Die Region südlich der Elbe ist nicht zuletzt gekennzeichnet durch eine Vielzahl an Kirchen, die nicht nur Zeugnis ablegen von der tiefen Religiosität der Menschen in vergangener Zeit. Sie sind zudem kulturhistorische Stätten und führen uns in die Epochen der Romanik, Gotik, Barock, Renaissance zurück, zeigen aber auch neuzeitliche Geisteshaltungen und bauliche Entwicklungen auf. Unseren Lesern stellen wir in loser Reihenfolge eine Auswahl der interessantesten Gotteshäuser im nördlichen Niedersachsen vor - unabhängig von deren weltanschaulicher Zuordnung. Heute: St. Jacobi in Lüdingworth.

Von HEINZ-JOACHIM ZINKE

Lüdingworth - Wohl kein Besucher der Kirche St. Jacobi d.Ä. kann sich ihrem Charme entziehen. Während die Fassade der romanischen Feldsteinkirche, die Ende des 12. Jahrhunderts auf einer Wurt errichtet wurde, wenige Besonderheiten aufweist, präsentiert sich das Gotteshaus in seinem Innern in voller Pracht. Hier reiht sich ein Kunstwerk an das andere, jedes für sich ein Meisterstück und Zeuge vergan-gener Epochen.

Nach Betreten der Kirche ist der Betrachter fast überfordert, die vielen kunsthistorisch einmaligen Details in sich aufzunehmen. Er ist jedoch auf den ersten Blick von der Anmut und der Erhabenheit der St. Jacobi-Kirche überwältigt, die besonders auch durch ihre gestalterische Geschlossenheit beeindruckt.

Zum Prädikat "schönster Bauerndom" Norddeutschlands hat sicherlich die reich bemalte Holzbalkendecke (Ende des 16. Jahrhunderts) beigetragen, die das etwas gedrungene, 30 Meter lange Kirchenschiff überspannt. Auf ihr sind im Renaissance-Stil Rundmedaillons mit Bauernwappen sowie alttestamentarische Könige und Propheten dargestellt. Schon hier bietet sich dem kunsthistorisch interessierten Besucher die Möglichkeit, auf Entdeckungsreise zu gehen.

Ein Anziehungspunkt ist sodann der aus Chorraum mit seinem Kreuzrippengewölbe, Anfang des 16. Jahrhunderts aus Backsteinen neu gestaltet und 1609 in heutiger Form vollendet. Zahlreiche Kunstgegen-stände haben hier ihren Platz und sind kulturgeschichtlich von unschätzbarem Wert: Da reckt sich der große barocke Hauptaltar, der aus dem Jahr 1665 stammt, bis fast an die Decke. Dargestellt wurde hier die Geschichte Jesu.

Der Betrachter erkennt im unteren Teil des Mittelfeldes die Nachbildung des Abendmahls, darüber die Kreuzigung Christi sowie Himmelfahrt und Jüngstes Gericht. Die Vielzahl an Ornamenten und biblischen Figuren sind durch vier gewundene Säulen unterbrochen. Geschaffen hat den Hauptaltar der Otterndorfer Bildschnitzer Jürgen Heydtmann.

Bis 1665 hat hier vermutlich der Flügelaltar gestanden, der später an der Nordseite des Chores (außerhalb der Schranke) aufgestellt wurde und dort noch heute bewundert werden kann. Um 1430 geschnitzt, ist der "Lüderskooper Altar" (er stammt aus Lüderskoop) der älteste gotische Flügelaltar des Hadelner Landes.

Der Flügelaltar, über dessen Entstehung wenig bekannt ist, zeigt eine achtteilige Bildfolge: Mariä Verlobung, die Empfängnis, den Besuch der Maria bei Elisabeth, die Geburt Christi, die Darstellung im Tempel, die Heiligen drei Könige, die Flucht nach Ägypten, den zwölfjährigen Jesus im Tempel.

Unter den Kunstgegenständen im Chorraum fällt darüber hinaus besonders der bronzene Taufkessel aus dem 14. Jahrhundert mit dem barocken Deckelaufsatz ins Auge. Die Pietà aus Eichenholz wurde Mitte des 15. Jahrhunderts gefertigt. Meisterlich herausgearbeitet der ergreifende Ausdruck des Leidens im Gesicht der Maria. Die Holzsäule (14. Jahrhundert) auf der das Vesperbild jetzt ruht, stellte möglicherweise früher einmal den Schaft eines Sakramentshauses dar.

Beachtenswert ferner am Eingang zum Chorraum ist das Renaissance-Lesepult (1776) mit dem Johannes-Adler als oberem Abschluss. Darunter platzierte man Grabplatten aus dem 18. Jahrhundert. Einen Blick wert ist sicherlich auch das Triumph-kreuz aus dem 16. Jahrhundert, das oberhalb der Eingangstür zum eigentlichen Altarraum angebracht ist.

