Von ELISABETH STIMMING

Es sind ihre Linien, der Schwung, die unvergleichlichen Kurven. Noch immer holt er bei ihrem Anblick tief Luft. "Ein tolles Schiff", sagt Gösta Schwiers. Er steht vor dem Modell der 105-Meter-Yacht "Lady Moura", die Blohm + Voss 1990 für einen Libanesen gebaut hatte. Schwiers holt weit aus, und der Zuhörer vergisst, dass er im nüchternen Verwaltungsgebäude der Werft steht. Der Schiffbauer wird die Geschichte an diesem Ort nicht mehr oft erzählen: Nach 47 Jahren Schiffbau, zuletzt als Chefkonstrukteur der Werft, geht Schwiers am kommenden Montag in den Ruhestand.

Die Erzählkunst des studierten Schiffbau-Ingenieurs kommt nicht von ungefähr: Der Name Schwiers ist als Theater-Familie ein Begriff, Vater Lutz spielte zuletzt in Altona, die Schauspielerin Ellen Schwiers ist die Schwester des Konstrukteurs, seine Tochter Marte steht auf der Bühne, und Sohn Arne ist Filmtechniker. Bei Gösta schlugen jedoch der Großvater, ein Ingenieur, und der Urgroßvater durch - jener lebte in Bremen und besaß ein Schiff. Nach der Lehre auf einer Werft am Rhein ackerte Schwiers ein Jahr lang auf der Stülcken-Werft in Hamburg, um sein Ingenieur-studium zu finanzieren: "Wir nagelten Cranzer Fischereikutter zusammen, Tag und Nacht."

Manche Mythen sind zu mächtig. Blohm + Voss erschien Schwiers als erste Station im Beruf zu groß, zu berühmt. Stattdessen ging er 1960 zur Werft H. C. Stülcken Sohn, die damals die Zerstörer der Hamburg- und die Fregatten der Köln-Klasse baute. "Eine übersichtliche Werft mit wunderschönen Krananlagen." Doch Blohm + Voss holte ihn ein: Die Werft schluckte 1966 Stülcken und setzte den Konstrukteur als Leiter ihrer Konstruktionsabteilung Schiffbauausrüstung ein.

Wie sieht ein Containerschiff aus? In Deutschland wusste das 1966 niemand so genau. "Wir sollten die ersten Containerschiffe bauen, damals noch für die Hapag. Etwas später gab der Norddeutsche Lloyd in Bremen dem Bremer Vulkan entsprechende Aufträge", erinnert Schwiers seine erste Aufgabe. Die beiden damals noch nicht fusionierten Reedereien beschlossen, gemeinsam einen Schiffstyp zu entwickeln. "Es gab Container unterschiedlichster Formate, sie wurden in Europa damals noch auf Stückgutfrachtern transportiert", erinnert Schwiers. Zusammen mit Experten von der Hapag und vom Lloyd fuhr der Konstrukteur in die USA, nach New York und San Francisco und recherchierte. "Wir kletterten unter Zäunen durch auf die Terminals und sahen uns die Kisten an, vermaßen sie, sprachen mit Reedern. Wir wollten einfach alles wissen."

Das erste Containerschiff für die Hapag hieß "Sydney Express" und trug 600 Container. Die zweite Generation transportierte bereits 1500 Kisten. Am 2. November 1972 kam für Schwiers der große Augenblick: "Mit der ,Tokio Express' übernahm ich erstmals die Verantwortung für einen Stapellauf." Der Frachter war 278 Meter lang, 27 Knoten schnell und trug 3000 Standardcontainer. Insgesamt 30 Stapelläufe von Schiffen und Off-Shore-Schwimmkörpern hat Schwiers geleitet. Dann war die Zeit des Schiffbaus unter freiem Himmel auf schrägen Helgen vorbei: "Heute muss man unter Dach im ebenen Dock bauen, die Technik ist zu kompliziert und empfindlich geworden", erklärt Schwiers.

