Die Jugend der 80er-Jahre findet ihre eigenen Antworten auf die politisch einseitige 68er-Generation. Die Jungen setzen auf Vielfalt und Genuss, auf eine ideologiefreie Zeit und erfreuen sich am puren Pragmatismus.

Nieder mit dem Männlichkeitswahn" stand auf dem einen Button, den anderen zierte ein "Atomkraft, nein danke". Die Haare waren lang und wild, die Hose war kunstvoll durchlöchert, um den Hals schlang sich ein schwarz-weißer Schal, weniger Ausdruck von Solidarität mit den Arabern, vielmehr modisches Muss der Öko-Fraktion. Palästinenserfeudel nannte es abfällig das elegante Gegenüber in Möhrenhose, V-Ausschnitt-Pulli und Collegeschläppchen. Für den Popper, der Anfang der 80er-Jahre ausgerechnet in Hamburg entstand, waren die Müsli-Fresser Ewiggestrige, er war es leid, immer "gegen etwas" zu sein.

Nicht, dass in jedem Öko-Outfit tatsächlich auch ein überzeugter Alternativer steckte, genauso wenig wie jeder Punk daran glaubte, "no future" zu haben. Doch irgendwie musste man sich ja einer Jugendgruppe anschließen. Also gab ich 150 Mark für eine ordentlich durchschossene Jeans aus, und mein Bruder kam mit einer Sicherheitsnadel in der Wange nach Hause. Die blieb allerdings nicht allzu lange drinnen, doch sein gruseliges Tigerhemd ließ er sich nicht wegnehmen. Das war unsere Antwort auf die politisch einseitige 68er- Generation. Vielfältigkeit war angesagt, Abgrenzung von der Erwachsenenwelt, nicht innerlich, sondern überwiegend äußerlich. Willkommen in der ideologiefreien Dekade der 80er!

Oder sollte ich etwa die paar versprengten Marxisten an der Hamburger Uni noch ernst nehmen, die zum vereinigten Kampf der Studenten und Arbeiter aufriefen? Hat sich doch alles als Trugschluss erwiesen, dieses ganze Gefasel von Ho Chi Minh, Lenin und Konsorten. Gab es ein Leben vor Helmut Kohl? Selbst meine Eltern sind nicht mehr das, wofür sie mal gekämpft haben. Unterschriften für Willy Brandt haben sie gesammelt, und mein Vater hat in den 60ern gegen die Hierarchie der Professoren demonstriert. Jetzt ist er selber Chef, und rot kann er auch nicht mehr wählen. "Das wäre ja mein finanzieller Ruin", sind seine Argumente heute. Und die anderen Hippie-Eltern? Sie sitzen jetzt gemütlich auf Beamten- und Manager-Posten, fahren dicke BMWs und betreiben Nostalgie allenfalls noch bei einem Rolling- Stones-Konzert. Da sind wir doch schon viel weiter. Wir haben den Konsum gleich zum Lebensstil ernannt.

Spätestens Mitte der 80er hieß es auch für mich: Weg mit den Blümchenklamotten, den Latzhosen und Birkenstocksandalen. "Ich geb Gas, ich will Spaß" sang Markus, ein Star der neuen deutschen Welle, und meine Freunde und ich grölten laut mit. Fit waren wir alle, dank Jane Fondas Aerobic-Video. Wir trugen Markenklamotten und bezahlten viel Geld dafür, damit wir ihre Namen auch ganz fett auf dem Rücken umhertragen konnten. Mal ehrlich, wer hatte keinen pastellfarbenen "Marc O'Polo"-Pulli oder zumindest die billigere "Benetton"-Variation im Schrank? Aber Popper fand ich immer noch blöd.

Für unsere Eltern waren wir Versuchskaninchen. Vermeintlich befreit von den autoritären Hierarchien ihrer Generation, haben die 68er an uns all die neuen Erziehungsmethoden erprobt, die auf dem Markt waren: autoritär, anti-autoritär, laissez-faire, und wie sie alle hießen. Der Guru meiner Eltern hieß A.S. Neill mit seinem Summerhill-Konzept, nach dem mein Bruder und ich zu glücklichen Menschen werden sollten. Mein Bruder wurde zunächst strikt anti-autoritär erzogen, bis meine Eltern merkten, dass das viel zu anstrengend für sie war und dazu führte, dass die Verwandten sie nur noch ohne ihre Kinder einluden.

Nachdem wir sämtliche Gardinenstangen unserer Tante erklommen hatten, zogen meine Eltern etwas die Zügel an, aber richtig streng waren sie nie. Kindern Vertrauen schenken und sie als Persönlichkeit behandeln, das gaben sie uns auch für die Zukunft mit. Zumindest hatten sie Mut zur Erziehung, was vielen unserer Generation heute angeblich abgeht. Unsere Kinder werden von Pädagogen inzwischen die Rotzfreche-Armee-Fraktion genannt, und wir werden eindringlich von ihnen aufgefordert, unseren Kleinen wieder Grenzen zu ziehen.

Doch neben einer kindgerechten Erziehung hatte die ältere Generation noch mehr mit uns im Sinn: Sorgenfrei sollten wir leben, wünschten sich unsere Eltern. Es einmal besser haben als sie. Hatten sie doch für uns das Recht auf Bildung für alle erkämpft. Sex war ohne Angst vor Schwangerschaft möglich, schließlich wurde die Pille in ihrer Zeit erfunden. Also auf in eine grenzenlose Zukunft? Von wegen.

