Magda Goebbels gilt als eine der schönsten und schillerndsten Damen im Nazi-Staat. Ein neues Buch versucht jetzt über Zeugnisse Dritter eine Annäherung an diese rätselhafte Frau.

Es ist der 19. Dezember des Jahres 1931, ein kahler Tag. In der Dorfkirche im mecklenburgischen Granzow spricht Maria Magdalena Quandt, geborene Berend, adoptierte Friedländer, anerkannte Ritschel, ihr zweites Ja-Wort. Ein Pakt mit dem Teufel: Sie heiratet Joseph Goebbels. Adolf Hitler ist Trauzeuge.

Jetzt ist sie Magda Goebbels, Angehörige der zukünftigen Elite. Verehrt und idealisiert als arisch-erbgesunde Ikone. Doch die vielen Namen sagen es: Irgend etwas stimmt da nicht. Dieses Leben kann nicht glatt verlaufen sein. Namen bedeuten Identität, ein: Ich bin. Sie sind nicht so leicht zu wechseln wie eine Frisur oder das Parfum.

Magda ist 30 Jahre alt, als sie ihr fünftes Selbst annimmt. Das mag nun dramatisiert klingen, überspitzt, hier gleich auf eine ganze Existenz zu schließen. Aber in dem Fall stimmt es. Dieser Mensch, eine der schönsten und schillerndsten Frauen im Nazi-Staat, birgt viele Brüche in sich. Ein Dasein voller Widersprüche, die einen verständnislos zurücklassen. Weil sie nicht zu klären sind.

Uneheliche Tochter eines Dienstmädchens

Die in Paris lebende Autorin Anja Klabunde hat es mit Hilfe der Zeugnisse Dritter trotzdem versucht, und ihr ist dabei sicher die dichtest mögliche Annäherung gelungen. Wie mit einer Kamera umkreist sie immer wieder suchend diese Blonde, Blauäugige mit der fein geschnittenen Nase und den hohen Brauen, die wie perfekte Regenbogen sind. Ein hartes, glattes, lebloses Gesicht. Und man muss lange suchen, um vielleicht im Kinngrübchen und dem weichen Lippenschwung noch eine Spur des kleinen Mädchens zu finden, das sie einmal gewesen ist.

11.11.1901, Berlin. Johanna Maria Magdalena Behrend wird geboren. Als uneheliche Tochter eines Dienstmädchens. Das ist ein Makel, und Mutter Auguste müht sich, alles zu vertuschen. Wenig später heiratet sie den vermutlichen Vater Oskar Ritschel, der Sohn einer großbürgerlichen Familie im Rheinland ist. Das Kind allerdings bekommt seinen Namen nicht. Nach drei Jahren wird die Ehe geschieden.

Als Magda fünf Jahre alt ist, reist sie allein mit einem Schild um den Hals zu Ritschel nach Brüssel, wo fortan ein katholisches Klosterinternat ihre Erziehung übernimmt. Ungeheizt, unnachsichtig, diszipliniert und vermutlich auch wenig gefühlswarm geht es dort zu. Eine richtige Freundin hat das Mädchen nicht. Auch als sie später die Klosterschule wechselt, bleibt Magda Außenseiterin. Sie ist begabt, musikalisch und ihrem Alter voraus. Nur die Herzenswärme, die lernt sie nicht bei den Nonnen.

Brüssel, 1912. Magda heißt jetzt Friedländer. Der neue Mann Augustes hat sie adoptiert. Max Friedländer ist Lederfabrikant, sie leben in Brüssel. Der Stiefvater ist großzügig, witzig und zugewandt. Und er ist Jude. Nicht streng orthodox, doch ehrt er die hohen Feiertage. Durch ihn lernt das Mädchen nun nicht nur, dass das Wort Familie einen Sinn machen kann, sondern auch das Judentum kennen.

Mitten in die Teenagerzeit platzt 1914 der Mord in Sarajevo. Bei Nacht und Nebel werden die Deutschen aus Belgien fortgejagt. Für Magda war dort ihr Zuhause. Aber für Gefühle ist auf der Flucht kein Platz. Demütigung und Wut muss sie in sich wegschließen.

Berlin, 1915, immer noch Magda Friedländer. Sie besucht das Lyzeum, ist den anderen an Intelligenz und Wissen wieder voraus und gehört damit wieder nicht richtig dazu. Doch dann hat Magda auf einmal eine Freundin: Lisa Arlosoroff, 13 Jahre alt und die Tochter einer jüdischen Flüchtlingsfamilie aus Russland. Die zwei sind unzertrennlich. Aber es gibt noch einen Grund für die hübsche Magda, bei den Arlosoroffs Dauergast zu werden: Lisas großer Bruder Victor. Er führt ein eigenständiges Leben, ist Pazifist, engagiert sich für den Zionismus, zitiert Heine und Rilke und platzt vor Energie.

