Sie haben eine Farbe wie Marzipan, zergehen wie Butter auf der Zunge - und sie enthalten nur ganz wenig Salz: Frische Matjes aus Holland machen jetzt Appetit auf Fisch. Nur eins sollten Sie nie tun: In Holland Matjes bestellen. Denn da heißen sie ganz anders.

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MARGARETE KUMMER

Was verbindet Matjes und Meisjes? Klar, die Endung "jes". Sie bedeutet beim Hering wie beim jungen Mädchen in holländischer Sprache "klein, jung", im Sprachgebrauch auch jungfräulich. Und so muss ein Hering ohne sein, ohne Wenn und Aber. Denn sonst würde kein Hering den sahnig-zarten Matjes machen.

Wie das? Der jungfräuliche, noch nicht geschlechtsreife Hering hat sich vor dem Laichen ein richtig dickes Fettpolster angefuttert. In seinem Fleisch stecken bis zu 20 Prozent Fett - im Gegensatz zum dürren Schmalhans "Ihle", wie der abgelaichte Hering heißt (und jeder Kreuzworträtsler weiß). Dieser Fettgehalt ist es, der den Matjes so richtig sahnig-zart schmecken lässt.

Aber keine Scheu: Das Heringsfett macht nicht dick, sondern sogar fit, gehört zu den gesündesten Fetten: Die darin enthaltenen mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren sind sozusagen das Superöl fürs Menschenherz und für den ganzen Organismus. Außerdem enthält Matjes Eiweiß, Kalzium, Magnesium, Eisen, Zink, Jod, Vitamin D, E und B.

Von Ende Mai bis Anfang Juli wird der jungfräuliche Hering (er gilt vor dem Laichen jedes Jahr wieder als jungfräulich) in der Nordsee bei Norwegen, Shetland, Großbritannien, Dänemark und Holland gefangen. Je später der Hering ins Netz geht, umso fetter ist er und lässt sich am besten zum wohlschmeckenden Matjes veredeln.

Warum ausgerechnet Holland? Tja, es soll dort vor 605 Jahren ein besonders fauler Fischer, Wilhelm Beukelzoon, gewesen sein, der seine Heringe nicht sauber ausgenommen hat. Nach der Lagerung in Salzlake waren es aber genau seine Fische, die besonders lecker geschmeckt haben! Schuld daran waren die Enzyme der im Fisch verbliebenen Bauchspeicheldrüse. Diese "enzymatische" Reifung zum Matjes wird noch heute so praktiziert, macht das Heringsfleisch zart und sahnig, lässt es wie Marzipan aussehen.

Noch in den 50er-Jahren war der Salzhering im Nachkriegs-Deutschland ein "Arme-Leute-Essen": Er musste, damit er überhaupt gegessen werden konnte, gewässert werden. Dadurch wurde dem Heringsfilet aber nicht nur das Salz entzogen, sondern auch Geschmack und die wertvollen Inhaltsstoffe. Zurück blieb ein ausgelaugter Fischlappen, dem mit Sahne, Äpfeln und Zwiebeln wieder etwas Geschmack verliehen wurde.

Heute reift der holländische Matjes nur mit ganz wenig Salz in drei bis fünf Tagen, muss deshalb auch nicht mehr gewässert werden. Das Salz im Matjes, sagen die Holländer, sollte man am besten gar nicht schmecken.

Bis in unser Jahrhundert hinein war der salzige Hering ein Leckerbissen mit kurzem Verfallsdatum. Seit der Erfindung des Tiefkühlens (schon in den 20er-Jahren experimentierte der Amerikaner Clarence Birdseye mit eingefrorenen Fischen) schmeckt Matjes rund ums Jahr. Seit Ende Mai genießen wir den Jahrgang 2000!

Einmal muss der Hering (zum Schutz vor Nematoden) nach holländischer Vorschrift schockgefroren werden: Entweder schon auf dem Fangschiff oder, wie meist üblich, während der Reifung in der Salzlake. Nach dem Auftauen reift der Matjes zu Ende - und ist dann ein "Frische"-Produkt, das vom Fischhändler meist aus dem Fass verkauft wird: Je früher er gegessen wird, umso besser schmeckt er. Im Kühlschrank höchstens einen Tag lagern und abdecken - Matjes nimmt leicht fremde Aromen an.

Eins sollten Sie sich nicht antun: eingeschweißte Heringsfilets "auf Matjes-Art". Herby Neubacher vom "Matjes Büro" in Hamburg: "Da können Sie sicher sein, dass diese Filets nichts mit dem natürlich gereiften Matjes zu tun haben. Manchmal sind es nur versalzene Fischlappen."

100 Millionen Matjes-Filets verdrücken allein wir Deutschen im Jahr, schätzen die Holländer. Macht über den Daumen gepeilt (minus Babys und Fischverweigerer) ganze zwei Matjes-Filets pro Esser! Überhaupt essen die Deutschen relativ wenig Fisch - nur knapp 15 Kilo. Den Weltrekord halten die Isländer mit 91 Kilo. Knapp 70 Kilo verspeisen durchschnittlich die Japaner. Dann folgen Portugiesen, Norweger und Spanier mit 59 und je 45 Kilo Fisch.

Was das gesunde Vergnügen kostet? Beim Fischhändler und in den Fisch-Abteilungen der Warenhäuser und Supermärkte kostet das Doppelfilet (zusammengehalten vom Fischschwanz) der kleinen Spitzensorte "Käptn's Matjes" etwa 2,50 Mark (zusammen 60 bis 80 Gramm).

Vielleicht sollten Sie mal Matjes mit Speckstippe und grünen Bohnen vergessen und Matjes multikulti probieren: auf Spanisch, Italienisch, Französisch oder Japanisch (Rezepte siehe unten). Wer den jungen Matjes aber wie die Holländer genießen will, zieht das Doppelfilet durch rohe Zwiebelwürfel, hält es hoch über den Kopf und isst es Stück für Stück aus der Hand - als Snack zwischendurch.

Matjes hält viel aus. Nur eines sollten Sie nicht probieren: In Holland Matjes zu bestellen - der heißt da nämlich Nieuwe Haring - neuer Hering.

Das Geheimnis der holländischen Matjes-Reifung: die Enzyme der Bauchspeicheldrüse, die den Hering besonders sahnig und zart schmecken lassen. Vor 605 Jahren entdeckte es ein Fischer - zufällig.