Vor dem Basketball-Spitzenspiel gegen Alba Berlin (Sonnabend, 15.30 Uhr, Wandsbek) spricht Tigers-Chef Jens Holtkötter über Visionen, Sponsoren und die Bedingungen für einen Umzug in den Volkspark

ABENDBLATT: Herr Holtkötter, Sie sind vor sechs Jahren mit dem Anspruch angetreten, den BCJ von der Regionalliga in die Basketball-Bundesliga (BBL) zu führen. Inzwischen spielen die Tigers ihre zweite Erstligasaison. Was treibt Sie an, Zeit, Arbeit und Energie in dieses Projekt zu stecken. Eitelkeit?

HOLTKÖTTER: Das ist vielleicht der erste Gedanke. Mein Gusto war eigentlich immer, im Hintergrund zu bleiben. Ich bin durch die Situation, die wir in der Verwaltung haben, gezwungen worden, in die vorderste Reihe zu treten. Ansonsten wollte ich aber keine Fernsehinterviews geben, wollte nicht, dass mein Name so oft in der Zeitung steht, denn die Reaktion darauf war nicht immer positiv. Viele, gerade aus der Kundschaft, haben gesagt: "Ach, mit so etwas geben Sie sich ab? Das ist ja wohl nicht seriös!" Eitelkeit ist sicher nicht der Grund.

ABENDBLATT: Ihre aktive Laufbahn ist durch eine Verletzung jäh beendet worden. Einige hätten Ihnen als Spieler sogar die Bundesliga zugetraut. Kompensiert der Funktionär, was dem Sportler Holtkötter verwehrt blieb?

HOLTKÖTTER: Ein wenig, das könnte sein. Aber in erster Linie wollte ich in dem Bereich, den ich beherrsche, zeigen, dass man auch in dieser leistungssportfeindlichen Stadt ein herausragendes Team aufbauen kann. So weit sind wir noch lange nicht, aber das ist unser Ziel: ein Team, das international spielt.

ABENDBLATT: Sie sprechen von widrigen Bedingungen. Woran machen Sie das fest?

HOLTKÖTTER: Nicht an Personen, sondern an Situationen. Wir können beispielsweise unseren Gegnern in der Bundesliga keine Trainingszeiten zur Verfügung stellen - weder in der Spielhalle noch sonstwo -, weil dort vielleicht Angelwettwerfen ist und niemand auf seine Hallenzeit verzichten kann und will.

ABENDBLATT: Das Gegenargument ist, dass sich der BCJ zu wenig um die Nachwuchsarbeit kümmert.

HOLTKÖTTER: Wir haben gerade mit Peer Scheer, Lorenz Manthey und Jamal Martin drei Jugendnationalspieler hervorgebracht. Wenn wir täglich eine Trainingshalle für das neue Jugendteam zur Verfügung hätten, wäre gute Jugendarbeit kein Problem. Wir haben hervorragende Trainer, aber wir bekommen einfach keine Flächen. Der Verein hat 250 Mitglieder, wir könnten ohne weiteres 600 haben, aber wir haben keine Kapazitäten.

ABENDBLATT: An diesem Sonnabend spielen Sie gegen Serienmeister Alba Berlin. Was unterscheidet Sie vom Marktführer?

HOLTKÖTTER: Das sind bestimmt 100 Punkte. Das fängt mit der Verwaltung an, in der Alba allein elf feste Mitarbeiter hat - bei uns sind es gerade mal zwei, von denen der eine, Andreas Nierhaus, noch Assistenztrainer ist. Ob es um Ticketing geht, um Vermarktung, Sponsoring, Catering, VIP-Bereich, Trainingsmöglichkeiten: Das alles steckt bei uns in den Kinderschuhen.

ABENDBLATT: Wie weit ist der BCJ davon noch entfernt? Lichtjahre?

HOLTKÖTTER: Um diesen Status zu erreichen, hat Alba fünf bis sechs Jahre gebraucht - allein in der ersten Liga. Der Verein hatte das ganz große Glück, dass ein regionaler Sponsor, ein Recyclingunternehmen, aufgesprungen ist und viel Geld zur Planungssicherheit beigebracht hat - und das in Tateinheit mit einer wunderbar für Basketball geeigneten Halle, mit entsprechenden Trainingsmöglichkeiten. Das sind Dimensionen, an die wir überhaupt nicht herankommen. Das ist wie FC Bayern und HSV - auch wenn der Rückstand langsam aufgeholt wird. Und die Berliner haben auch ein Interesse daran, dass wir stark werden. Berlin möchte keine langweilige Bundesliga haben, sondern Wettbewerb.

