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ie drei Graugansküken lieben es, von den Jack-Russel-Terriern Fuzzy und Fiete zärtlich geknufft zu werden. Auf der Weide nebenan stapft das pfundige Schwarzwälder Kaltblutpferd Rudi Rasmus mit den Hufen ins Gras, da schwirrt ein Schmetterlingsschwarm zwischen der 350 Jahre alten Eiche und den jungen Obstbäumen, fühlt sich der Papagei Ara zu großen Reden animiert.

Die Stimmung ist gut auf dem Gestüt Wiedingen, knapp fünf Kilometer vor den Toren Soltaus idyllisch in der Lüneburger Heide gelegen. Schließlich ist was los heute an diesem herrlichen Junitag. Im Schatten des Gestütshauses sitzen zwei Architekten über ihren Plänen, vor der Scheune rangiert Gestütsmeister Klaus Martin (51) den grünen Geländewagen. Daneben steht ein schwarzes Mercedes-Cabrio: Just ist Züchter Helmut von Finck (40) mit seiner Lebensgefährtin Antonia Bügl, einer selbstständigen Immobilienkauffrau, auf Wiedingen eingetroffen. Das Flugzeug aus Düsseldorf war pünktlich in Hamburg, aber dann das Elend mit dem Elbtunnel . . .

Egal, Helmut von Finck ist prächtiger Laune. Das BMW 131. Deutsche Galoppderby auf dem Hippodrom in Hamburg-Horn steht vor der Tür; von Fincks Vollblutstute Quezon City, benannt nach einer Stadt auf den Philippinen, geht mit reellen Außenseiterchancen in die Startbox. Kürzlich belegte sie als heiße Favoritin mit kurzem Kopf Abstand den zweiten Platz im Preis der Diana, dem inoffiziellen Deutschen Stutenderby. Neben Flamingo Road, der Derbydritten aus dem vergangenen Jahr und frischen Siegerin im Idee Hansa-Preis am Sonntag und dem Hengst Acamani zählt Quezon City zu den besten Pferden im Stall.

Der Nachwuchs hat ganz andere Probleme. Wie soll man als kleines, müdes Fohlen in Ruhe das Leben auf der Koppel genießen, wenn surrende Fliegen einem das Nickerchen verdrießen? Wenn die Mutter ständig mit den Hufen scharrt und mit der Nase stupst? Schließlich ist Provacatrice erheblich genervt: Unwillig erhebt sich das edle Fohlen, um auf zittrigen Beinen so weit wie möglich Haltung anzunehmen. Ähnlich wie die anderen Pferdekinder sind Provacatrice, Pashmina und Flyaway hier erst vor ein paar Tagen auf die Welt gekommen.

Die jungen Rassepferde haben Glück: Sie sind in einer heilen Welt geboren. Das 80 Hektar große Gestüt Wiedingen mit kultivierter Heide und Moor, mit den malerischen Wiesen, Wäldern, Rhododendron-Züchtungen und Fischteichen ist ein Dorado für Tiere. In trauter Eintracht grasen hier ein halbes Dutzend schottischer Hochlandrinder plus Kälber neben edlen Vollblütern, die wegen ihres hohen Wertes für Rennen und Zucht ein bisschen wie vierbeinige Mini-Tresore wirken. In diesem Moment naht ein Kronenkranich. Gelbbrust-Ara Tarzan flattert ganz aufgeregt mit den gestutzten Flügeln - die beiden mögen sich.

Das gilt ebenso für Helmut von Finck und seine Vollblüter. Behände krabbelt der Gestütschef durch das Holzgatter auf die Koppel, streichelt die Fohlen und verwöhnt die Mutterstuten mit frischen Möhren. Ein Fohlen liegt ein wenig im Abseits. Der Baron hats gesehen und vergibt wohlwollend eine Streicheleinheit. Es ist ein Bild für Götter hier im Pferdeparadies.

Und dieser sympathische Typ ohne Starallüren, dieser Mann mit der sanften Stimme, dem direkten Augenkontakt, mit Jeans und kurzem Polohemd lässig gekleidet, soll jener schillernde Millionär sein, der den Boulevardgazetten Anfang der 90er-Jahre reichlich Futter für Skandalgeschichten frei Redaktion bescherte? Der von seinem Vater, dem verstorbenen Bankier August von Finck, schlappe hundert Millionen Mark geerbt haben soll und damit das machte, was wahrscheinlich viele Twens machen würden: Remmidemmi.

