Die Deutsche Welle hat Russen gefragt, was sie über die Deutschen denken. Eine Sammlung von Erinnerungen, Klischees und Heiterem.

Von SABINE TESCHE

Was denken Russen über Deutsche?", hat die Deutsche Welle ihre Hörer von Sibirien, Moskau bis Usbekistan gefragt. Die sozialistische Bruderschaft mit der DDR ist nun mehr als zehn Jahre Vergangenheit, die Mauer ist weg, und der ehemalige "Feind" Russlands, ein deutscher Bundeskanzler, saß sogar mit dem Ex-Präsidenten des Riesenreiches in der Sauna.Die 4000 Zuschriften reichten von persönlichen Erinnerungen, vor allem der Älteren aus dem Zweiten Weltkrieg, typischen Klischees über unser "ordnungsliebendes" Volk, hin zu bewundernden, aber auch hasserfüllten Bemerkungen über die Deutschen. Die Osteuropa-Redaktion des deutschen Auslandssenders hat die Hörerbriefe zu einem Buch zusammengefasst. Das Abendblatt hat die interessantesten Texte daraus ausgewählt:

[GEFÜLLTER KREIS] Als Erstes staunte ich in Deutschland über die Telefonzellen mit ihren dicken Telefonbüchern, die nicht geklaut wurden. In den Teichen schwammen fette Karpfen, die - aus welchen Gründen auch immer - keiner angeln wollte. Spiegelglatte Straßen, Sauberkeit, Ordnung, Autofahrer, die Fußgänger vorbeiließen. Eine Fülle eines kaum vorstellbaren Warenangebots.

Wasilij Giljarow, Nowosibirsk

[GEFÜLLTER KREIS] Bevor Fax, E-mail usw. allgemein verbreitet waren, kommunizierte man u. a. per Fernschreiber. In unserer Organisation standen zwei Geräte. Ein deutsches, Jahrgang 1939, das aus den Reparationsleistungen stammte, und das zweite war ein russisches. Die Geräte hatten verschiedene Rufzeichen. Also: Wenn eine Nachricht "bombensicher" durchkommen sollte, so baten wir telefonisch immer darum: "Sende zum ,Deutschen'."

Viktor Jeroschin, Sewersk

[GEFÜLLTER KREIS] Was ich über die Deutschen denke? Unsere Länder haben beide schreckliche Tyrannen erlebt. Ihr hattet Hitler und wir Stalin. Aber ihr seid diszipliniert und wartet, bis die Ampel grün leuchtet, wir gehen schon bei Rot los.

Matwej Danilowitsch Kopytschenko, Saporoshje

[GEFÜLLTER KREIS] Es gibt einen Witz über die übertriebene Ordnungsliebe der Deutschen: In Deutschland führt ein Weg zum Meer. Da steht ein Schild: "Bis zum Meer noch 1000 Meter." Ein Stück weiter: "Bis zum Meer noch 900 Meter." Und so weiter. Direkt am Ufer steht ebenfalls ein Schild mit dem Hinweis: "Das Meer." Trotzdem ist mir so eine Ordnung lieber als der Schlendrian in meiner Heimat.

Natalja Gwosdjewa, Wirtschaftsstudentin, Universität Moskau

[GEFÜLLTER KREIS] Ich denke bei dem Wort "Deutschland" an den Faschismus. Kann man etwa gleichgültig bleiben, angesichts dessen, was sie jetzt anrichten? Genau wie in der Zeit von 1941 bis 1945 werfen sie Bomben, töten vollkommen schutzlose Menschen. Sie beschuldigen den jugoslawischen Präsidenten Milosevic des Völkermords, doch sein Volk wirft keine Bomben auf ihre Städte.

Walentina Serjogina, Nowgorod

[GEFÜLLTER KREIS] Ich heiße Tanja und bin zehn Jahre alt. Mein Vater ist Musiker. Er hat mir irgendwann einmal erzählt, dass man auf dem Standesamt die Musik des deutschen Komponisten Mendelssohn-Bartholdy spielt. Und seitdem denke ich beim Anblick einer Hochzeitsgesellschaft immer an das ferne Deutschland und bin ganz begeistert, dass ein Deutscher eine so wundervolle Musik für den glücklichsten Moment im Leben eines Menschen geschrieben hat. Danke, Mendelssohn!

