt. Er ist stolz darauf, dass Hamburg zu den wenigen Großstädten gehört, die die Einträge nicht einfach unkommentiert stehen lassen, sondern aktiv helfen. Jede Frage wird mit einem Rat, einer Adresse oder einer Telefonnummer aus dem Rathaus beantwortet. Und dabei bleibt noch Zeit für Humor.

So wünschte die Redaktion der Staatlichen Pressestelle jüngst einem gewissen "Brunner", der angeblich im Krankenhaus liegt, gute Besserung. Ein Teilnehmer hatte im Gästebuch darüber berichtet. "Ob es Brunner wirklich gibt, weiß ich nicht sicher", sagt Dieter Obele mit einem Lächeln. Doch schaden könne der Genesungswunsch bestimmt nicht.

Ein bisschen mehr Gelassenheit habe er durch den Umgang mit dem Gästebuch gelernt, resümiert der Journalist, der ohne eigenes Zutun inzwischen selbst zum Thema virtueller Gespräche geworden ist. Spekulationen, dass sogar Gedichte im Flirtbuch von ihm stammen, weist er jedoch zurück. Und auf die indirekte Essenseinladung einer "Paulinchen" aus Wolfsburg hat er sich nicht eingelassen.