ABENDBLATT: Haben Sie die Hoffnung, dass sich auch für die Tigers ein größerer regionaler Sponsor finden lässt?

HOLTKÖTTER: Nein, diese Hoffnung habe ich aufgegeben. Wenn man in Hamburg akquiriert, fragt einen das Unternehmen: Wann bekomme ich für die Mark, die ich dir gebe, zwei wieder? Das macht keinen Sinn. Da wird auch nicht über Marketing oder Mediadaten diskutiert, über Fernsehen, Zielgruppen - so weit kommt man gar nicht. Stattdessen wird gesagt: Basketball interessiert uns nicht. Die Hamburger Wirtschaft, die so laut nach der neuen Arena schreit, engagiert sich so gut wie gar nicht im Leistungssport.

ABENDBLATT: Warum ist es selbst für Sie als Werbefachmann so schwierig, der Werbung treibenden Wirtschaft Basketball als lukrative Investition zu verkaufen?

HOLTKÖTTER: Wir rennen durchaus nicht gegen verschlossene Türen. Seit Jahr und Tag besitzen wir ein gutes Portfolio. In der vergangenen Saison hat unser damaliges Management aber nichts für eine konkrete Sponsorensuche getan, stattdessen haben wir immer mit der heißen Nadel gestrickt. Dieses Jahr sieht es ganz anders aus. Durch den Abschluss des Fernsehvertrages ist das Projekt gesichert. Jetzt brauchen wir einen Namensgeber und einen Hauptsponsor. Ich weiß, dass diese Verhandlungen in einem ganz kurzen Zeitraum abgeschlossen sein werden.

ABENDBLATT: Die Aussage, Sie stünden kurz vor dem Abschluss, haben wir in den vergangenen Monaten schon oft gehört. Wird man da nicht irgendwann unglaubwürdig gegenüber Spielern, Mitarbeitern, Publikum und den weiteren Partnern?

HOLTKÖTTER: Ich glaube nicht, dass unsere Spieler oder unsere Fans dadurch belastet sind. Wir sind in der Tat immer kurz vor dem Abschluss gewesen, nur kam jedes Mal etwas dazwischen: eine Bedingung, die uns nicht gefiel, zum Beispiel, dass wir einen Namen aufnehmen mussten, der nicht passte. Die Kombination zwischen Namensgeber und Hauptsponsor muss 100-prozentig zusammenpassen.

ABENDBLATT: Besteht nicht die Gefahr, dass man sich dabei verpokert? Die Tigers sind das einzige Team in der Basketball-Bundesliga, das weder Titel- noch Hauptsponsor hat.

HOLTKÖTTER: Wir pokern nicht. Wir wollen für beide Seiten eine profitable Lösung finden. Ich habe mit einigen Branchen ganz große Probleme. Unser Sport liegt im Trend, ist dynamisch, jung, schnell. Es gibt Produkte, die passen da einfach nicht rein. Ich kann nicht für eine Schachtel Pralinen Werbung machen. Da werde ich unglaubwürdig.

ABENDBLATT: Auch nicht für Alkohol?

HOLTKÖTTER: Außer Bier auf keinen Fall.

ABENDBLATT: Aber ohne Titel- und Hauptsponsor könnte man die Saison nicht durchstehen.

HOLTKÖTTER: Nein, aber darüber brauchen wir gar nicht zu sprechen. Es ist klar, dass wir uns jetzt entscheiden müssen. Bis zum Spiel gegen Alba ist der Name gefunden und die Brust dicht, definitiv. Insofern liegt keine Gefahr in dieser Situation.

ABENDBLATT: Die Liga hat einen Titelsponsor, auch Sie wollen Ihren Namen verkaufen. So gut Sie das Geld brauchen könnten: Darf sich ein Verein so sehr auf den Schoß eines Sponsors setzen?

HOLTKÖTTER: Man kann den Namen abgeben, wir brauchen das Geld, um weiterzukommen. Aber man darf sich niemals dem Sponsor ausliefern. Das ist genau das, was wir in der letzten Saison erlebt haben, als die Sponsoren mit ihren Forderungen aggressiv auf uns losgegangen sind. Denen ging es gar nicht mehr um den Sport, sondern nur noch darum, dass die Mannschaft für bestimmte Aktionen zur Verfügung steht.

ABENDBLATT: Nach den Regelreformen wurde die Devise ausgegeben, die BBL sei eine kleine NBA. Der Sport hält mit diesem Anspruch aber nicht Schritt. Um in Richtung der US-Profiliga zu gehen, muss man doch auch dem Publikum mehr Spektakel bieten. Kann diese Liga das leisten?

