Von KARSTEN BROOCKMANN

Sie konnten die Tränen nicht mehr zurückhalten. Zu groß ist der Schmerz über den Verlust ihres Sohnes Volkan. Weinend, die Köpfe gesenkt, saßen die Eltern des Jungen auf ihren Plätzen in Saal 237 des Strafjustizgebäudes. Ayfer und Kali Kaya, zwei gebrochene Menschen. Freitag begegneten sie zum ersten und vielleicht einzigen Mal den Menschen, die für Volkans Tod verantwortlich gemacht werden.

Um Fassung bemüht, hatten die Eltern den Gerichtssaal am Morgen mit starrem Blick betreten. Doch als die Angeklagten Ibrahim K. (24) und Silja W. (19) hereingeführt wurden, sanken sie in sich zusammen. Gipsy und Zeus, die Kampfhunde des Pärchens, hatten den sechsjährigen Volkan am 26. Juni auf dem Gelände der Wilhelmsburger Schule Buddestraße getötet.

Ibrahim K. wird jetzt Körperverletzung mit Todesfolge, Silja W. fahrlässige Tötung vorgeworfen. Doch während die junge Frau den Eltern unter Tränen in stockenden Sätzen ihr Beileid aussprach, blieb der Hauptangeklagte Ibrahim K. am ersten Verhandlungstag stumm. Kein Wort der Reue, keine Geste des Bedauerns. Nur einmal streifte sein Blick das Ehepaar Kaya.

Für eine persönliche Entschuldigung ist es damit möglicherweise zu spät. Denn die Belastung war für Ayfer und Kali Kaya zu groß. "Beide stehen noch immer unter Schock", sagte deren Anwalt Thomas Hansen-Siedler, der das Ehepaar als Nebenkläger vertritt, nach der Verhandlung. "Es ist unwahrscheinlich, dass sie an weiteren Prozesstagen teilnehmen werden."

Die Augen auf den Boden gerichtet, die Köpfe in den Händen hatten die Eheleute zuvor dem Dolmetscher gelauscht, der die Erklärung von Silja W. ins Türkische übersetzte. "Ich habe mich fahrlässig verhalten. Deshalb bin ich mitverantwortlich dafür, dass der Junge Volkan tot ist. Es tut mir unendlich leid, was seine Eltern jetzt durchmachen. Ich hoffe, dass sie die Kraft finden werden, mit diesem großen Schmerz zu leben", sagte die 19-Jährige.

Ihre Staffordshire-Bullterrier-Hündin Gipsy war am Mittag des 26. Juni gemeinsam mit dem Pitbull-Staffordshire-Mischling Zeus über eine etwa 1,50 Meter hohe Backsteinmauer im Hinterhof von K.s Wohnung auf das angrenzende Schulgelände gesprungen. Dort fielen die Tiere über den Vorschüler Volkan her, der mit anderen Kindern Fußball spielte. Ibrahim K. hatte die Hunde nicht angeleint, obwohl beide bereits Menschen und andere Hunde gebissen hatten.

"Irgendwann klopften ein paar Jungen. Ich sollte schnell runter kommen, weil die Hunde Kinder auf dem Schulhof beißen", erinnerte sich Silja W., die in der Wohnung geblieben war. "Als ich ankam, lag da jemand, und ,Ibo' hielt Gipsy fest. Zeus stand weiter hinten am Drahtzaun."

Sie habe Gipsy dann festgehalten, weil Ibrahim K. keine Kraft mehr hatte. Doch der Hund sei ihr noch einmal aus den Händen gerutscht und auf den Jungen losgegangen. "Ich schrie, die sollen schießen, aber da kam nichts. Dann hatte ich Gipsy." Was Zeus in der Zeit gemacht habe, wisse sie nicht. Den habe sie erst wieder gesehen, nachdem die Polizei beide Hunde erschossen hatte und der Pitbull-Staffordshire in der Nähe des Jungen lag.

Weniger konkret waren die Angaben der 19-Jährigen anschließend zum Umgang ihres Freundes mit Zeus. Allerdings räumte sie ein, dass der Hund manchmal schwere Ketten getragen habe. Jedoch nicht, um ihn für Kämpfe zu trainieren, sondern um den Bewegungsmangel auszugleichen. Denn nachdem die Hunde im April und Mai mehrfach andere Hunde attackierten und Gipsy einem Mädchen in den Arm gebissen hatte, ging das Paar nur noch für kurze Momente mit den Tieren vor die Tür. Für Maulkörbe sei kein Geld da gewesen, sagte Silja W., die damit beim Vorsitzenden Richter Egbert Walk auf wenig Verständnis stieß.

"Ich kann nicht begreifen, wie man zwei Hunde halten kann, mit denen immer etwas passiert", sagte er. "Ich heute auch nicht. Ich war einfach dumm und habe bei der Erziehung alles falsch gemacht", antwortete Silja W.

Für den Prozess sind zehn weitere Verhandlungstage geplant.

Auslöser für kontroverse Diskussionen

Die Kampfhundeattacke von Wilhelmsburg war Auslöser für eine ausgesprochen kontroverse Diskussion zwischen Hundeliebhabern und -gegnern. Der Hamburger Senat legte wenige Tage nach dem Vorfall eine der schärfsten Hundeverordnungen der Bundesrepublik vor - nachdem zuvor jahrelang in dieser Hinsicht nichts geschehen war. Am 18. Juli hatte die überarbeitete Fassung Gültigkeit. Andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein zogen innerhalb weniger Tage nach. Alle mit demselben Ziel: das Halten von Kampfhunden künftig so gut wie unmöglich zu machen, die Sicherheit auf den Straßen über Leinen- und Maulkorbzwang zu erhöhen.

Die Ausgestaltung der Verordnungen ist dabei von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Nicht zuletzt daran entzündete sich die Kritik der Verordnungsgegner. Auf Großdemonstrationen wiesen Hundehalter darauf hin, dass nicht der Hund an sich gefährlich sei, sondern durch Menschen erst gefährlich gemacht werde. HA