Tatsächlich ließ Helmut von Finck in jungen Jahren die Puppen tanzen. Auch wenns ihn heute grämen mag: Leben war für ihn damals Highlife in Tüten. Provokativ ließ er sich mit Schampus und Silbertablett im Lotterbett ablichten, die eigene Diskothek "Confetti" in München galt nicht gerade als Heimstätte der Heilsarmee. Der junge Baron zockte wie ein Teufel, fuhr recht begabt Trabrennen - und suchte schließlich Lebenssinn beim Bhagwan Shree Rajneesh.

Ein paar aufopferungsvolle Monate Maloche auf des Meisters Plantagen animierten von Finck, der sich selbst Swami Anad Nityio (Dem die Freude angeboren ist) nannte, zur Rückkehr nach Bayern.

Die Aufnahme in den Galopperzirkel verlief für den vierfachen bayerischen Amateurtraber-Champion schleppend. "Vom Baghwan zur Rennbahn" oder "Pech-Baron: So verjubelt man Millionen", überschrieb die "Bild"-Zeitung großformatige Artikel. Da nahmen die alteingesessenen und auf Stil bedachten Züchterfamilien wie Jacobs, Darboven oder Oppenheim lieber erst mal Abstand: Manchmal argwöhnisch, immer jedoch mit Argusaugen wurde das Enfant terrible des Turfs von der angestammten Galoppergilde gemustert.

Das hat sich gewandelt - komplett. Seit einigen Jahren gilt Helmut von Finck als vollwertiges, ehrbares Mitglied der Züchterzunft. Seine Anwesenheit dient den gesellschaftlichen Highlights zur Zier. Wenn der Baron denn käme. Tatsächlich ist ihm jedes Ballyhoo zuwider, großem Brimborium um seine Person geht er gezielt aus dem Wege. Manchem eitlen Turfzar stünde diese Diskretion gut zu Gesicht. Oft wissen nur Eingeweihte, welchen prominenten Namen jener unauffällige Mann mit dem gelockten Haarschopf und der Sonnenbrille trägt, der, meist bekleidet mit Leinenhose und Blazer, in Besuchermanier über das Hippodrom flaniert. Wenn in VIP-Villages der Schampus spritzt und die Groupies kreischen, ist von Finck meilenweit entfernt.

"Ich habe gelernt, musste anfangs eine Menge Lehrgeld zahlen, stehe aber dazu", sagt Helmut von Finck seelenruhig, nippt nachdenklich am Mineralwasser und blickt von der hölzernen Bank hinaus auf die Pferdeweide. "Und es verschafft einen gewissen Grad an Zufriedenheit, mit dem eigenen Unternehmen nun recht erfolgreich dazustehen." Sorry, Baron, aber das ist untertrieben: Die Gestütsfarben Gold und Violett bürgen auf den Rennbahnen für Qualität - nicht nur in Deutschland, auch auf ausländischen Rennbahnen.

Namen wie Flamingo Road, Flamingo Paradise, Fastaghano, Kaldono, Waky Nao, Acamani oder Quezon City werden von Experten mit Anerkennung quittiert. Das erfolgreiche Geschäftsprinzip: Von Finck kauft nicht mehr nur fertige Pferde für horrendes Geld, er züchtet selbst. Verkauft Fohlen mit Gewinn und zählt zu den Züchtern, die wirtschaftlichen Sachverstand, Pferdewissen und ein glückliches Händchen geschickt zu kombinieren verstehen. Ein paar Hunderttausend Mark für einen Jährling müssen nicht viel sein im Geschäft um die schnellsten Rösser der Welt.

"Ich bin meinen ganz eigenen Weg gegangen und genieße das Glück, mein Hobby zum Beruf gemacht zu haben", ergänzt der Züchter. Zwar sind alte Titel wie "Millionenerbe" oder "Bankierssohn" bei einigen noch immer nicht ganz vergessen, insgesamt indes überwiegt Respekt vor seinem Wirken. Auch wenn der Züchter und Kaufmann bekennt, sich bei einer Auktion auch heute noch "spontan in einen Vollblüter zu verlieben" und "schon mal die Hand zu heben, wenn das Herz Ja, die Brieftasche jedoch Nein sagt".

