Deutsche Professoren an Universitäten in Mittel- und Osteuropa

Von SABINE TESCHE

So etwas hatte Günter Abraham in seiner langjährigen Wissenschaftlerkarriere noch nie erlebt. Da schenkte ihm eine Studentin nach der feierlichen Eröffnungszeremonie der Technologischen Universität Kaunas eine Rose. Aus Dankbarkeit darüber, dass der Hamburger Volkswirt nach Litauen gekommen war, um sie und ihre Kommilitonen zu unterrichten. Der ungewohnte Respekt und die Wärme der Studierenden ist ein Grund, warum es den emeritierten Dozenten immer wieder semesterweise in die baltischen Staaten verschlägt. Aber vor allem will der 70-Jährige helfen, in den ehemals kommunistischen Ländern den akademischen Nachwuchs zu qualifizieren und das Lehrangebot an den internationalen Standard anzupassen.

Osteuropäische Universitäten mit seinem Fachwissen zu verstärken, das ist nicht nur für den Pensionär Abraham zur zweiten Lebensaufgabe geworden - 36 weitere emeritierte Hochschullehrer aus Deutschland machen derzeit dabei mit. Sie sind Teil der Stiftungsinitiative Johann Gottfried Herder "Deutsche Gastdozenten nach Mittel- und Osteuropa", die im vergangenen Wintersemester angelaufen ist. Um die jährlich 50 bis 60 Dozenturen mit je 27 000 Mark zu finanzieren, haben sich sechs deutsche Stiftungen zusammengeschlossen: Alfred Krupp von Bohlen und Halbach, Fritz Thyssen, Hertie, Robert Bosch, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Zeit-Stiftung. Jede wird sich mit 300 000 Mark pro Jahr an dem zunächst auf drei Jahre beschränkten Projekt beteiligen.

Organisiert wird das "Emeriti-Programm" von der Hochschulrektorenkonferenz und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Die Dozenten werden von einer Kommission ausgewählt. Vor allem sind Germanisten, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler gefragt.

An einer ost- oder mitteleuropäischen Universität zu lehren, bedeutet eine enorme Herausforderung. "Man ist vor Ort ein totaler Einzelkämpfer. Die anderen Professoren haben wenig Zeit, weil sie wegen ihres geringen Gehalts noch einen Zweitjob haben. Zudem sind sie oft sehr distanziert und auf Hierarchie bedacht", berichtet Professor Günter Lohse, der an der Hochschule für Ökonomie in Warschau war. Die Bibliotheken sind zumeist kaum ausgestattet, Kopierer oder Overheadprojektoren Mangelware und die Studierenden nur an Frontalunterricht gewöhnt.

"Die Studenten kennen nur Drill. Sie schreiben mit, was der Professor ihnen vorliest. Sie waren richtig schockiert, wenn ich mal eine Frage an sie gerichtet habe", sagt Antje Reumann de Fernandez. Sie lehrte Privatrecht an der EuroFakultät Tartu in Estland, "etwas, was es in diesen kommunistischen Ländern vorher nie gab". Die 68-Jährige musste erst mal Begriffe wie beispielsweise "Wucher" grundsätzlich definieren. "Man fängt praktisch bei null an", sagt die Bonnerin begeistert. Sie geht im Herbst erneut nach Tartu.

Überrascht waren die Gastdozenten von den guten Sprach- und Wissenskenntnissen ihrer Studenten. Zwei Fremdsprachen sind generell Pflicht und da die Universitäten oft strenge Auswahlkriterien haben, bekommen meist nur die besten Schüler einen Studienplatz. "Leider sind die Lehrpläne viel zu überladen, zum Teil mit überflüssigen Fächern, wie beispielsweise Warenkunde", sagt Abraham, der die Belastbarkeit seiner litauischen Studenten lobt. Nach spätestens zehn Semestern müssen sie ihren Abschluss machen, sonst fliegen sie von der Uni. Dafür haben sie keine Schwierigkeiten, einen qualifizierten Job zu bekommen. Zumindest nicht, wenn sie Wirtschaft oder Recht studiert haben.

Anders ist das bei den Germanisten. Die meisten Absolventen wollen entweder nach Deutschland oder Dolmetscher werden. "Keiner möchte Lehrer oder Dozent werden. Die verdienen nichts. Mit 80 Mark im Monat kann man kaum überleben", klagt Professor Götz Beck aus Aachen, der derzeit Germanistik an der rumänischen Universität Cluj-Napoca unterrichtet.

Wenig wird von Seiten der ost- und mitteleuropäischen Kollegen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses getan. Für Abraham war das die größte Enttäuschung. Grund sei die Unsicherheit der Dozenten, teilweise noch alter Kader, die außer Vorlesen keine Ahnung von Didaktik hätten und im Wissensstand den Studenten kaum voraus seien, fasst der Hamburger unter dem zustimmenden Nicken seiner Kollegen zusammen. Überheblich würde das klingen, wenn die meisten deutschen Emeriti nicht gleichzeitig Verständnis für die Situation der ausländischen Professoren mitbringen würden. Schließlich ist der Kommunismus erst seit zehn Jahren überwunden, der Transformationsprozess läuft noch. Und dass sich Neues an Universitäten nur gemächlich umsetzen lässt, kennen die deutschen Dozenten zu Genüge von ihren Heimatfakultäten.