Was hat Pinneberg mit Johannes Brahms (1833 - 1897) zu tun? Nun, der große Komponist aus Hamburg war häufig Gast im Hause sei- nes Stiefbruders, des Uhrmachers Friedrich Schnack, der in der Bahnhofstraße 24 wohnte. Der Vater des Komponisten, Johann Jacob Brahms, war nämlich in zweiter Ehe mit Karoline Louise Paasch, verwitweter Pomplün, verwitweter Schnack, verheiratet. In den Jahren zwischen 1882 und 1896 besuchte Brahms alljährlich die Stiefmutter und den Stiefbruder. Er hate ein inniges Verhältnis zu den beiden Pinnebergern, aber er lobte auch stets die gute Luft und den nahen Wald der jungen Kreisstadt.

Die Zeitgenossen des berühmten Komponisten mögen diese Besuche kaum zur Kenntnis genommen haben, denn Brahms hat in Pinneberg keine Konzerte gegeben. Er kam lediglich aus familiären Gründen und als Erholungssuchender. Das wiederum verwundert nicht; denn die Stadt vor den Toren Hamburgs und Altonas war damals für die Großstädter ein beliebter Ausflugs- und "Luftkurort".

Brahms war es auch, der sich dafür eingesetzt hatte, dass Stiefmutter und Stiefsohn nach Pinneberg ziehen. Das belegt ein Brief, den Brahms im Januar 1883 von Wien aus an die Mutter schrieb. "Liebe Mutter", heißt es da, "ich habe ja eigentlich längst gemeint und gesagt, Du solltest nach Pinneberg ziehen! Nun bitte ich nur dringend, daß Du ja gewiß das tust, was für Dich und Fritz das Beste und bequemste ist. Desto mehr ich Dir dabei helfen kann, desto größere Freude ist es mir; das sollst Du wissen."

Brahms, der zu jener Zeit in der Musikwelt bereits großes Ansehen genoss und finanziell relativ unabhängig war, unterstützte die Familie in Pinneberg nach besten Kräften. Bereits 1880 schreibt er unter anderem: "Nun erlaube ich mir, dreihundert Mark als kleinen Beitrag zu dem neuen Uhrmacher-Geschäft in Pinneberg zu senden! Wünsche Euch allen Glück und Heil dazu und unermeßlichen Verdienst!" Brahms war in großer Eile, um zu einem Konzert nach Wien zu kommen, aber er nahm sich die Zeit, seinen Stiefbruder zu bedenken und einen kleinen Scherz zu machen.

Es ist bekannt, dass Brahms in seinen letzten Lebensjahren unter Leberkrebs litt. Er sprach fast nie über seine schwere Krankheit, und so verwundert es nicht, dass er fünf Tage vor seinem Tode nach Pinneberg schrieb: "Liebe Mutter, der Abwechslung wegen habe ich mich ein wenig hingelegt und kann daher nur unbequem schreiben. Sonst habe keine Angst, es hat sich nichts geändert und wie gewöhnlich habe ich nur Geduld nötig. Von Herzen Euer Johannes!"

Im Jahre 1950 erinnerte sich die Stadt Pinneberg an den prominenten Besucher und ließ am Haus des Uhrmachers Friedrich Schnack eine Gedenktafel anbringen. Sie hat den Wortlaut: "Hier weilte oftmals Johannes Brahms. 7. 5. 1833 - 3. 4. 1897. Zum Gedenken - die Stadt Pinneberg - 1950." Schon bald danach wurde es wieder ruhig um das "Brahms-Haus". Zuletzt diente es als Wohnhaus, dessen Pflege allerdings sehr zu wünschen übrig ließ.

In die Schlagzeilen geriet das "Brahms-Haus" vor 20 Jahren. Zwar war das Gebäude ein "Kulturdenkmal", dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse zu liegen hat, es war jedoch nicht als "Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung" im Sinne des Denkmalschutzgesetzes als erhaltungswürdig eingestuft. Neuer Eigentümer war Ende der 70er-Jahre der Kirchenkreis Pinneberg geworden, der sich vor unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt sah, das Gebäude zu erhalten. Der Grund: Das Haus war von Schwamm befallen.

In Pinneberg entzündete sich nun ein heftiger Streit zwischen Gegnern und Befürwortern über die Pläne zum Abriss, den sowohl Fachleute als auch Laien auf beiden Seiten mit mehr oder weni- ger sachlichen Argumenten und Aktionen führten. Wie weit die Meinungen auseinander klaff- ten mag ein Beispiel belegen: Die von den Kontrahenten mobilisierten Gutachter ermittelten Sanierungskosten in Höhe von 60 000 beziehungsweise rund 400 000 Mark - eine gewaltige Differenz also.

Der Kirchenkreis setzte sich in dem Streit um Abbruch oder Erhalt des Gebäudes durch. Am 13. März 1980 rückte schließlich der Abrissbagger an und "zerbrach die Mauer wie morsches Holz". Drei Tage später formierte sich ein Trauermarsch und legte Kränze nieder. Der Pinneberger Galerist Peter K. Schaar verlieh dem Kirchenkreis symbolisch die "Goldene Spitzhacke mit Schwamm" und von seinem Skizzenblock ist eine Zeichnung erhalten, die den Propst im Gebet vor dem explodierenden Gebäude zeigt. HERBERT LORENZ