Von KARSTEN BROOCKMANN

"Was soll ich sagen? Ich habe große Achtung vor der deutschen Rechtsprechung, aber dreieinhalb Jahre sind wenig", mehr sagte Kali Kaya nicht. Fast wie in Trance, die Augen verweint, verließ der Vater des kleinen Volkan gestern Mittag das Hamburger Landgericht, das kurz zuvor die Urteile im Kampfhundeprozess gesprochen hatte.

Der Hauptangeklagte Ibrahim Külünk (24) muss wegen fahrlässiger Tötung des sechsjährigen Jungen für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Gegen die Mitangeklagte Silja W. (19) verhängte das Gericht ebenfalls wegen fahrlässiger Tötung eine einjährige Jugendstrafe auf Bewährung.

Am Mittag des 26. Juni 2000 waren die beiden Kampfhunde des Paares in Wilhelmsburg über eine Mauer auf ein benachbartes Schulgelände gesprungen und über das Kind hergefallen. Ibrahim Külünk, der nur einen angeleinten Hund führen durfte, hatte die Staffordshire-Mischlingshündin Gipsy und den Pitbull Zeus zuvor entgegen amtlichen Anordnungen zusammen in den Hinterhof seines Wohnhauses geführt.

Nachdem er die Hündin losgemacht hatte, sprang diese über die Mauer. Als der 24-Jährige ihr folgte, sprang auch Zeus. Beide Hunde, in deren Mägen später Teile der Kopfhaut und der Nase des Jungen gefunden wurden, gingen sofort auf Volkan los. Als die Polizei die Hunde erschoss, war es für den Vorschüler bereits zu spät. Er starb noch auf dem Schulgelände an seinen schweren Verletzungen.

"Ich habe Gipsy mit den Händen das Maul aufgerissen und sie zurückgeworfen, dann war Zeus da. Auch ihn habe ich weggerissen. Dann ging das hin und her. Wenn ein Hund weg war, kam der andere. Sie haben immer in den Kopf gebissen", beschrieb Külünk vor Gericht seinen Versuch, den Jungen zu retten. Eine Entschuldigung an die Eltern kam ihm jedoch nicht über die Lippen.

"Ich konnte meine Gefühle im Gerichtssaal nicht äußern", sagte er einmal. Und in einem Brief an seine Freundin Silja schrieb er aus der Haft: "Die Eltern um Verzeihung zu bitten wäre unangemessen. Wäre es mein Kind, wäre das für mich wie eine Verfluchung."

"Wir hatten in der Vergangenheit wöchentlich zwischen 15 und 18 Beißvorfälle von diesen Hunden. Jetzt haben wir nur noch zwischen fünf und sechs."

Gesundheitssenatorin Karin Roth (SPD)

Ganz anders verhielt sich die mitangeklagte 19-Jährige, die seit dem Unglück ständig ein Bild Volkans bei sich trägt. "Es tut mir unendlich leid. Ich hoffe, dass Sie die Kraft finden werden, mit diesem großen Schmerz zu leben", drückte Silja W. den Eltern am ersten von neun Verhandlunsgtagen ihr Beileid aus. Trotzdem muss auch sie sich Fahrlässigkeit vorwerfen lassen, denn beide Hunde hatten schon vor dem 26. Juni Menschen und andere Hunde angegriffen und verletzt. Sie hätten nur noch mit Maulkorb und Leine ins Freie gedurft.

Aber die Halter ignorierten die Auflagen. "Die Angeklagten haben aus einer Mischung aus Unwissenheit, Unverstand vor allem aber aus in Egoismus wurzelnder Rücksichtslosigkeit gehandelt", formulierte der Vorsitzender Richter der Großen Strafkammer 4, Egbert Walk. Einen Vorsatz, der zu Verurteilungen wegen Körperverletzung mit Todesfolge hätte führen können, erkannte das Gericht aber nicht. Es blieb weit unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafen von achteinhalb Jahren für Külünk und 33 Monaten Jugendstrafe für Silja W.

Als strafmildernd wertete die Kammer unter anderem, dass Ibrahim Külünk sich mit allen Kräften dafür eingesetzt habe, den Tod des kleinen Volkan zu verhindern. Erschwerend sei, dass er bereits früher wegen Körperverletzung im Zusammenhang mit der Führung eines Hundes aufgefallen sei und wegen unerlaubten Waffenbesitzes unter Bewährung gestanden habe. Bei Silja W. berücksichtigte die Kammer eine "inzwischen positive Entwicklung" sowie die bisherige Unbestraftheit der Angeklagten.

Wie schon das Unglück selbst und die dann erlassene Hundeverordnungen löste auch das gestrige Urteil heftige Debatten aus. So bezeichnete der Sicherheitsberater der Hamburger CDU, Roger Kusch, den Richterspruch als "grob falsch". Die Hamburger Justiz werde ihrem Ruf erneut gerecht, zu mild zu urteilen, sagte er und lag damit auf einer Linie mit vielen türkischen Bewohnern Wilhelmsburgs, die das Urteil als zu mild empfanden.

Für den SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Wolfgang Marx, der nur eine Straße vom Unglücksort entfernt lebt, dokumentierte der Spruch dagegen ausreichend, dass "der junge Mann ein Unrecht begangen hat".