In diesem Frühjahr kam von beiden Seiten ein klares Ja. Als das Gestüt Wiedingen kurzfristig zum Verkauf stand, zögerte von Finck nicht. Tatsächlich werten Experten den Kaufpreis von drei Millionen Mark als "Schnäppchen", der wahre Wert der 80 Hektar liege weit höher. Beim Verkauf allerdings war Eile geboten. Früher gehörte das Gelände dem Besitzer des Vogelparks Walsrode, Wolf-Walter Brehm.

Der hier Vogelzucht und Pferdepassion ideal verband: Er ließ eine 2000 Meter lange Trainingsbahn mit optimalen Rasenverhältnissen errichten und züchtete im Inneren Emus, Nandus und anderes großkalibriges Federvieh. Heute sind die Volieren zwar zugewuchert, erinnern aber an vergangene Tage, in denen Gestütsmeister Klaus Martin öfter mal nach Mallorca düsen musste, um sich dort um den Vogelzuchtbetrieb zu kümmern. Das nahm viel Zeit in Anspruch: Ara Tarzan wechselte im Naturalien-Tausch als Ersatz für 90 Tage Urlaub den Besitzer.

"Als ich dieses Pferdeparadies sah, habe ich nicht gezögert", erinnert sich von Finck. Der Vertrag wurde unter Ehrenmännern Ende vergangenen Jahres per Handschlag besiegelt; juristisch gültig ist er seit dem 1. April 2000. Damit fanden jahrelange Bemühungen des Barons ein Ende, ein passendes Gestüt zu kaufen. Offerierte Objekte waren entweder viel zu teuer, zu klein oder wenig zentral. Also wurden die Mutterstuten im Gestüt Isarland in Bayern untergestellt; Waky Nao wurde als Deckhengst im renommierten Gestüt Schlenderhan untergebracht.

Nach und nach sollen Stuten und Fohlen in die 40 Wiedinger Boxen in die Lüneburger Heide geholt werden. "Hier soll mein zweites Zuhause sein", beschieden von Finck plus Lebensgefährtin. Zwar bleibt der erste Wohnsitz in München, ebenso wie das Ferienhaus auf Sylt, doch soll das Herrenhaus zügig umgebaut werden. Durch seine in Kiel geborene Mutter fühle er sich ohnehin von den Reizen des Nordens angezogen. Von Finck will seine Zucht weiter vorantreiben und dabei sein, wenn die Vollblut-Fohlen das Licht der Welt erblicken.

"Noch trägt sich das Geschäft nicht", sagt er freimütig. "Neben Geld zählen Herz und Idealismus zu den Investitionen." Die großen Erfolge der vergangenen Monate - besonders mit meist selbst gezogenen, rasend schnellen Pferdedamen - haben den Nimbus seiner Zucht genährt. Damit steigen die Preise, so von Finck, "die Gewinnzone erscheint rosig am Firmament". Fraglos hat er als Manager dazugelernt, sich im Millionengeschäft gegen die Rivalen der Rennbahn durchzusetzen. "Ich bin wahnsinnig ehrgeizig", sagt er mit leiser Stimme.

Immerhin hat er es jetzt schon geschafft, sich durchzubeißen, den Ruf des ausgeflippten Millionarios abzustreifen, den Titel des erfolgreichen Züchters und Geschäftsmanns zu erlangen.

So gesehen wird an diesem Sonntag ein ganz anderer Mensch in der angestammten von-Finck-Loge inmitten der Horner Haupttribüne sitzen, wenn die Vollblüter vor dem Deutschen Derby die Boxen beziehen. Wahrscheinlich wird er dann aus Aberglaube wieder die "Erfolgskrawatte" tragen, jene mit den Seepferdchen.

Für Quezon City sind es dann noch 2400 Meter bis zum Ziel. Besitzer Helmut von Finck hat jetzt schon gewonnen. Egal, wie das Rennen ausgeht.