ubi Geesthacht/Kiel - Fachleute des GKSS in Geesthacht haben eine Nuklear-Affäre aufgedeckt. Beim Umfüllen von vermeintlich harmlosen Abfällen fanden sie brisanten Strahlenmüll, den eine Firma aus Braunschweig vor 21 Jahren bei der Sammelstelle für schwach radioaktive Abfälle abgeliefert hatte. Die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Heide Moser (SPD) sprach von einem Skandal. Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt.

"Wir erwarten noch einige Überraschungen", sagte GKSS-Sprecher Hans-Friedrich Christiansen. Von den 155 Fässern, die in der Sammelstelle lagern, wurden erst 28 geöffnet. In 16 der stählernen 200-Liter-Gefäße wurden Ampullen mit flüssigem Nuklearmüll entdeckt, in einer Tonne sogar eine kleine Flasche mit hoch radioaktivem Cäsium 137, das heute 3000-mal stärker strahlt als nach den Grenzwerten für Sammelstellen erlaubt. Bei der Einlagerung vor 21 Jahren war es 6000-fach. Alle Fässer waren falsch deklariert, einige schon von innen angerostet. Eine Gefahr für das Personal des Forschungszentrums oder die Nachbarn schloss Moser ebenso aus wie einen Zusammenhang mit Leukämiefällen in der Elbmarsch. Grund: Der Strahlenmüll wurde nicht nur mit den normalen Abfällen aus Hochschulen, Kliniken und Labors in den Fässern einbetoniert, sondern heimlich mit einem so dicken Bleimantel umgeben, dass keine erhöhte Strahlung nach außen drang. "Da hat jemand versucht, radioaktive Abfälle zu verstecken", sagte Christiansen. Das habe System.

Die Firma Amersham & Buchler (Braunschweig) lieferte insgesamt 77 Fässer an die 1965 eingerichtete Sammelstelle der Länder Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen. Beim Rechtsnachfolger des Unternehmens, Nycomed Amersham Buchler, hält man sich noch bedeckt. "Wir müssen erst nachforschen, was damals passiert ist", sagte Prokurist Rolf Henßen. Den Vorwurf einer vorsätzlich illegalen Entsorgung ließ er nicht gelten. Man müsse prüfen, ob die Lieferung nach damaligen Regeln vielleicht zulässig war. GKSS-Mann Christiansen schloss das aus.

Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt wegen des Verdachts der Freisetzung ionisierender Strahlen. Auch Betrug wird geprüft. Im Landeshaus entwickelten Experten folgende Theorie: Der Lieferant könnte für die eigentlich teure Entsorgung des Strahlenmülls kassiert und ihn dann preiswert in Geesthacht untergestellt haben.

Der Strahlenmüll wurde eher durch Zufall gefunden. Die Mehrzahl der Fässer, in denen zum Beispiel belastete Feuerlöscher, Medizingeräte und Uhrenzeiger lagern, stehen schon seit Jahrzehnten in Geesthacht. Um die sichere Lagerung weiter zu garantieren, gab es zwei Möglichkeiten. Bei der ersten, einer Einbetonierung der geschlossenen Fässer in größeren Tonnen, wäre nichts bemerkt worden. Das Land bestand auf der zweiten Variante, dem Öffnen der Fässer und dem Umfüllen in Edelstahlbehälter. So stieß man auf den illegalen Müll.

Schleswig-Holstein hat die anderen deutschen Sammelstellen informiert. Moser schloss nicht aus, dass auch dort nicht nur schwach radioaktiver Müll lagert.

Um welche Art Strahlenmüll es sich handelt, ist noch unklar. Die brisante Fracht, insgesamt einige Liter, könnte aus Kliniken oder Forschungslabors stammen. Sicher ist, dass es sich nicht um Atommüll handelt. In keinem Kernkraftwerk würden kontaminierte Flüssigkeiten in Ampullen gefüllt, sagte Energie-Staatssekretär Willi Voigt (Grüne).

Voigt wies auch auf die strengen Schutzbestimmmungen in Geesthacht hin. Die Fässer werden in "heißen Laboren" zerlegt, ferngesteuert von Experten hinter meterdicken Betonmauern mit Bleiglasfenstern. Wie nötig die Vorsichtsmaßnahmen sind, machte Voigt mit Blick auf das mit hoch radioaktivem Stoff verseuchte Fass anschaulich: "Wenn man länger neben diesem offenen Fass steht, ist man tot."