Tanja Jaganowa, Nartkala.

[GEFÜLLTER KREIS] Meine Mutter erzählte mir, dass im Jahre 1941 in ihrem Haus fünf Deutsche einquartiert wurden. Ihr Bruder, mein Onkel, war damals noch nicht einmal ein Jahr alt und schrie nachts laut. Der ranghöchste Offizier sagte zu der Mutter des Kindes, meiner Großmutter, wenn der Junge weiter ihre Nachtruhe störe, würden alle aus dem Haus gejagt oder der Junge würde erschossen.

Meine Mutter war starr vor Schreck. Doch ein anderer Deutscher, der Feldarzt Otto, der auch im Hause einquartiert war, kam ihr zu Hilfe. Er untersuchte den Jungen und stellte bei ihm eine Lungenentzündung fest. Er gab dem Kleinen irgendein rotes Streptozyd. Der Junge wurde wieder gesund.

I.D. Rjapolow, Kursk

[GEFÜLLTER KREIS] Deutschland ist das Land Goethes und Schillers, . . . des schönsten Mannequins Claudia Schiffer und des großartigen Tennisspielers Boris Becker. Es ist das Land der stabilen Währung, guter Parfüms und Kosmetik.

Für mich als Sechzehnjährige ist Deutschland auch untrennbar mit Musik verbunden. Heute ist es die Gruppe "Modern Talking".

Ljuda Gladkowa, Rjasan

[GEFÜLLTER KREIS] Karl-Heinz Rummenigge, der Mittelstürmer der deutschen Nationalmannschaft aus den siebziger Jahren, ist, glaube ich, ein echter Deutscher! . . . Er und nur er sollte der Kaiser sein - nicht der behäbige und eingebildete "Kaiser Franz" Beckenbauer!

Wolodimir Knyr, Kiew

[GEFÜLLTER KREIS] Ich würde in erster Linie folgende Charakterzüge als deutsch bezeichnen: Sparsamkeit, Gründlichkeit, Ordnungsliebe, Kinderliebe, Fleiß, Zielstrebigkeit und Ausdauer. Ich denke aber auch, dass einige Eigenschaften eher lästig sind. Zum Beispiel die allseits bekannte deutsche Gründlichkeit. Sie zeigt sich auch daran, dass alles bereits im Voraus geplant und sogar in einem Notizbuch notiert wird. Und wie sieht es da mit den verschiedenen Zufallsbegebenheiten aus, wenn zum Beispiel Freunde plötzlich zu Besuch kommen? Sie hinauswerfen? Oder zu sagen: Ich habe zu tun, kommt später noch mal vorbei? Irgendwie ist es unhöflich . . .

Sergej Strekotin, Jekaterinburg

[GEFÜLLTER KREIS] Meine Mutter war Ostarbeiterin; sie wurde zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Hier muss man wohl noch einen Charakterzug der Deutschen erwähnen: die Bußfertigkeit und das Reuegefühl für all das Elend, das der Nationalsozialismus bei den Völkern Europas angerichtet hat. Meine Mutter, die in ihrer Heimat keine Rente erhält . . . konnte nicht verstehen, warum auf einmal die deutsche Regierung - die eines anderen Landes - ihr 560 Mark (für die Ukraine ist das ein ansehnlicher Betrag) zahlt. Es handelte sich um eine Entschädigungszahlung.

Wladimir Tkatschow (35), Kramatorsk im Donezk-Gebiet.

[GEFÜLLTER KREIS] Deutschland ist ein sehr "langweiliges" Land. Hier gibt es weder Schutzgelderpressungen (wie bei uns) noch Schießereien, weder Finanzkrisen noch eine unberechenbare Regierung.

Nina Grischina, Moskau