kn Alveslohe/Kaltenkirchen - Eine Spende über 200 Mark ist eigentlich nichts Besonderes. Doch dieser Scheck, der vor wenigen Tagen im Briefkasten des Alvesloher Historikers Gerhard Hoch lag, hat einen ganz besonderen Hintergrund: Er stammt von einem Mann, dessen Vater einst Lagerführer des KZ-Außenkommandos Kaltenkirchen war. Dahinter steckt eine Geschichte, die viele menschliche und nur wenige unmenschliche Aspekte hat. Es ist die Geschichte aus einer Generation, die es gelernt hat, der Obrigkeit zu gehorchen.

Gerhard Hoch, der sich seit vielen Jahren kritisch mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzt, ist bestimmt kein Mensch, der leichtfertig Urteile über andere spricht. Weder positive, noch negative. Wenn er jetzt sagt, er sei für diesen Mann "etwas eingenommen", ist es eine verblüffende Beurteilung eines Mannes, der im Nazi-Gefüge keine kleine Rolle spielte. Er hatte eine leitende Funktion und hatte für kurze Zeit grausame Unmenschlichkeiten zu verantworten.

Otto Freyer hatte Karriere bei der Wehrmacht gemacht. Als Offizier war er im Jahre 1944 von seinem Truppenteil in Oberschwaben in das Konzentrationslager Neuengamme abkommandiert worden. Das war eine Aufgabe, für die er sich zu "weich" fühlte. Nachdem er das dem Kommandanten mitgeteilt hatte, musste Freyer eine Woche lang das Exekutionskommando übernehmen und als Offizier den Hinrichtungen beiwohnen, um zu kontrollieren, dass die Gehängten tatsächlich tot waren. Diese Maßnahme war zur "Abhärtung" gedacht, hatte aber den gegenteiligen Effekt. Nachdem der Kommandant eingesehen hatte, dass der Offizier für Neuengamme und die dortige Tötungsmaschinerie ein "hoffnungsloser Fall" war, wurde er zum Jahreswechsel 1944/45 mit der Leitung des Kaltenkirchener Außenlagers betraut. Etwa vier Monate blieb Otto Freyer auf diesem Posten, dann wurde seinen Eingaben entsprochen, ihn wieder nach Oberschwaben zurückzuversetzen.

Diese Angaben, die Gerhard Hoch in seinem Buch über das Lager verarbeitet hat, hat Freyers Sohn Gerhard 1976 gemacht. Otto Freyer selbst, der später in Stuttgart eine Bilderrahmenhandlung betrieb, war bereits 1971 verstorben. Aussagen von Häftlingen, die während dieser Zeit im KZ-Außenkommando Kaltenkirchen lebten, bestätigen die "weiche Haltung" des Lagerführers: "Ich habe ihn persönlich nie schlagen gesehen, noch habe ich gehört, dass er es getan hätte oder er direkt befohlen hätte, die Deportierten schlecht zu behandeln", sagte Abbé Louis Besancon aus Frankreich 1977 aus. Er warf ihm aber gleichzeitig vor, dass er seinen Untergebenen zu viel Freiheit gelassen habe, so dass die Häftlinge unnötig schlechte Behandlung hätten erdulden müssen. "Zum Beispiel den unvorstellbaren Aufenthalt auf dem Appellplatz am Morgen und das endlose Warten bei Regen, Schnee und Kälte beim Abmarsch zur Arbeit." Später sagten Frauen sogar aus, er solle über die Verhältnisse in diesem Lager geweint haben.

Als Otto Freyer schließlich abgelöst wurde, kam bis zum Ende des Nazi-Regimes mit Bernhard Waldmann ein Lagerleiter, der offenbar die nötige "Härte" für diese Aufgabe besaß. Dessen Söhne wurden ebenfalls von Gerhard Hoch angeschrieben; anworteten aber nie.

Für den Alvesloher Historiker ist das Verhalten Freyers ein Beispiel dafür, wie sich normale Menschen leicht zu Instrumenten der Gewalt und des Terrors machen lassen können. Beachtenswert sei, dass Otto Freyer keine Nachteile durch seine Haltung und seine wiederholten Versuche hatte, diese ungeliebte Aufgabe wieder abzugeben. Im Gegenteil: Er wurde in seine Heimat zurückgeschickt, wo er bis zum Kriegsende als Hauptmann für die Brückenüberwachung zuständig war. Und noch etwas leitet Gerhard Hoch aus dieser Geschichte ab: "Das ist ein lebendiges Beispiel gegen die Legenden vom Befehlsnotstand." Auch wenn Hoch für Otto Freyer "etwas eingenommen" ist, wiegt das seiner Ansicht nach keineswegs die Tatsache auf, dass unter seiner Lagerleitung Menschen umgekommen sind. In der 60er-Jahren wurde noch einmal gegen Otto Freyer wegen der Tötungsdelikte in Kaltenkirchen ermittelt. Die Staatsanwaltschaft wollte den damals 71-Jährigen jedoch auf Grund seines Alters nicht weiter verhören, weil sie keine neuen Erkenntnisse erwartete. Das Verfahren wurde eingestellt. "Eigentlich ein starkes Stück, dass der Hauptentlastungszeuge damals nicht gehört wurde", so Hoch.

Freyers Sohn Gerhard hat sich mit der Situation seines Vaters eingehend beschäftigt und begrüßt die Gründung einer Gedenkstätte. "Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, unseren Nachkriegsgenerationen klar zu machen, was in einer Diktatur geschieht oder geschehen kann, wozu die Menschen fähig sind und wie hilflos ein ,normaler' Mensch einer derartigen Maschinerie gegenüber steht", schreibt er an Gerhard Hoch. "Es ist genauso schwer, einem satten Menschen beizubringen, was Hunger ist."