Von GÜNTER ZINT

Reise, Reise . . . das waren die Worte, die Harry gleich nach dem Krieg in die Ferne zogen. Der harte Seemannsjob war dann doch nicht so romantisch, wie er in vielen Liedern besungen wird, und Harrys Konstitution war dem nicht gewachsen. Seine Heuer hat Harry über viele Länder verteilt, in denen er Gegenstände kaufte, die in Deutschland kaum jemand gesehen hatte.

Nach dem Ende seiner Seemannslaufbahn im Jahr 1954, war dies der Grundstock des Hamburger Hafenbasar. Schnell sprach es sich bei den Seefahrern herum, dass man die Heuer durch den Verkauf von Reisemitbringseln bei Harry aufbessern kann. Auf dem Hamburger Fischmarkt und in den Räumen an der Bernhard-Nocht-Straße entwickelte sich ein Basar der ganz besonderen Art. Souvenirladen, Völkerkundemuseum, Klönschnack-Treff, Requisitenfundus, Zoo, Buchhandlung, Antiquariat und viele weitere Bezeichnungen wurden dieser "größten Rumpelkammer der Welt" (2700 Quadratmeter) nicht gerecht. Was immer man in den Räumen interessant fand, konnte man mit zu Harrys Tresen nehmen und nach einer ausführlichen Expertise auch erwerben. Zu allem konnte Harry eine Geschichte erzählen. Oft stand ich staunend dabei und fragte mich, "weiß er wirklich alles, oder ist da auch Seemannslatein dabei". Dieses Geheimnis nimmt Harry nun mit ins Grab. Soll mir auch egal sein, seine Geschichten waren nie langweilig. Ich habe Bildungsbürger vom Lehrer bis zum Uni-Prof. erlebt, denen bei Harrys Geschichten nichts weiter übrig blieb, als zustimmend zu nicken und ihre "Weisheiten" für sich zu behalten. Harrys Bestimmtheit duldete keinen Widerspruch und schon gar keine Besserwisserei.

Unwillkürlich kamen mir bei Harry regelmäßig die Ringelnatzschen Geschichten vom Seemann Kuttel Daddeldu in den Sinn. In den Niebuhrschen Katakomben war der Geruch von Kuttels verblichener Braut "Alwine" allgegenwärtig. Nur Harrys Kater konnte dagegen ankommen. Aber nicht nur Harry, sondern die gesamte Familie Rosenberg hat den Kiez stark geprägt. Mit Bruder Helmut habe ich 1968 die "St. Pauli Nachrichten" als linke Boulevardzeitung gegründet. Harrys verstorbener Sohn Harald hat das inzwischen leider übermalte Wandbild an den besetzten Häusern an der Balduintreppe gestaltet. Sohn Holger war einer der bedeutendsten Münz- und Papiergeldhändler Deutschlands. Sein Geschäft neben dem Hafenbasar musste er aber wegen überhöhter Mietforderungen aufs Land verlegen.

Um bei den Seefahrtsbegriffen zu bleiben: Auf St. Pauli findet mit der Jahrtausendwende ein "Wachwechsel" statt. Martin Sentrop von der Blockhütte hat seine Hawaiigitarre für immer weggelegt. Im vergangenen Jahr ist der Schlagermacher und Kiez-Künstler Ernst Bader gestorben. Anfang des Jahres starb "Kiez-Königin" Gisela Bartels, die auf die Entwicklung St. Paulis in den letzten 60 Jahren stärkeren Einfluss hatte, als manchem Kiez-Kenner bewusst ist (Willi Bartels wird mir nicht widersprechen).

Vor sechs Wochen starb Bruno Koschmider unbeachtet von der Öffentlichkeit als Sozialhilfeempfänger. Er hat 1960 die Beatles nach Hamburg geholt und bis in die 80er-Jahre mehrere Etablissements auf St. Pauli betrieben (u. a. Indra, Kaiserkeller, Bumber-Cars, Fürsthof, Knopf's).

Nun ist Harry Rosenberg nachgefolgt und viele St. Paulianer haben mir in den letzten Tagen mit ihrer Reaktion gezeigt, dass für sie ein "Familienmitglied" gestorben ist. Karin Rosenberg, die im Hafenbasar aufgewachsen ist, führt den Basar weiter. Zurzeit sucht sie neue Räume, da Ende des Jahres der Vertrag in der Großen Freiheit 68 ausläuft. Wunschtraum ist eine Kooperation mit dem St. Pauli Museum.