Von ULRIKE SCHWALM

Durch das bullaugenförmige Fenster eines Labors im Forschungszentrum Borstel (FZB) blicken zwei Mädchen neugierig nach innen. Professor Dr. Otto Holst (47) lächelt Anneke Stein (18) aus Bad Segeberg und Saskia Gösch (17) aus Reinfeld entgegen. "Ich habe ja keine Vorurteile gegenüber Naturwissenschaften, aber das sieht hier alles ziemlich kompliziert aus", meint die 17-Jährige skeptisch. Die Schülerin der Integrierten Gesamtschule Bad Oldesloe, die mit Anneke Stein im zwölften Jahrgang die Leistungskurse Englisch und Kunst belegt hat, beäugt Pipetten und Destilliergeräte, lässt ihre Blicke über die großen Computer schweifen, die auf den Tischen stehen und über ein Gewirr aus Schläuchen mit Plastikflaschen verbunden sind.

Kompliziert? Nicht bei Otto Holst. "Ich wollte mal Lehrer werden, studierte Biologie und Chemie fürs Höhere Lehramt in Freiburg im Breisgau, habe allerdings nie ein Referendariat gemacht, sondern gleich promoviert", sagt der Oldesloer. Seit 1987 ist er im FZB (500 Mitarbeiter) Leiter der Arbeitsgruppe "Analytische Biochemie".

"Was ist denn das", fragt Anneke Stein und zeigt auf die verkabelten Computer und die bunten Grafiken, die ein angeschlossener Kurvenschreiber ausspuckt. Professor Holst erklärt anschaulich: "Die Geräte sind Hochleistungschromatographen, also Maschinen, mit denen wir bestimmte Substanzen in Bakterien analysieren können."

Wie machen Bakterien krank? Das ist einer der Schwerpunkte des auf Lungen- und Bronchialerkrankungen spezialisierten Instituts. Seit seiner Doktorarbeit beschäftigt sich Holst insbesondere mit der Analyse des Endotoxins Lipopolysaccharid, das sich zum Beispiel bei Salmonellen findet: "Endotoxine, also Substanzen, die nicht aus den Bakterien freigesetzt werden, sondern drin bleiben, sind mein Spezialgebiet", erzählt der Oldesloer.

Mit den Chromatographen gelingt es ihm, die Endotoxine trotzdem herauszuknacken. Holst: "In den Schläuchen, die ihr gesehen habt, laufen Lösungsmittel in die Apparate. Sie helfen, die Lipopolysaccharide nach Größe in einzelne Gruppen zu zerlegen." Saskia Gösch findet das ziemlich spannend und ist über ihre eigene Reaktion verblüfft. "Physik und Chemie sind sonst in der Schule oft so trocken. Da fällt es schwer, Interesse zu entwickeln. Chemie habe ich schon abgewählt. Und Physik kann ich bald auch streichen", berichtet sie.

Gösch, die wie alle IGS-Schüler des zwölften Jahrgangs ein naturwissenschaftliches Praktikum ablegen muss, hat sich als eine der Ersten für die Teilnahme an dem Projekt "Schule und Forschung" entschieden. "Es ist einfach interessant zu sehen, wie alles in den Laboren gemacht wird. Ich will zum Beispiel kleine Zellen unter dem Mikroskop ansehen", sagt sie. "Klar, das ist machbar", so Holst, der vom 5. bis 9. März die beiden Mädchen und 14 weitere Mitschüler im FZB in die Geheimnisse der Forschung zu Infektionen, Allergien oder chronischen Entzündungen der Lunge einführen will.

Anneke Stein will "eventuell" Kunstherapie studieren. Ihr Motto ist dennoch: "Man soll sich nicht zu früh auf einen Beruf fixieren." Für sie ist es auch ein kleines Wagnis, an dem Projekt teilzunehmen, da auch ein Praktikumsbericht gemacht werden muss. "Aber in der Schule finde ich einfach nicht den Zugang zur Chemie, weil ich da nichts Greifbares habe. Ich hoffe, dass ich hier neue Eindrücke bekomme und dass der Stoff nicht so trocken vermittelt wird wie in der Klasse", so Stein.

Ob sich die Schülerinnen vorstellen können, in einem Forschungslabor zum Wohl von Patienten tätig zu sein? "Ich will lieber direkt mit Menschen arbeiten. Aber nicht als Ärztin, sondern vielleicht mal als Logopädin", meint Saskia Götsch.

Professor Holst hört das nicht gern, denn Nachwuchs ist in seinem Fach knapp. "Von 1990 bis 1995 sank die Zahl der Studienanfänger im Fach Chemie um mehr als 50 Prozent auf 2800", weiß er. Zu seinem Leidwesen muss er jetzt auch noch beobachten, "dass junge Studienabsolventen oft sofort nach dem Diplom in die Industrie gehen."

Um mehr Interesse für die Forschung zu wecken, engagiert sich Holst für das Pilotprojekt "Schule und Forschung" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. "Partner ist in Schleswig-Holstein das Kieler Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften an der Christian-Albrecht-Universität. Dort fand vor einem Jahr eine Sitzung mit Vertretern aller Forschungsinsitute und zehn Schulen statt. So kamen wir in Kontakt mit dem Kreisgymnasium Bargteheide und Herrn Mangold von der Integrierten Gesamtschule Bad Oldesloe", erinnert sich Holst.

Warum machen gerade diese Schulen mit? "Wir sind eine bekannte Schule, die im Ruf steht, für Innovationen offen zu sein", erklärt Klaus Mangold (58). Der Reinfelder, der seit 1990 Leiter der IGS (820 Schüler) ist, folgte dem Ruf gern: "Ich will Naturwissenschaften als Schwerpunkt neben unserer musischen Ausrichtung einführen. Mit der Aktion wollen wir Naturwissenschaften vom Ruch des Bösen befreien. Unser Ziel ist humanistische Bildung nach dem Ideal Alexander von Humboldts - und dazu gehören die Naturwissenschaften."