Mit Rokokoschnitzwerk verziert und reich bemalt bilden die beiden ausladenden Emporen an der Nordseite der Kirche eine besondere Attraktion. Hier hatten reiche Bauernfamilien früher einmal ihre "Stuhlrechte". Die drei Epithaphien an den Seitenwänden erinnern an bedeutende Persönlichkeiten, die der Kirche und Gemeinde nahe gestanden haben.

Ein zentraler Punkt des "Bauerndoms" ist die prachtvolle Kanzel, an der Schnittstelle von Chor und Schiff errichtet. Es war der Otterndorfer Michael Rinkmaker, der sie 1607 schnitzte und mit figurenreichen Reliefs schmückte. Darüber hinaus verwirklichte er die ungewöhnliche Idee, die Kanzel von einer Mosefigur tragen zu lassen. Oben auf dem Schalldeckel brachte der einfallsreiche Bildhauer die zwölf Apostel an und als Krone die Figur des Heilands.

Das kostbarste Inventar der St. Jacobi-Kirche ist aber sicherlich die Wilde-Schnitger-Orgel, die heute als Musterbeispiel der Orgelbaukunst im Frühbarock bezeichnet wird. Seit 42 Jahren betreut sie Organist Walter Bornemann aus Lüdingworth. Der ehemalige Sonderschullehrer ist nicht nur mit dem 400 Jahre alten Instrument, sondern auch mit dessen Geschichte bestens vertraut.

"Zu Beginn einer 200-jährigen Periode, in der Lüdingworther Bauernfamilien ihre aus dem 12. Jahrhundert stammende Kirche um den heutigen Chor vergrößerten und sie mit Opferbereitschaft und Kunstsinn zu einem der niederelbischen Bauerndome ausgestalteten, baute Antonius Wilde 1598/99 eine 20-registrige Orgel für diese Kirche", sagt er. "Wilde war Schüler Hans Scherers d. Ä. Er hatte sich in Otterndorf, dem Hauptort des alten Hadelner Landes, nahe Lüdingworth als Orgelmeister niedergelassen."

Die zehn Kirchspiele hatten sich schon 1526 eine eigene reformatorische Gottesdienstordnung gegeben - einschließlich solistischer liturgischer Partien für die Orgel. Hierfür aber reichte das Meisterwerk Wildes nicht mehr aus, und man beauftragte den in Stade wirkenden Arp Schnitger, die Vergrößerung des Instruments zu übernehmen.

1682 kam denn auch ein Vertrag zustande. Schnitger machte sich an die Arbeit, konnte diese aber nicht zu Ende führen, da er die große Nikolaiorgel in Hamburg bauen musste. Das Werk vollendete dann Schnitgers thüringischer Geselle Andreas Weber. Es entstanden ein Rückpositiv, ein erweitertes Pedalwerk und durch die Neuaufstellung der Orgel ein Prospekt. In den folgenden 300 Jahren galt dem Instrument die Fürsorge mehrerer erfahrener Orgelbauer.

Von 1980 bis 1982 restaurierte Jürgen Ahrend aus Leer-Loga die Wilde-Schnitger-Orgel, wobei ihn die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover unterstützte. Bornemann: "Er hat seine Restaurierungsarbeit mit der historischen Einstimmung der Orgel in selbstloser Weise zu einem vollkommenen Ende geführt."

Rund 1600 Mitglieder zählt die evangelische Kirchengemeinde Lüdingworth. Ihr steht seit drei Jahren Pastorin Sabine Mehrtens (32) vor. Die junge engagierte Theologin, die aus dem niedersächsischen Hagen stammt, hat viel Freude an ihrer Arbeit, obwohl neben Verkündigung und Seelsorge viele Verwaltungsaufgaben erledigt werden müssen. "Wichtig sind für mich immer die Menschen vor Ort und das Wohl der Kirchengemeinde", betont sie.

Sabine Mehrtens ist nicht zuletzt eine Verfechterin guter Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb nimmt sie auch gern die Gelegen-heit wahr, an größeren Veranstaltungen der Kommune teilzunehmen und damit auch ihre Kirche zu repräsentieren. Und da die Theologin zur jüngeren Generation gehört, geht sie ab und zu sogar auf einen Ball zum Tanzen. Dabei hat sie denn auch viel Spaß, den ihr die Gemeindemitglieder gönnen.

Last but not least sorgt der Küster und Friedhofsgärtner Manfred Witt seit acht Jahren schon dafür, dass in der Lüdingworther Kirche stets alles seine Ordnung hat, die Vorbereitungen für den Gottesdienst getroffen sind, die computergesteuerten Glocken richtig läuten und die Menschen sich hier wohl fühlen. Dafür genießt er ihre Anerkennung und ihr Vertrauen.