Dreharbeiten sind anders, als man denkt - und für einen jungen Bühnenschauspieler zuerst mal gewöhnungsbedürftig. Auch wenn ein Profi wie Heinrich Breloer die Geschichte der Familie Mann verfilmt.

Von

SILJA UKENA

B

eim Film sein - das ist was. Wenn es früher von einem hieß "der ist beim Film", dachte man an Blitzlichtgewitter, an rote Teppiche und Ruhm. Das ist heute nicht wesentlich anders, auch wenn natürlich längst alle wissen, dass es ganz anders ist: alles nur schöner Schein, Schminke und Scheinwerfer und Schnitt-technik. Aber vollständig will man sich die Illusion von der glamourösen Welt der Illusionen nicht rauben lassen. Das wahre Leben ist erbarmungslos genug. Und so haftet dem "Beim-Film-Sein" noch immer ein kleiner Zauber an.

Philipp Hochmair ist beim Film. Aber nicht irgendwo dort - also keine seifenopernhafte Serie oder gar B-Movie -, sondern bei Heinrich Breloers 20-Millionen-Mark-Mammut-Projekt "Die Manns - ein Jahrhundertroman". Ein Doku-Drama auf den Fährten der großen Schriftsteller-Familie. Für "Todesspiel"-Regisseur Breloer die größte Herausforderung seiner Karriere, sagt er.

Ein handverlesenes Trüppchen Schauspieler darf dabei sein, und Philipp Hochmair ist einer von ihnen. Er spielt Golo Mann, den am ärgsten familiengeschädigten Spross des Clans. Es ist, nach einigen Auftritten als Unterweltler beim "Tatort", seine erste größere Rolle. Sonst spielt er Theater, hat mit Klaus-Maria Brandauer gearbeitet, mit Peter Zadek und Nicolas Stemann. Aber beim Film ist alles anders, "da bist du wieder blutiger Anfänger, egal wie oft du auf der Bühne schon ein Werther oder ein Hamlet warst".

Angst hat er gehabt, Schiss regelrecht, dass vor Drehbeginn irgendwas schief gehen könnte. Dass er im letzten Augenblick gegen eine Glastür rennt und sich die Nase bricht. Oder plötzlich einen Weisheitszahn bekommt, denn: "Es tat schon so komisch weh im Kiefer." Deswegen war die erste Klappe einer der schönsten Momente am Ganzen, weil da ein Traum wahr wurde und die eigentliche Arbeit noch nicht begonnen hatte.

Alle waren sie da: Armin Mueller-Stahl mit seinem Paul-Newman-Blick, als Thomas Mann ganz Patriarch. Monica Bleibtreu, die die Katia spielt. Jürgen Hentsch alias Heinrich Mann, Veronica Ferres, die dessen zweite Frau Nelly gibt, Sophie Rois als Erika Mann. Und das gesamte Team, von der Kostümfrau bis zum Kabelträger.

Inzwischen sind gut drei Monate vergangen. Es ist acht Uhr morgens, Bavaria-Film-Gelände München. Am Tor vorbei, dann die Alfred-Hitchcock- und die Burt-Lancaster-Straße links liegen lassen. Weiter bis zum Waldrand. Dort stehen ein paar Container und ein altes Haus.

Das alte Haus ist neu. Aber das merkt man nur, wenn man genau hinschaut. Es ist die Villa der Manns, im Originalnachbau sozusagen. Jedes Detail stimmt: das schwarze Bakelit-Telefon, im Arbeitszimmer Ludwig von Hoffmanns Bild "Die Quelle", auf dem sich drei nackte Knaben an einem Wasserfall ergötzen. Sogar ein Widergänger der Mannschen Zimmerlinde wurde gezüchtet.

In der Halle der ausgestopfte Braunbär, dem geneigten "Buddenbrooks"-Leser bereits ein alter Bekannter: "mit offenem Rachen" und "Visitenkartenschale zwischen den Tatzen", so hat das staubige Tier Eingang in die Weltliteratur gefunden.

Manchmal, in ganz stillen Sekunden, meint man Schritte zu hören auf dem glatten Parkett, und dann könnte eine Tür sich öffnen und Thomas Mann herein-treten. Nur der Geruch ist falsch, neu und unbewohnt.

Unten im Keller blickt einem statt seidener Spanntapete schnöder Waschbeton entgegen, und dort gibt es nun Frühstück: dicke Scheiben Leberkäs und Kaffee. Der Catering-Mann appliziert selbstvergessen Petersilienbüschel auf Käse-Wurst-Semmeln, als wollte er den Preis für die schönste Brötchen-Deko gewinnen. Schließlich wollen Leib und Seele satt werden.

Nun klopft es zaghaft in der Maske, und im Türstock stehen fünf SA-Männer, wünschen "einen Wunderschönen" und wollen auch erst mal gepudert werden.