HOLTKÖTTER: Auf jeden Fall. In der BBL gibt es Leute, die spektakulären Basketball spielen, die NBA-reif sind. Bestes Beispiel: Mike Penberthy: letzte Saison noch bei uns, in diesem Jahr bei den Los Angeles Lakers. Auch unsere neuen Amerikaner sind hervorragende Spieler . . .

ABENDBLATT: . . ., die nächstes Jahr schon wieder woanders ihr Geld verdienen. Dem Publikum werden jedes Jahr neue Stars vorgesetzt, die guten deutschen Spieler wandern ins Ausland ab, weil es dort mehr zu verdienen gibt. Wo sind die "local heroes"?

HOLTKÖTTER: Wir sind doch multikulturell, das Publikum auch. Natürlich wollen wir diese Mannschaft zusammenhalten. Aber ein 24 Jahre alter Point Guard, der im Schnitt 20 Punkte in der Bundesliga macht, wird nächstes Jahr drei NBA-Angebote bekommen. Und selbstverständlich ist es sein Ziel, in der NBA zu spielen.

ABENDBLATT: Inwieweit taugen die Spieler zu Identifikationsfiguren?

HOLTKÖTTER: Wir versuchen ja auch unsere Nachwuchsspieler zu integrieren. Aber wenn wir gute Typen hier engagiert haben, springt der Funke aufs Publikum über. Die Fans lieben unsere beiden Amis schon jetzt . . .

ABENDBLATT: . . ., und der Gegner ist gar nicht so wichtig . . .

HOLTKÖTTER: Das stimmt. Was uns deutlich fehlt, ist die Basketball-Klientel. Ich sehe in der Halle keinen mehr, der selbst Basketball spielt. Das liegt daran, dass wir oft freitagabends spielen, und dann trainieren alle. Das wird sonnabends anders sein. Viele im Publikum sehen zum ersten Mal Basketball. Das habe ich im Spiel gegen Leverkusen gemerkt, als ein Zuschauer sich darüber aufregte, dass Fred Herzog nicht mehr eingewechselt wurde - dabei hatte der bereits fünf Fouls. Daran kann man sehen, dass wir langsam in eine neue Zielgruppe hineinkommen.

ABENDBLATT: Wie würde der Vermarktungsfachmann Holtkötter die Zielgruppe für die BCJ Tigers definieren?

HOLTKÖTTER: Basketball ist in Deutschland traditionell Universitätssport. Wir haben nach wie vor eine besser ausgebildete und kaufkräftigere Zielgruppe. Ich denke, unsere Zielgruppe sind alle Leute, die guten Sport sehen wollen, Lust haben zu jubeln, ein bisschen Show abkönnen und Spaß haben wollen. Das ist eine Riesenzielgruppe, eigentlich alle.

ABENDBLATT: Das wird auch nötig sein, wenn Sie in die neue Arena einziehen wollen. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass irgendwann 10 000 Leute zu einem BBL-Spiel der BCJ Tigers gehen.

HOLTKÖTTER: Das konnte man sich in Bonn auch nicht vorstellen, in Berlin schon gar nicht. Man muss bedenken: Vor fünf Jahren hat Alba vor durchschnittlich 2000 Fans gespielt. In der letzten Saison kamen 18 500 Zuschauer zum Spiel Bonn gegen Berlin in die KölnArena - ohne eine einzige Freikarte. Das funktioniert aber nur, wenn ich eine Eventvermarktung mache. Es geht darum, dass der Sponsor XY eine Riesenshow veranstaltet. Der Zuschauer muss auch außerhalb des Basketballs etwas geboten bekommen. Es muss etwas zu essen geben, einen Kindergarten, in dem ich meine Kinder abgeben kann - das geht nur in so einer Arena.

ABENDBLATT: Und wen interessiert dann noch das Spiel?

HOLTKÖTTER: Der Sport bleibt das Hauptinteresse. Aber wir werden nichts mehr vermarkten ohne Umfeld. Entertainment gehört überall dazu.

ABENDBLATT: Dank dieses Konzepts hat ein gewisser Axel Gernert mit Football und den Blue Devils in Hamburg Erfolg gehabt - mit unrühmlichem Ende. Besteht nicht auch bei den BCJ Tigers die Gefahr, dass alles an der Person Jens Holtkötter hängt?

HOLTKÖTTER: Die Person Holtkötter sorgt schon dafür, dass auch ohne sie der Laden weiterlaufen kann. Ich bin jetzt kurz von der Seite eingestiegen, aber nur so lange, bis wir eine befriedigende wirtschaftliche Situation vorfinden und im Management das richtige Personal haben. Ich werde nicht der Mäzen dieses Clubs sein. Ich habe das Projekt angeschoben. Wenn ich morgen gegen den Baum fahre, muss dieser Club in der Lage sein, weiter zu existieren. Ich bin letzte Saison mit eigenem Geld eingesprungen, um die Saison zu retten.

