Prominente und Unbekannte in unserer Nachbarschaft. Ein Hausbesuch bei dem Ohnsorg-Schauspieler Karl-Heinz Kreienbaum.

Die schmale Straße macht einen gediegen bürgerlichen Eindruck: Ein- und Zweifamilienhäuser, Bäume in den Vorgärten, deren rostgelbes Herbstlaub sich in den Parkbuchten der Autos sammelt. Marienthal. Hier, am Rande Hamburgs, wohnt man fast im Grünen, aber doch in praktischer Nähe zu Wandsbeker Einkaufsmöglichkeiten. Das richtige Ambiente für einen Star? Nun ja, für einen Ohnsorg-Star gewiss, noch dazu für einen, der zwar seine Popularität genießt, aber dennoch bescheiden geblieben ist: Karl-Heinz Kreienbaum.

Die Toreinfahrt auf der rechten Doppelhaushälfte steht einladend offen, der Hausherr bittet an den großen Tisch in der geräumigen, aufgeräumten Küche: "Hier ist es am gemütlichsten." Der äußere Eindruck hat nicht getrogen: Das ganze Haus strahlt altdeutsche Gediegenheit aus. Ein großes Porträt am Treppenaufgang und eine Collage mit Rollenfotos, ein Geschenk des Ohnsorg-Ensembles zum 75. Geburtstag, zollen dem Schauspieler Tribut. Mehr nicht? Keine Erinnerungsstücke, Künstlertrophäen aus gut fünfzig Ohnsorg-Jahren? Versteckt hinter der Kellertür offenbart sich schließlich doch noch, dass sich der Mime gelegentlich schon mal selbst die Kränze flicht, wenn es denn die Nachwelt nicht tut. Mit Freude und ein bisschen Stolz erklärt er das Fotosammelsurium, das hinab zum Sauna- und Fitnessbereich mit Sprossenwand, Hanteln und Solarium führt. Auf den ist er mindestens so stolz wie auf die Bilder, von denen eines ihn bei einem gemeinsamen Auftritt mit Tochter Maja zeigt. Sie war für kurze Zeit in Vaters Fußstapfen getreten.

85 Jahre alt ist Karl-Heinz Kreienbaum in diesem April geworden. Bei bester Gesundheit, wie er selber sagt. Gesundheit sei schließlich das Wichtigste im Alter. Beim Treppensteigen, da gehts dann aber doch nicht mehr ganz so flott, wie er es sich wünscht. Und auch das Gedächtnis hakt mitunter. Aber das gibt er nicht gern zu. Vor zwei Jahren hatte er noch mit großem Erfolg sein Lieblingsstück "De Dood in'n Appelboom" gespielt, bei der Premiere von "Herr in't Huus bün ick!" im vergangenen Jahr passierte es dann: Der Text war weg, die Souffleuse half lautstark nach. Und das musste ihm passieren, der doch berühmt ist für sein schnelles und zuverlässiges Textlernen, der immer als "Einspringer" geholt wurde, wenn ein Kollege kurzfristig ausfiel, dessen Disziplin für alle Kollegen ein Vorbild ist! "Da bin ich fast gestorben", gibt der Schauspieler zu, der neben Hilde Sicks der Letzte der Veteranen auf der Ohnsorg-Bühne ist, seit Heidi Kabel nicht mehr auftritt. Und man merkt ihm den Gram über die Niederlage noch immer an. "Damals wurde ich krank, ich konnte meine Beine nicht mehr bewegen", sagt er. "Aber nach vier Tagen war ich wieder da." Mit sicherem Text. Trotzdem: "Ich hätte mit dem ,Dood in'n Appelboom' aufhören sollen", kommt es fast widerwillig, leise, ein bisschen traurig.

Verdrängte Erkenntnis. Denn im nächsten Frühjahr will er es erneut wagen: als Kapitän in der plattdeutschen Version von Marcel Pagnols "Zum Goldenen Anker". Zum ersten Mal seit langer Zeit keine Hauptrolle.