Die Faszination des Stapellaufs - nur die geladenen Gäste erlagen ihr. Für den Techniker begann mit dem Losschlagen des Stoppers eine kurze, intensive Leidenszeit. "Für einen Ingenieur der quälendste Moment. Das Schiff setzt sich in Bewegung, und man kann nichts mehr tun, ist machtlos, wenn etwas schief läuft." Damals zum Beispiel, als ein Hotelaufbau für eine Bohrinsel vom Helgen auf einen Ponton gleiten sollte. Der Schlitten brach, der Riesenwürfel mit Platz für 300 Betten blieb zwischen Helgen und Ponton hängen. "Wir arbeiteten Tag und Nacht, so etwas geht nur auf einer Werft - es gibt Stahl und das nötige Werkzeug, der Rest ist Fantasie und Kreativität", sagt Schwiers. Und noch etwas: "So eine Aktion schweißt zusammen." 1972 war auch das Jahr, in dem Schwiers endgültig vom Büro in den Betrieb wechselte, von der Theorie in die Praxis, als Betriebsleiter Stahlschiffbau. Rund 1000 Mitarbeiter hatte er, und er kannte jeden Mann auf dem Werftgelände. "Zuhören ist wichtig. 80 Prozent der Probleme in großen Betrieben liegen im menschlichen Bereich", ist seine Erfahrung.

Containerschiffe, Bohrinseln und Marineschiffbau sind die drei Schwerpunkte in Schwiers Laufbahn. Parallel dazu gab es immer wieder mal einen Auftrag für eine Yacht, und damit einen Quell für erstaunliche Geschichten. Tapeten aus Haifischhaut. Ein Bad aus Onyx. Der Blick aus der Bar durch ein Giftfisch-Aquarium hindurch in den Swimmingpool. Eine Herren-Suite mit eigener Seepforte und Gangway. Zur Suite der Ehefrau auf der anderen Seite führt ein Geheimgang. Eine Einbahnstraße. Die Ehefrau kann ihn nicht nutzen. Dafür hat sie, was er nicht hat - einen klimatisierten Pelzschrank.

"Yachten waren sehr faszinierend. Das ist hohe Kunst,", sagt Schwiers, der sich auch schon mal selbst auf den Bauch legte, um akribisch den Verlauf einer Kurve zu verfolgen. "Bei den Schattenfugen der ,Lady Moura' sah man eine Abweichung von drei Millimetern." Technisch ist für ihn dagegen der Marineschiffbau die Spitze: "Das Schiff und darin die hochgezüchtete Technik, das macht den Reiz aus."

Gösta Schwiers zählt kurz. 20 Vorstände hat er auf der Werft erlebt. Seit 1990 ist er der Chef von 250 Konstrukteuren im Schiffsneubau. Sein letztes Projekt war die "Olympic Voyager", das erste Passagierschiff der Werft nach mehr als 35 Jahren. Wenn Schwiers am Montag seinen Abschied feiert, geht keine Ära zu Ende: "Ich gehe mitten in einer wahnsinnig spannenden Phase", sagt er.

Doch er beneidet seinen Nachfolger nicht unbedingt: "Es gibt so viele Aufträge wie nie zuvor, darunter auch für weitere Passagierschiffe." Und ein Schiff ist kein Auto, das lange getestet wird, bevor es auf den Markt kommt. Den Nervenkitzel des Termindrucks wird Schwiers nicht sehr vermissen. Aber seine Schiffe: "Schiffe sind immer Kulturträger gewesen und haben selbst heute noch ein Stück Romantik bewahrt."

"Try again" steht am Bug eines Wracks, dessen vergilbte Fotografie in Schwiers Büro steht. Neben all den Marineschiffen und Yachten an den Wänden nimmt sich das Bild wie ein Anachronismus aus. Doch der Schiffsname war Programm in all den Jahren: "Try again", nicht locker lassen.