ABENDBLATT: Wie stark bringen Sie sich in die sportlichen Belange ein? Sie waren auch als Trainer erfolgreich und halten engen Kontakt zur Mannschaft. Wie viel Handlungsspielraum bleibt für Headcoach Peter Schomers?

HOLTKÖTTER: Er hat absolut freie Hand, ist aber so kooperativ, dass er fragt, ob seine Entscheidung auch von uns, Sportdirektor Heiner Zarnack, den Assistenztrainern und mir, mitgetragen wird. Aber es gibt keinen einzigen Fall, in dem wir ihm etwas vorgeschrieben oder abgelehnt hätten. Es gibt deutlich unterschiedliche Meinungen. Wir hätten zum Beispiel einen anderen Point-Guard verpflichtet als der Trainer - und hätten damit falsch gelegen.

ABENDBLATT: Ob es mit Basketball aufwärts geht, wird entscheidend vom Bau der Arena abhängen. Sie haben nie verheimlicht, dass Sie das Hallenmodell von Klaus-Peter Jebens in Farmsen bevorzugen. Ziehen Sie sich jetzt in die Schmollecke zurück?

HOLTKÖTTER: Um Gottes willen! Ich habe immer gesagt: Ich brauche eine neue Halle. Natürlich ziehe ich eine Halle mit 10 000 Plätzen einer riesigen Arena für 16 000 Fans vor. Hinzu kommt die Verkehrsanbindung. Aber dafür wird man eine Lösung finden.

ABENDBLATT: Meister Alba Berlin überwies für alle Spiele der vergangenen Saison in der Max-Schmeling-Halle eine Miete von 34 000 Mark an die Stadt. Dafür würde man in Hamburg nicht einmal die Wandsbeker Sporthalle aufschließen . . .

HOLTKÖTTER: Doch, die Wandsbeker Sporthalle kostet nicht sehr viel. Aber sie ist nicht bundesligareif, das fängt beim Boden an und endet bei den Räumlichkeiten. Wir müssen immer von Alsterdorf ausgehen. Und da würden wir für eine komplette Saison das Vierfache dessen hinlegen müssen, was Alba bezahlt hat. Wir gehen davon aus, dass wir je nach Umsatz 8000 Mark pro Spiel aufbringen müssen.

ABENDBLATT: Wie viel darf die neue Halle für die Tigers kosten?

HOLTKÖTTER: Das hängt davon ab, wie viele Zuschauer kommen. Wenn wir 20 Prozent unserer Zuschauereinnahmen abgeben, ist das das Höchste der Gefühle. Bei Jebens hätten wir 15 bezahlt.

ABENDBLATT: Gab es bereits Gespräche mit Arena-Bauherr Andreas C. Wankum?

HOLTKÖTTER: Ja, aber wir kennen weder Kosten noch Bedingungen. Was uns große Sorgen macht, ist, dass wir offenbar in der Arena nicht trainieren können - auch ein Unterschied zu Jebens, der uns eine Basketballhalle für Trainingszwecke mit 400 Plätzen in Aussicht gestellt hatte.

ABENDBLATT: Wie wahrscheinlich ist, dass die Tigers eines Tages in der Arena spielen?

HOLTKÖTTER: Wir brauchen die Arena nicht. Herr Wankum hat übrigens behauptet: "Wir brauchen die Tigers nicht unbedingt, weil wir uns ein Eishockeyteam aufbauen." Ich glaube, die Herren überschätzen, was im Eishockey möglich ist, und unterschätzen, was im Basketball sein wird. Aber wir werden nicht sterben, wenn wir nicht in der Arena spielen. Wir werden auch mit 5000 Zuschauern in Alsterdorf über die Runden kommen.

ABENDBLATT: Und wo stehen die Tigers in fünf Jahren?

HOLTKÖTTER: Unsere Vision ist, eine große Arena halb voll zu kriegen, in einer Europaliga zu spielen und in Deutschland zur Top Drei zu gehören.

ABENDBLATT: Mit Jens Holtkötter als Tigers-Chef?

HOLTKÖTTER: Selbstverständlich. Aber eines Tages will ich mich auf der Tribüne entspannt zurücklehnen können, ohne dass es mich zu sehr aufreibt, ob wir gewinnen oder verlieren.

Interview: ACHIM LEONI

und STEFAN RECKZIEGEL