Von GEORG PAKSCHIES

"Ich habe die ,Monte Cervantes' erreicht. In 30 bis 40 Meter Tiefe kam ich zum Deckssalon. Der hängt nun seit 70 Jahren auf einem Riff im Beagle-Kanal bei Ushuaia in Argentinien. Die Kronleuchter sind zu sehen, aber dick mit Algen überzogen. Tische und Stühle - ein modriges Durcheinander. Auf Aschenbechern ist noch die Aufschrift der Hamburger Reederei Hamburg-Süd gut sichtbar."

Begeisterung über den geglückten ersten Tauchgang in die Vergangenheit schwingt in der Stimme des Hamburger Naturfilmers Matthias Kopfmüller (38) mit. Mit dem Abendblatt spricht er über Satelliten-Telefon vom anderen Ende der Welt, von der "Golden Fleece", einem argentinischen Taucherschiff. Es liegt im Beagle-Kanal mit den berüchtigten Riffen. Südlich davon ist Kap Hoorn, der größte Schiffsfriedhof der Welt.

Auf einen dieser unterirdischen Felsen im Beagle-Kanal war 1930 die Hamburger "Monte Cervantes" der Reederei Hamburg-Süd auf der Reise nach Feuerland mit 1400 Menschen an Bord aufgelaufen. Alle Passagiere wurden gerettet. Kapitän Theodor Dreyer aus Blankenese und seine Offiziere sorgten vorbildlich dafür. Als auch das Gepäck an Land geschafft war, wollte sich Kapitän Dreyer, wie es damals zur Ehrenpflicht gehörte, als Letzter und Verantwortlicher über den Zustand des Schiffes informieren. Zeugen sagten 1930 vor dem Seeamt Hamburg folgendes aus: "Kapitän Dreyer versuchte, mit einem Rettungsgürtel versehen, auf der schräg liegenden Schiffsseite hinunterzuklettern. Bei diesem Versuch muss er infolge des schnellen Kenterns des Schiffes abgeglitten und in das Promenadendeck gestürzt sein, worauf er dann mit dem sinkenden Schiff in die Tiefe gerissen wurde." Seitdem ehren Hamburg, und vor allem die Blankeneser, diesen Seemann mit dem "Kapitän-Dreyer-Weg".

Der Hamburger Naturfilmer und Taucher Matthias Kopfmüller weiß das natürlich alles, als er im trüben Wasser des Beagle-Kanals in die Tiefe zur "Monte Cervantes" vordringt. Er trägt einen gefütterten Spezial-Tauchanzug im Wert von 4000 Mark und gefütterte Spezial-Gummihandschuhe. Das Wasser hat nur noch zwei Grad. Am Satelliten-Telefon sagt er: "Die psychische Belastung war für mich sehr groß. Als ich das Trümmerfeld der ,Monte Cervantes' sah, hatte ich das Gefühl, über einem Grab zu schwimmen." Sein Tauchgang in die Vergangenheit mit seiner Crew aus Hamburg wird von Spiegel TV und vom ZDF unterstützt und gefördert. Kopfmüller will noch bis März 2001 im Beagle-Kanal, der zu Argentinien und Chile gehört, nach der Hamburgensie "Monte Cervantes" tauchen. "Fundstücke dürfen und wollen wir nicht bergen. Wir halten alles in Ehren und sprechen über alle Tauchgänge mit den argentinischen Behörden. Vielleicht werden doch noch Erinnerungsstücke an die Menschen auf der ,Monte Cervantes' geborgen und im argentinischen Seeschifffahrts-Museum ausgestellt."

Die 81-jährige Ruth Schlüter aus Blankenese weiß, dass die Motoren der Hamburger "Monte Cervantes" von argentinischen Tauchern längst ausgebaut und geborgen worden sind. Die alte Dame aus Blankenese, Tochter des Kapitäns Carl Scharfe, sagt: "Die Motoren der ,Monte Cervantes' sollen in den 40er-Jahren noch so gut gewesen sein, dass sie für einen argentinischen Mühlenbetrieb verwendet wurden."

Hamburgs Naturfilmer und Taucher Matthias Kopfmüller rechnet mit weiteren Überraschungen bei den Tauchgängen.

Zwei Tage später am Satelliten-Telefon: "Jetzt haben wir den 1950 abgeschweißten Rumpf der ,Monte Cervantes' entdeckt. Er liegt in etwa 116 Meter Tiefe. Spezial-Taucher, die Edelgase einatmen, konnten zum Rumpf vordringen. Es ist gigantisch!"