Trotz großen Termindrucks bleibt Zeit für Späße: Ein Stormarner ent- und belädt Schiffe.

Von ULRIKE SCHWALM

Jörg, hast du mitbekommen? Die erste Lage 20. Da ist eine Nummer doppelt verplant. Da werfe ich aus der vierten Lage den 20-er rein. Sonst daddeln wir nur hin und her." Hans-Jürgen Behnke (54), der seinen Codenamen mit "HJB" angegeben hat, beugt sich über das Mikro auf seinem Schreibtisch, damit ihn der Operator (Lademeister) Jörg Liedtke (36) am Burchardkai auch gut verstehen kann.

"Das war Fachchinesisch", grinst Behnke, während er den Ladeplan für das Containerschiff "Lappland" studiert. "Ich meinte Folgendes: Zwei Containerplätze auf dem Schiff sind doppelt vergeben. Das darf nicht sein. Und 20-er oder 40-er sind kleine und große Container, 20 und 40 Fuß", erklärt der Glinder. Die Zeit drängt: "Deshalb sind wir mit zwei Containerbrücken am Kai."

Von seinem Bürofenster im zweiten Stock des Hauses 3 der Hamburger Hafen- und Lagerhaus Aktiengesellschaft (HHLA) kann der Stormarner die 119 Meter lange "Lappland" sehen: "Sie kam um 6.50 Uhr, als ich meine Schicht begonnen habe." Die 131 Container sind bereits auf Bahn und Lkw verteilt worden. Jetzt werden 128 Stück eingeladen. Um 14 Uhr soll die "Lappland" fertig sein, um 15 Uhr wird sie nach Schweden auslaufen.

"Normalerweise schaffen wir 100 Container in fünf Stunden", sagt Hans-Jürgen Behnke. Dabei muss er schmunzeln: "Containerzähler sagen die Kollegen zu mir." Er selbst erklärt seinen Job so: "Ich bin die moderne Variante des Tallymann." Tallymänner standen in allen Häfen der Welt früher an den Schiffen, zählten und maßen die Ladung, zeichneten per Hand den Stauplan. "Heute haben wir nur noch an der Stückguthalle fünf Tallymänner."

Schon 91 Prozent aller Stückgüter werden bei der HHLA in Standardcontainern transportiert, die hier "TEU" (Twenty Feet Equivalent Units) heißen. Die HHLA hat vergangenes Jahr 2,5 Millionen dieser TEU umgeschlagen. An den 46 Kilometern Kaimauer des Hamburger Hafens wurden insgesamt 3,74 Millionen Container be- oder entladen.

"Wenn hier 15 000 Container stehen, ist der Burchardkai voll, und das ist meist der Fall", sagt Hans-Jürgen Behnke. Der moderne Tallymann kontrolliert den Umschlag von der "Wasserseitigen Steuerungszentrale" (WSS) aus, dem vor einem Jahr eingerichteten Großraumbüro.

Intern heißt die rund um die Uhr besetzte WSS, die 90 Mitarbeiter zählt, noch ganz anders: "Leistungskammer." "Büschen Flachs muss sein", meint Behnke, der sich zu Schichtbeginn immer einen Korb mit den für ihn bestimmten Ladepapieren abholt und täglich einen neuen Arbeitsplatz zugewiesen bekommt.

Elf Schiffe muss sich die Frühschicht heute teilen. Behnke steuert per Computer und Funk an diesem Tag die "Wassergruppe 21". Eine Wassergruppe ist das Expertenteam an einer Containerbrücke: "Wir sagen aber Gang. Sie besteht aus zwei Brückenfahrern, drei Fahrern für die Portalstapelwagen, einem Lademeister und einer Lukenaufsicht, die jeden Container in den tragbaren Computer eintippt."

Am Bildschirm kann Behnke so sekundenschnell erkennen, wie sich das Küstenmotorschiff "Lappland" füllt. Er spricht sich mit seinem Kollegen Rüdiger Broda (38) ab, der die "Wassergruppe 22" an der zweiten Brücke leitet: Als nächstes ist die "Hanna" an der Reihe. Das Schiff will 103 Container löschen und hat es auch eilig.

Hans-Jürgen Behnke lobt die Jungs am Kai: "Eine schöne Gang. Da bringt es Spaß zu arbeiten. Alle kenne ich. Die Fahrer Jörg Mernik und Martin Eggerstedt stammen auch aus Glinde." Bei dem Stress bleiben deftige Worte trotzdem nicht aus. "Zentrale, bitte", verlangt ein Stapelwagenfahrer, "wo soll ich mit dem blöden Kübel hin?" Ein anderer kommentiert den betagten Van-Carrier des Kollegen: "Was hast du mit dem Boss gemacht, dass du heute solche Gurke fährst?" "Alles Spaß. Nicht ernst nehmen", sagt Behnke.

Der Glinder hat den Wandel des Hafens zum computerisierten Logistikzentrum hautnah miterlebt. Dabei wollte er eigentlich Bäcker oder Konditor werden. "Werde Ewerführer, da kannst du Geld verdienen", sagte der Vater. So lernte Hans-Jürgen Behnke ab 1961, Schuten mit Baumstämmen, Konserven und Kakao an die großen Frachter heranzusteuern, zu be- und zu entladen: "Die Werkzeuge dafür, der Handhaken und die Zuckerklatsche, liegen bei mir noch im Keller."

Als in den Siebzigern die Container aufkamen, wurden keine Ewerführer mehr gebraucht. Der Glinder musste wieder ganz unten anfangen, als Gebelstaplerfahrer am Schuppen 55 am Veddeler Damm. Ende 1986 kam er dann zum Burchardkai. Im März 1989 konnte er schließlich den Posten übernehmen, den er heute noch ausfüllt.

Mit seinem Arbeitsplatz ist Hans-Jürgen Behnke richtig zufrieden: "Das Klima ist gut, und die Kollegen können auch mal einen Scherz ab." Die computerisierte Fernkontrolle macht es möglich, dass ein Beschäftigter beim Löschen von Großschiffen bis zu drei Containerbrücken auf einmal leitet. Bei den kleineren Küstenmotorschiffen (Kümos) ist es dagegen nur eine Brücke.

Selbst Risenschiffe wie die "Ipex Equality", die heute Behnkes Kollegen betreuen, sind in noch nicht einmal einem Tag ent-und beladen. "Die ,Ipex' brachte 624 Container, holte 451. Sie kam am Vortag gegen 12 Uhr und war morgens gegen 8.30 Uhr fertig."

Behnke ist froh, dass er gerade Frühschicht und damit um 15 Uhr Feierabend hat. "Ich arbeite immer zwei bis drei Wochen früh, dann eine Woche Spätschicht von 15 bis 23.10 Uhr." Jede dritte Woche kann er - gegen eine Sonderzahlung - auch sonnabends und sonntags ran: "Gerade an Wochenenden ist hier oft sehr viel zu tun."

Gegen Schichtende schaut er noch mal bei der "Hanna" vorbei. "Man kommt überall herum. Das habe ich als Ewerführer lieben gelernt", sagt Behnke, der auch privat gern unterwegs ist. Er liebt Radtouren und fährt mit seiner Frau oft in die Thermalbäder Bad Schwartau oder Bad Bevensen. "Und an freien Tagen unternehmen wir Städtereisen." Zuletzt standen Schleswig, Kappeln und Celle auf dem Programm.