Die Hauptrollen waren ihm schließlich schon seit Jahren im Ohnsorg-Theater sicher. Zwar war er als ausdrucksstarker Charakterspieler auch fast immer in den ernsten Stücken dabei und deshalb nicht so oft im Fernsehen - der NDR zeichnet noch immer bevorzugt die Komödien auf -, doch seiner Beliebtheit tat das keinen Abbruch. Beim Tag der offenen Tür zum diesjährigen Saisonbeginn im Ohnsorg-Theater musste er drei Stunden lang ununterbrochen Autogramme geben. Er tat es gerne. Denn die Zeiten des Theater-Erfolgs waren seine glücklichsten. Die, als er nach bescheidenen Anfängen die großen Rollen am Ohnsorg-Theater bekam, und die, als er in Neuss sein erstes Engagement hatte und unbedarft an jede Herausforderung heranging.

Dass es ihn zur Bühne drängte, zeichnete sich schon in frühester Kindheit ab: Als Zweijährigen nahm ihn seine theaterbegeisterte Mutter schon mit in eine Kindervorstellung. Und während das Publikum am Ende dem Ausgang zustrebte, blieb der Hamburger Steppke sitzen und schrie: "Mehr, mehr, mehr!" Plattdeutsch war für den Sohn eines Seemanns, aufgewachsen in Rothenburgsort, selbstverständliche Umgangssprache, doch seine Theaterkarriere begann auf Hochdeutsch - in einer Schulaufführung, bei der zwei Mädchen aus der Emilie-Wüstenfeld-Schule für die Frauenrollen "ausgeliehen" wurden. Eines von ihnen war Heidi Kabel. Bei der späteren Bühnenzusammenführung gestand ihr der neue Kollege: "Du warst mir damals viel zu mager."

Die Lehre in einer Schiffsmaklerei hatten der Vater und die Vernunft jedoch noch vor den Erfolg in Thalias Armen gesetzt. Der Junge musste schließlich Geld verdienen. Doch schon nach zwei Lehrjahren überredete Kreienbaum junior seinen Chef, ihn als Angestellten zu beschäftigen. Das bedeutete 80 Mark Monatslohn, von dem er sich Schauspielunterricht bei Willi Maertens leisten konnte. Die Beharrlichkeit und Ausdauer, die er seinem Tierkreiszeichen - Stier, Aszendent Waage - zuschreibt, brachte ihn auch vorzeitig durch die Schauspielprüfung. Ein gemeinsames Engagement mit Walter Scherau, damals fast so etwas wie die Symbolfigur des Ohnsorg-Theaters, bestimmte schließlich seinen weiteren Berufsweg. "Du kannst doch Platt", meinte der Dicke von den Großen Bleichen, "warum kommst du nicht zu uns?"

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist das nun schon her. Kreienbaum hat es nicht bereut. Aber auch wenn er sich ein Leben ohne Theater nicht vorstellen kann, so hat es für ihn doch immer noch ein zweites, ein privates Leben gegeben. Zusammen mit Ehefrau Gertrud, mit der er seit 58 Jahren verheiratet ist, segelte er 30 Jahre lang in jedem Sommer mehrere Monate durch dänische Gewässer. Erst 1991 wurde er sesshaft im Sommerhaus an der Schlei. Dort pflegt er auch mit Vergnügen nachbarschaftliche Kontakte, während in Hamburg ein "Guten Tag und guten Weg" über den Gartenzaun genügt. Hier wie dort ist er keine Prominenz, sondern ein Nachbar wie viele andere auch.

Im Alter hat er zu einer bewundernswerten Zufriedenheit gefunden. Wünsche hat er keine mehr: "Ich habe eine gute Frau, eine liebe Tochter, eine reizende Enkelin." Was will er mehr? Klar, den Dackel, der im Januar gestorben ist, vermisst er und geht jetzt - aus Gewohnheit und für die Gesundheit - allein täglich eine Stunde im Wandsbeker Gehölz spazieren. Aber auch den Tod sieht er mit Gelassenheit. "Sterben ist doch genauso wie der Wechsel in ein anderes Leben, wenn eine Rolle zu Ende ist. Das ist ja das Herrliche an unserem Beruf, dass wir hier schon so viele verschiedene Leben leben." Auch nach dem Tod, so glaubt er sicher, wird es irgendwie weitergehen. Ein ewiger Optimist: "Gott hat mich so gemacht, ich kann nicht anders."