Von ULRIKE SCHWALM

Sein Leben besteht derzeit nur aus Lernen. "Heute haben wir in Bad Oldesloe Waschbecken, Toiletten, Wasserhähne und auch Heizkörper in einem Neubau montiert. Wir sprechen Deutsch auf den Baustellen, obwohl ich oft auch polnische Arbeiter treffe. Jeden Tag Deutsch - nur so lerne ich", erzählt Sergej Pfeifer (25) aus Reinfeld, als er gegen 16.45 Uhr auf den Hof der Firma Hörcher Heizungsbau an der Holländerkoppel zurückkehrt. Eigentlich hätte der angehende Zentralheizungs- und Lüftungsbauer, der im Februar 1998 aus Russland nach Stormarn kam, jetzt Feierabend. Doch über diesen Gedanken muss Sergej Pfeifer schmunzeln. "Nein, nein. Jetzt muss ich Deutsch lernen. Natürlich haben wir zu Hause auch Deutsch gesprochen, aber die Fachbegriffe, die fehlen mir. Das alles muss ich üben, ein paar Stunden täglich", sagt Sergej Pfeifer. Vorher hatte er in einer anderen Welt gelebt. So erscheint es ihm heute. "In Russland ist das Leben ganz anders. Die Natur. Der Alltag. Nur eines ist gleich: Die Leute sind dort auch sehr fleißig", erklärt der gebürtige Jekaterinburger.

Auch den Führerschein musste er neu machen

Zehn Jahre hatten er, seine Eltern Anatolij (59), ein Kraftfahrer, und Elsa (59), eine Erzieherin, sowie sein Bruder Jurj (33) auf die Ausreiseerlaubnis warten müssen. Ein Jahrzehnt, in dem er die mittlere Reife mit einer Zwei abschloss und eine Dreherlehre mit der gleichen Note: "Ich habe als Dreher in einem Eisenbahnwaggonwerk in Jekaterinburg gearbeitet und als Kraftfahrer wie mein Bruder. Dann kamen wir nach Reinfeld." Mit seiner Ausbildung konnte er nichts anfangen. Seine mittlere Reife wurde erst nach einem komplizierten Antrag an das Kieler Kultusministerium anerkannt. Auch den Führerschein musste er noch einmal machen. "Ich muss alles neu lernen", sagt er.

"Zuerst bekam seine Familie einen sechsmonatigen Sprachkursus vom Arbeitsamt Bad Oldesloe bezahlt. Sein Glück: Im Januar 1999 konnte Sergej Pfeifer, dem die Zeit ohne Arbeit bereits auf die Nerven ging, in einen Intensivsprachkursus einsteigen, den das Diakonische Werk des Kirchenkreises Bad Segeberg seit dem 1. November 1994 fortlaufend veranstaltet. 18 Jugendliche nehmen derzeit an dieser vom Garantiefonds der Bundesregierung bezahlten Maßnahme in der Volkhochschule Bad Oldesloe teil. "Wir kooperieren mit der VHS, die die Dozenten stellt. Der erste Kurs begann am 1. November 1994. Ich sorge für die Betreuung der Teilnehmer, seit dem 1. Juni 1999 zusammen mit der Oldesloer Pädagogin Kirstin Schwarz-Klatt", sagt der Diplombetriebswirt Bernd Weidner (50) aus Lübeck. Er half dem jungen Mann auch bei der Zeugnisanerkennung. "Herr Weidner besorgte mir auch ein Praktikum", erinnert sich der junge Reinfelder, "im April fing ich bei Hörcher an, absolvierte ingesamt vier Monate Praktikum."

Seit dem 1. April haben Kontingentflüchtlinge, Asylberechtigte und Aussiedler die Möglichkeit, über das Diakonische Werk ein bis zu zwölf Monate dauerndes Praktikum zu absolvieren. In dieser Zeit sind sie bei dem Werk angestellt, bekommen 635 Mark Monatsvergütung und werden wie Azubi eingesetzt. "Immer in der Hoffnung, dass sie berufsfähig gemacht werden und ihnen der Betrieb eine Ausbildung anbietet", sagt Weidner.

Wie viele Aussiedler, die nicht auffallen wollen, mochte Pfeiferanfangs überhaupt nicht sagen, wenn ihm etwas unklar war. "Bei ihm bestand immer die Gefahr, dass er ja sagte, auch wenn er nichts verstanden hatte. Das ist jetzt anders", erinnert sich Jürgen Hörcher (59), der die Haustechnikfirma 1965 gegründet hat und sie heute mit seinem Sohn Olaf (35) managt. Der Heizungsbau- und Installateurmeister hatte erst Mühe, den Neuen einzuschätzen. "Mit dem Gespräch war es problematisch. Aber neulich fuhren wir eine halbe Stunde zusammen im Auto - da kam ein Gespräch zustande. Und er ist ein sehr guter Kraftfahrer", so Hörcher. Ein weiteres Plus entdeckte der Seniorchef auch: "Er ist ein gestandener Mann, der bei der Arbeit sehr umsichtig ist. Das gab den Ausschlag, ihn als Auszubildenden aufzunehmen.

Der Berufsschulunterricht ist sehr anstrengend

Die Praxis der dreieinhalbjährigen Ausbildung ist für Sergej Pfeifer nicht das Problem, wohl aber die Theorie. Im September war er zwei Wochen lang beim Blockunterricht in der Berufsschule Ahrensburg. "In unserer Klasse sind 23 Leute, darunter drei Aussiedler. Der Unterricht ist für sie ein echter Kraftakt, das Verstehen auf Deutsch ist sehr schwer", so Weidner, der erfreut ist, dass Pfeifer bei Hörcher so gut angekommen ist. Er weiß von Fällen zu berichten, in denen es bereits im Praktikum zu grotesken Missverständnissen zwischen Arbeitgeber und Aussiedler gekommen ist. "Ohne Sozialbetreuung läuft wenig", sagt er.

In einem Fall hatte ein Jugendlicher, weil für ihn alles neu war, im Sprachunterricht ständig nachgefragt. Weidner: "Er wollte immer alles genau erklärt haben." Beim Einsatz in einer Kfz-Werkstatt fühlten sich die Chefs auf Grund der Fragerei derart provoziert, dass sie glaubten, der wolle gar nicht. Weidner konnte das Missverständnis zwar aufklären, er musste aber einen anderen Betrieb für den Praktikanten finden.

Sergej Pfeifer, der im ersten Lehrjahr mit 640 Mark im Monat nur fünf Mark mehr als im Praktikum verdient, hat sein Leben auf ein Ziel ausgerichtet: Erst die Lehre schaffen und dann einen Arbeitsplatz bekommen. Er hofft, dass er sich irgendwann eine eigene Wohnung leisten kann. Sein Traum ist später eine Familie. "Mit 18 oder 20 Jahren sind die meisten Facharbeiter in Russland schon verheiratet."

Für vier junge Aussiedler sucht Bernd Weidner noch Praktikumsbetriebe, bevorzugt im gewerblichen Bereich. Wer eine solche Chance für ein Jahr oder weniger anbieten kann, sollte ihn unter der Telefonnummer 04531/17 13 17 in der Volkshochschule Bad Oldesloe anrufen. Seit drei Jahren bietet das Diakonische Werk für die Sprachkursusteilnehmer auch vierwöchige Kurzzeitpraktika an, damit sie einen ersten Einblick in die deutsche Berufswelt bekommen.