Hamburgs Innenstadt verwandelt sich in der Pfingstwoche in ein buntes Wikingerlager. Dass der Rathausmarkt so aussieht wie eine historische schwedische Stadt, ist zwei Sachsen zu verdanken. Heiko Guter und Jochen Rockstroh haben sich mit ihrer Firma “Heureka“ darauf spezialisiert, vergangene Zeiten lebendig werden zu lassen.

Von

CHRISTIAN-A. THIEL

Am Pfingstwochenende wehen über der Hamburger Innenstadt schwedische Fahnen. Wenn zum "Midsommarfest" das Wappen von Visby über dem Rathausmarkt aufgezogen ist, haben Heiko Guter und Jochen Rockstroh den Großteil ihrer Arbeit erledigt. Das Zentrum Hamburgs ist um ein paar Jahrhunderte zurück versetzt. Genauer: ins Mittelalter, ins 14. Jahrhundert.

Die Sachsen Guter (37) aus Leipzig und Rockstroh (39) aus Trebsen bauen mit ihrer Firma "Heureka" seit einigen Jahren im ganzen Bundesgebiet historische Märkte. "Wir wollen eine Zeit so wiedergeben, wie sie hätte sein können", sagt Rockstroh. "Wir kommen der Realität nahe, besser noch: der Vorstellung davon." Ziel ist, so Guter, "kein Museum, sondern authentisches Leben".

Im "Heureka"-Bulletin über "historische Fresserey und Sauferey" heißt es:

"Die immer kamen zu den großen

Märkten, um ihr Glück zu

machen, sey es mit rechtem oder

unrechtem Händel. Allerley

Gaukler, Spielleute, Vogelfreie,

Komödianten, Bettelmönche,

Bettelweiber, Tagediebe, Huren,

Schausteller und andere, welche

Kurzweil zu bieten verstehen."

Dass die Maschinenbau-Ingenieure Guter und Rockstroh eine geschäftliche Nische fanden, schreiben sie "dem kulturellen Zusammenbruch der neuen Länder" zu. Ihre Spezialgebiete (Konstruktion und Technologie) verhießen kaum Zukunft, so pflegten sie ihre musikalische Ader aus Studentenzeiten. Die beiden zogen mit Bambusflöten durch die Lande, traten mit der Folklore-Band "Die Findlinge" (Bandoneon, Mandoline, Geige und Bass) auf. Auf den Märkten erkannten sie: "Das geht auch anders!"

Zunächst war es ein enthusiastisch gepflegtes Hobby, seit der Firmengründung 1997 präsentieren Guter und Rockstroh ihre Zeitmaschine ins Mittelalter professionell: historische Markt-Spektakel mit bis zu 50 Gewerken mit Rollenspielen - vom Puppenschnitzer über den Seifensieder bis zum Flötenbauer -, Gaukeleien und, natürlich, rustikale Verpflegung satt. Die Arbeitsteilung funktioniert: Guter kümmert sich um Konstruktion und Organisation, Rockstroh um Logistik und Gastronomie. Guters Lebensgefährtin arbeitet bei "Heureka" mit, Rockstroh ist mit einer Ärztin verheiratet. Die Saison dauert von Ostern bis Weihnachten. Auf kleineren Märkten verdient "Heureka" das nötige Klein- und Wechselgeld für Großveranstaltungen wie in Hamburg. "Im Winter werden wir zu Holzwürmern", sagt Rockstroh. In einer 2000 Quadratmeter großen Scheune in Leipzig setzen sie neue Projekte um, bauen Tavernen und Türme. Der gastronomische Maßstab ist hoch: "Unsere Produkte müssen gut aussehen, gut riechen und einen attraktiven Preis haben."

Auf einen Markt gehören typische Gerichte. Die Sachsen amüsieren sich, wenn bei Schinken mit Käse herauskommt: "Skinka med Ost".

Das mittelalterliche Schweden, das in Hamburg aufgebaut wird, ist in den Köpfen schon zum Jahreswechsel entstanden. Nach Vorstellungen des Senats in Absprache mit dem Hamburger Veranstalter Michael Wendt wurde das Thema festgelegt - im Vorjahr Frankreich, diesmal Schweden mit Schwerpunkt Gotland und Visby, im Jahr 2001 wahrscheinlich eine englische Stadt:

"Die Informationen zur Geschichte holen wir uns aus Archiven, der Deutschen Bücherei in Leipzig und aus dem Internet", sagt Guter. In Hamburg präsentieren sie historische Instrumente wie die Flageolett-Flöte oder die Schlüsselfidel. Schweden liegt den Leipzigern eh nahe: Hier ist König Gustaf II. Adolf begraben, hier adelte Königin Sylvia schon mal die Bäckerinnung für ihre Verdienste am schwedischen Heer.

Drei Tage vor Marktbeginn reist der "Heureka"-Tross an. Zehn Lastzüge mit rund 30 Tonnen reinem Baumaterial, dazu noch mal 20 Tonnen Ware in Kühlfahrzeugen müssen aufgebaut und gelagert werden. "Mit 120 gewandeten Handwerkern und Fahrenden, die mit uns arbeiten, ist Hamburg unsere größte Veranstaltung in diesem Jahr." Zu Marktzeiten finden Guter und Rockstroh "selten mehr als vier Stunden Schlaf". Wehwehchen von Handwerkern und Besuchern, verlaufene Kinder und ungeduldige Gäste in langen Schlangen wollen umsorgt sein. Dazu spielen Guter - als Marktvogt - und Rockstroh - im Badehaus - selbst in historischen Rollen mit.

Auf jeden Markt gehören landestypische Gerichte. Für Schweden bedeutet das: Lamm, Lachs, Hering im Teig, Zuckerkuchen. Die Angebote werden zweisprachig ausgezeichnet, dabei amüsieren sich die Sachsen, wenn bei Schinken mit Käse herauskommt: Skinka med Ost .

Die Lebensmittel werden auf dem Fischmarkt eingekauft, dazu Obst und Gemüse, Hamburger Bier und Fladenbrot von einem Hamburger Türken. Nur die Bratwurst bringen sie aus der Heimat mit. "Wir haben im Westen noch keine gefunden, die so schmeckt wie bei uns . . ."

Das Unternehmen Guter/Rockstroh stößt an Grenzen. "Wir haben 15 Veranstaltungen, die wir selbst organisieren", sagt Guter. "gelegentlich geht die Gastronomie noch fremd. Wir wollen uns nicht übernehmen, denn Qualität ist unser höchstes Gut." Aber solange sie immer wieder neue Ideen haben, machen die beiden weiter. Da gibt es den Plan einer transportablen römischen Arena, in der Wagenrennen stattfinden können. Oder die Fachwerk-Latrine, die mit reichlich Platz für die dringendsten Bedürfnisse der Besucher endlich einen Stilbruch beseitigen soll. "Diese Dixi-Toiletten", ärgert sich Guter, "passen einfach nicht auf solche Veranstaltungen."

Wenn dann alles läuft, wenn sie gezeigt haben, was sie können, wenn sie sich vor der Kulisse des Hamburger Rathauses zurücklehnen, dann, sagt Jochen Rockstroh, "macht uns dieser Beruf wirklich Spaß".

Internet: www.heureka-leipzig.de

www.hamburg-magazin.de/ak_

midsommar.htm