Unterdessen wird aus Philipp Hochmair - geboren 1974 in Wien, jetzt wohnhaft Hamburg St. Pauli - Golo Mann, geboren 1909 in München. Das Handy bleibt in der Garderobe, die ein Plastik-Wohncontainer mit Sofa und Kandinsky-Drucken an der Wand ist. Hosenträger, Hemdkragen, braune Lederschuhe - und plötzlich hat Hochmair diesen leicht schiefen Zug um den Mund, geht anders, steifer von den Knien her, nicht mehr so schlenkerig. Nur seine blauen Zauberaugen sind geblieben. Golo hatte braune, aber die gefärbten Kontaktlinsen sind immer wieder herausgefallen. Er sagt: "Heute kommen die Nazis und durchsuchen unser Haus." Wir sind im Jahr 1933.

In der Maske gibt es einen kleinen Streit, ob Golos spärliches Lippenbärtchen in der vorigen Szene nicht kürzer gewesen sei. War es nicht. Ein Album mit Polaroids, in dem auch Veronica Ferres' Steckfrisur und Mueller-Stahls respektive Thomas Manns Muttermal archiviert sind, liefert den Beweis. Damit auch ja der Anschluss zum nächsten Bild stimmt. Genauso akribisch wird darüber gewacht, dass die halb gerauchte Zigarette nicht plötzlich wieder Dreiviertel lang ist oder statt des roten Weins auf einmal ein weißer dasteht.

Nun klopft es zaghaft in der Maske, und im Türstock stehen fünf SA-Männer, wünschen "einen Wunderschönen" und wollen auch erst mal gepudert werden. Eine absurde Situation, so echt sehen sie aus in ihren braunen Hemden und in den harten Stiefeln.

Mittlerweile ist es zehn. Drehbeginn hätte vor einer Stunde sein sollen. Aber nun geht es los - oder rennt vielmehr: Die Nazis rennen ins Haus, Golo die Treppe hinunter, die Köchin kreischend durchs Bild.

Und dann wieder von vorn. Auch nach dem zehnten Mal - der naive Zuschauer fragt sich bereits, worin der Unterschied zwischen Treppeherunterlaufen und Treppeherunterlaufen bestehen könnte - zeigt niemand einen Hauch von Ungeduld.

Mal ist die Köchin zu langsam, dann die SA zu schnell. Oder der Ton-Assistent wedelt mit dem Mikrofon ins Bild. Oder dem Komparsen rutscht statt "Ja, gut" ein den 30er-Jahren unangemessenes "Okay" raus. Oder es muss eine Haarsträhne in Position gebracht werden. Kurz, irgendetwas ist immer, dass Regisseur Breloer engelsgeduldig seinen Lieblingssatz sagen lässt: "Wunderschön. Das machen wir noch einmal."

Mittag ist lange vorbei. Im Keller hockt im trüben Neonlicht ein junger Mann und isst verzweifelt sein zehntes Brötchen. Das pomadisierte Haar hängt strähnig, sein Make-up ist fleckig. Seit acht Uhr morgens sitzt er hier, einsatzbereit, um einmal mit Golo die Treppe hinunter zu laufen. Bestellt und nicht abgeholt. "Filmgeschäft heißt vor allem warten", sinniert er und geht Kuchen holen.

Ja, warten. Ein anstrengendes Warten, weil man jederzeit aufspringen können muss, einen Scheinwerfer aufbauen, einen Knopf annähen oder einfach nur aus dem Weg gehen. Eine merkwürdige Mischung aus Anspannung und Nichtstun, vor der nicht einmal die Schauspieler sicher sind. "Du wirst weichgekocht wie ein Gemüse von der vielen Warterei", sagt Philipp Hochmair. "Und du musst dich innerlich völlig dagegen abschotten, damit du, wenn es endlich losgeht, nicht wie eine schlappe Karotte spielst."

Das geht so monatelang, zwölf bis dreizehn Stunden am Tag. Und ohne, dass man ein Ergebnis in der Hand hätte. Nicht wie am Theater, wo ein Stück langsam ein Ganzes wird, mit den Schauspielern wächst. Hier wird zwischen Jahren und Ereignissen hin und her gesprungen. Eben ist Hitler an die Macht gekommen, da wird im Nebenraum der Weihnachtsbaum des Jahres 1928 geschmückt, und im Garten verlegt jemand eine Schneedecke. Magie ist da noch keine, die entsteht erst im Schneideraum.

Elf Uhr abends. Der Produktionspraktikant fährt den Herrn Hochmair ins Hotel. Golo Mann ist in der Garderobe geblieben, übrig nun ein müder junger Schauspieler, der sich manchmal fragt, was er da eigentlich tut. Aber so ist das: Filmen heißt, sich zuerst einmal zur Verfügung stellen. Alles geben und dem Regisseur vertrauen, auch wenn die Zusammenhänge noch nicht sichtbar geworden sind. Bis der Punkt kommt, an dem die Puzzleteile sich fügen. Zu Bildern verschmelzen, die die Kraft und die Wucht haben, Menschen zu verführen.

Das Fräulein an der Rezeption weiß nichts von alledem. Sie weiß nur, dass der Gast aus Zimmer 219 "beim Film" ist. Und wenn sie das so sagt, sieht mans in ihren Augen aufleuchten: Blitzlichtgewitter, einen roten Teppich und Ruhm.