Von FRODE SCHWARZMAYR

fs Siek - Den kleinen, weißen Zelluloidball mit möglichst viel Effet, schnell und platziert über das Netz zu spielen, ist für wenig erprobte Tischtennisspieler schon schwierig genug. Doch dabei obendrein einen Rollstuhl zu beherrschen, scheint selbst für Trainingsfleißige kaum möglich. Doch nicht für die Siekerin Beate Schippmann, die vor 16 Jahren eine Gehirnentzündung (Enzephalitis) in den Rollstuhl zwang: Geschickt bewegt sie sich samt Rollstuhl an der Tischtennisplatte. Die 40-Jährige ist die einzige Athletin aus dem Kreis Stormarn, die bei den Paralympics vom 18. bis 29. Oktober in Sydney für Deutschland an den Start geht. "Langsam könnte es losgehen. Denn allmählich werde ich nervös", fiebert Schippmann dem Abflug entgegen. Morgen hat die Warterei ein Ende. Um 14 Uhr hebt die Lufthansamaschine mit ihr und rund 30 weiteren Teilnehmern aus dem norddeutschen Raum vom Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel in Richtung Sydney ab.

Eigentlich hatte Beate Schippmann, die sich sowohl beim Rollstuhl-Club (RSC) Hamburg in der Regionalliga als auch beim Harburger TB im "Fußgänger"-Team, wo sie gegen nichtbehinderte Gegnerinnen in der Bezirksliga um Punkte kämpft, die Hoffnung auf ein Ticket für Australien bereits aufgegeben. Eine chronische Lungenerkrankung zwang sie, ihre Teilnahme an den entscheidenden Qualifikationsturnieren in Dublin und La Coruna abzusagen. "Damit schien mein Traum nach eineinhalbjähriger Vorbereitung wie eine Seifenblase zerplatzt", erinnert sie sich.

Doch am 8. April 2000 übermittelte ihr Bundestrainer Heiko Brokmann die freudige Nachricht: Das Paralympische Komitee nominierte die Siekerin nachträglich wegen guter Mannschaftsleistungen in den vergangenen Jahren. "Ich konnte es erst nicht fassen. Erst am folgenden Tag wurde mir bewusst, dass ich nach Sydney fahre", erinnert sich die Tischtennisspielerin. Prompt nahm sie nach zwischenzeitlichen Motivationsproblemen das Training intensiver auf. Denn in "Down under" hat sie sich viel vorgenommen. Eine Medaille soll heraus springen - ob im Einzel oder zusammen mit ihrer langjährigen Partnerin Monica Bartheidel (Mümmelmannsberger SV) im Mannschaftswettbewerb.

Für eine optimale Vorbereitung opferte die Rollstuhlfahrerin nicht nur vier Wochen des Urlaubs sondern auch einen Großteil ihrer Freizeit. Neben ihrer Arbeit in der Sozialstation Ahrensburg hat sie das Trainingspensum von acht auf 15 Stunden pro Woche hochgeschraubt. Damit nichts dem Zufall überlassen wird, hat die ehrgeizige Weltranglisten-Zehnte mit Andy Sarwoko, dem ehemaligen Regionalspieler des TSV Glinde, und Thomas Tokarek, Übungsleiter beim RSC Hamburg, einen speziellen Trainingsplan ausgeklügelt.

Darüber hinaus hat sich die deutsche Vizemeisterin einem persönlichen Diätplan unterworfen: Obst und jede Menge Kohlenhydrate statt Süßigkeiten lautete ihr Motto in den vergangenen Monaten. Die Einhaltung fiel der 40-Jährigen nicht immer leicht: "Ich esse doch so gerne Schokolade."

Für Besichtungstouren dürfte in Sydney neben den Wettkämpfen kaum Zeit bleiben. Zwar reist die Delegation bereits eine Woche vor und fünf Tage nach der Veranstaltung ab. "Aber das Programm ist mit offiziellen Empfängen und Fototerminen gespickt, dass ich wohl kaum Sehenswürdigkeiten zu Gesicht bekommen werde", bedauert Schippmann, die in Atlanta 1996 bei ihrer bisher einzigen Teilnahme an den Paralympics den fünften Platz im Einzel belegte.

Ein Kostenfaktor ist der immense Schlägerverschleiß bei der Siekerin: Alle vier Monate muss die Tischtennisspielerin ihr Racket (rund 150 Mark) wechseln, da das Sportgerät bei ihrer offensiven Spielweise - sie versucht den Ball so früh wie möglich zu treffen - oftmals gegen die Tischkante stößt und dabei zu Schaden kommt. "Das Geld gebe ich aber gerne für Tischtennis aus", sagt Schippmann, die schon vor ihrer Erkrankung leidenschaftliche Sportlerin war.

Dabei übte Tischtennis zunächst keine große Anziehungskraft auf die Siekerin aus. Als sie 1987 erstmals einen Schläger in der Hand hielt, fragte sie sich: "Ist das überhaupt eine Sportart." Erst als die Stormarnerin ein Jahr später von ihren Vereinskameraden zu einer Turnierteilnahme in Bielefeld überredet wurde und für ihren dritten Platz mit einem Pokal in der B-Klasse belohnt wurde, packte sie der Ehrgeiz.

Auszeichnungen sind für Beate Schippmann mittlerweile keine Besonderheit mehr. In ihrer ebenerdigen Wohnung eines umgebauten ehemaligen Bauernhauses zieren zahlreiche Trophäen und Medaillen die Schränke und Kommoden. Die Sammlung kann sich sehen lassen: Zusammen mit Monica Bartheidel sicherte sie sich bei den vergangenen drei Europameisterschaften jeweils die Goldmedaille im Mannschafts-Wettbewerb (1995, 1997 und 1999). Hinzu kamen EM-Silber (1997) und -Bronze (1995) im Einzel sowie zahlreich Platzierungen auf nationaler Ebene und Turniersiege. Ihren größten Erfolg feierte Beate Schippmann bei den Weltmeisterschaften 1998 in Paris, als sie überraschend den dritten Rang im Einzel belegte. Seitdem hängt ein Gratulationsplakat mit einem gemalten Biber in ihrem Wohnzimmer. Vor der Abfahrt in die französische Hauptstadt hatten die Nachbarn ihr einen kleinen Nager in Form eines Plüschtieres mit auf den Weg gegeben. Die 40-Jährige kehrte jedoch ohne den Glücksbringer zurück, da dieser ihr während der Veranstaltung geklaut wurde.