Liebe ja, aber keine freie. Kommune eins? Heute undenkbar. Aids steht dazwischen. Wie romantisch war das, einen frisch verliebten Bengel als Erstes zum Aidstest zu schicken. Zumindest haben die 80er der Kondomindustrie einen erheblichen Zuwachs beschert, und wir können nun zwischen Erdbeer- , Banane- und Schokogeschmack in vielen hübschen Farben wählen. Aber schön war das trotzdem nicht.

Und was nützt alle Bildung ohne einen Job? Arbeitslosigkeit gab es zu den Zeiten meiner Eltern kaum. Fast jeder, der wollte, fand damals eine angemessene Arbeit. Hauptschule war bei uns out, jeder sollte Abitur haben. Das Wort "Akademikerschwemme" geisterte durch die Gazetten. Waren 1975 nur 2,8 Prozent der Studierten arbeitslos, hatte sich die Zahl 1986 fast verdoppelt - Tendenz steigend. Dafür kann ich natürlich jetzt mit studierten Taxifahrern über Sinn und Unsinn des Daseins philosophieren, und arbeitslose Ärzte, Lehrer, Ingenieure und Chemiker zu meinem Bekanntenkreis zählen. Computerspezialisten werden heute gebraucht, doch wer konnte das Mitte der 80er schon ahnen?

In der Hochschulpolitik setzte wieder eine Gegenbewegung ein. Die Reformpolitik der 70er- Jahre hielten konservative Bildungspolitiker für gescheitert, sie setzten wieder auf die Rückkehr zum Wettbewerb an Schule und Universität. Professoren bekamen wieder mehr Macht. Doch zum Glück waren viele von ihnen noch von den Idealen der 68er beseelt, so dass sie nicht zur alten "Talaren-Mentalität" zurückkehrten.

Beseelt war in unserer Generation kaum einer mehr. Egoismus und Hedonismus, das werfen die 68er uns 80ern vor. Doch dabei übersehen sie unsere gehörige Portion Pragmatismus. Problem erkennen, Lösungen finden, das ist eher unser Motto. Was nützt es, für eine vermeintlich bessere, sozialistische Welt auf die Straße zu gehen, wenn reihenweise kommunistische Systeme zusammenbrechen? Sie haben keine heile Welt hinterlassen, sondern Armut, zerstörte Landschaften, Tschernobyl und Korruption. Was sollen Utopien, wenn es sich in Deutschland doch auch ganz gut leben lässt? Muss ich jedes Glücksgefühl hinterfragen - nein, ich habe Lust auf Leben.

Was nicht heißen soll, dass es kein Nachdenken und keinen Widerstand unter der Jugend gegen Politikbeschlüsse gab. Doch waren die Antworten nicht Terror und Kampf gegen die Staatsgewalt. Auch wenn wir hinterher erkennen mussten, dass unsere Hoffnung, als friedliches Volk Einfluss auf die Regierung zu nehmen, genauso wenig nützte und sich manche frustriert darüber auf ihren privaten Spaß-Faktor zurückzogen.

Doch in meiner Schule hielten wir uns an den Händen und protestierten gegen die Nachrüstung und Stationierung von Pershing-Raketen auf deutschem Boden, wobei ich vor allem das Gemeinschaftsgefühl dabei überwältigend fand. In Wackersdorf standen Tausende überwiegend friedliche Demonstranten Heerscharen von Polizisten gegenüber. Wir wollten uns nicht zählen lassen, sondern trugen Buttons mit der Aufschrift : "Bist du erst mal in der EDV, kennt deine Daten jede Sau"- im Nachhinein eine kindische Reaktion. Aber in den 80er-Jahren wurden immerhin auch Kriegsdienstverweigerer endlich gesellschaftsfähig.

Pragmatismus hieß für uns auch, sich Gedanken um eine bessere Umwelt zu machen, die Wälder nicht einfach sterben, die Luft nicht länger verpesten, die Atomkraft nicht übermäßig Müll produzieren zu lassen. Umweltbewusstsein wurde allmählich für viele von uns zur Selbstverständlichkeit, auch wenn sicherlich die 70er-Jahre-Bewegung dafür eine Basis bildeten. Sie hatte uns die Augen geöffnet, wir versuchten ihre Ideen umzusetzen. Nachhaltigkeit statt Kurzsichtigkeit, so die Devise.

Nach dem Einzug der Grünen in den Bundestag (März 1983) schrieben sich bald auch andere Parteien mehr oder weniger überzeugend den Umweltschutz auf ihre Fahnen. Eine 1986 vorgelegte Studie des Umweltbundesamtes, wonach durch Umweltzerstörung jährlich Kosten von 10,5 Milliarden Mark entstehen, zeigte, dass der Naturschutz auch aus volkswirtschaftlicher Sicht dringend notwendig ist. So konnte zumindest durch Umweltgesetze der müll- und FCKW-produzierenden Industrie etwas Einhalt geboten werden. Und ich stelle gerne fünf verschiedene Mülleimer in meine 40-Quadratmeter-Wohnung, schließlich will ich nicht, dass meine Kinder in Abfallbergen ersticken.

Wenn ich heute mit meinen Freunden über die 80er spreche, höre ich immer: "War nicht viel los." Wahrscheinlich haben wir weniger Profil hinterlassen als die Generationen vor uns, und auch die 90er-Jugend scheint ihre Abgrenzung zur Erwachsenenwelt mit Love-Parade, Ecstasy und Plastikklamotten noch radikaler durchzusetzen. Doch auch wir haben ein Revival. Die 2000er haben uns wiederentdeckt: Unsere Spießerkleider und unsere Pop-Musik liegen wieder voll im Trend - doch ich werde sicher nicht mehr meinen alten Fummel aus dem Schrank holen.