Auch an den Treffen von Victors zionistischer Jugendgruppe nimmt Magda regelmäßig teil. Sie ist jetzt, vielleicht mehr aus dem Wunsch heraus, erwachsen zu sein, denn aus wilder Verliebtheit, seine Freundin. Aber so ganz gehört sie auch hier nicht dazu. Für Victor ist klar, dass er den neuen Staat in Palästina aufbauen wird. Für Magda hört diese Selbstverständlichkeit auf.

Im Herbst 1919 macht sie Abitur und hat keine Vorstellung von ihrer Zukunft. Obwohl Ritschel anbietet, ein Studium zu bezahlen, kann sich Magda für nichts begeistern. So plötzlich auf sich geworfen, zeigt sich: Sie hat keine eigenen Interessen. Klar ist nur, dass sie bald heiraten wird. Da es noch keinen Kandidaten gibt und ihre Herkunft einen Aufstieg in gutbürgerliche Kreise nicht garantiert - der Stiefvater ist inzwischen zum Mitropa-Kellner abgestiegen -, wird eine zweckmäßige Warteschleife eingeschoben. Ein feines Mädchenpensionat bei Goslar soll den letzten Schliff geben.

4. Januar 1921. "Magda Quandt" - sie hat es geschafft. Zwar ist der Mann mit diesem Namen, Günther, 20 Jahre älter, aber er hat was zu bieten. Viele Millionen, große Autos, große Häuser, weite Welt. Und vor allem konkrete Macht. Das Charisma und die Führungsrolle Victors waren noch auf eine Utopie gerichtet. Quandt hingegen ist ein erfolgreicher Großindustrieller, an dessen Bedeutung Magda teilhaben will.

Dafür wechselt sie eilig vom katholischen zum protestantischen Bekenntnis. Und ebenso wenig zögerlich entledigt sie sich des Namens Friedländer, um sich mit 18 Jahren Verspätung von Oskar Ritschel anerkennen zu lassen. Eine Quandt hat mit Juden nichts am Hut.

Warum tut sie das? Verrät ihre Kindheit. Das ist eiskalt und skrupellos.

Aber: Magda Quandt wird enttäuscht. Anstatt auf dem großen Parkett der feinen Gesellschaft verbringt sie ihre Tage tatenlos und einsam auf den dicken Teppichen einer abgelegenen Villa. Vom Leben in Deutschland bekommt Frau Quandt nichts zu sehen. Inflation und Armut betreffen sie nicht, die politische Unzufriedenheit kennt sie vielleicht vom Hörensagen. Seit der Scheidung von Auguste ist Max Friedländer aus ihrem Leben getilgt. Gleiches gilt für die Freunde. Sie passten nicht zu der Magda, die sie sein wollte.

1929, Magda, geschiedene Quandt. Reichlich apanagiert hockt sie in ihrer Wohnung am Reichskanzlerplatz. Der "Schwarze Freitag" an der Wall Street, Massenarbeitslosigkeit, Unsicherheit - sie bleibt unberührt. Statt Angst: Langeweile.

Ein Abend im exklusiven Club "Nordischer Ring". Magda hat zu viel getrunken und klagt wieder einmal, dass sie ihr Leben nicht mehr aushalte. Mit am Tisch sitzt Hohenzollernprinz August Wilhelm. Er gehört zur SA und ist Gefolgsmann Goebbels. Einer der Aristokraten, die die Nazi-Bewegung für zukunftsträchtig halten und sie salonfähig machen. "Langeweile, gnädige Frau? Darf ich Ihnen vielleicht einen Vorschlag machen: Kommen Sie doch zu uns! . . . ein bisschen ehrenamtliche Hilfe, so ganz nebenbei."

Ein Blick - und sie wird Goebbels' Privatarchivarin

Sie sagt nicht gleich zu, geht aber zu einer Wahlkampfveranstaltung in den Sportpalast. Goebbels spricht. Und Magda ist hingerissen. Verfolgt wie in Trance die Rede. Und das bei einem kleinen, hässlichen, schlecht angezogenen Männchen, hinkend, weil klumpfüßig? Aber das gewisse Etwas muss er an sich haben. Viele Frauen fliegen auf ihn.

Magda beschließt, ihn kennen zu lernen. Sie wird unbezahlte Hilfe im NSDAP-Hauptquartier, und zufällig begegnet man sich auf der Treppe. Ein Blick, die schöne Frau Quandt geht weiter, scheinbar unbeeindruckt. Am nächsten Tag schon hat sie einen neuen Job als Goebbels Privatarchivarin. Zur Tageslektüre gehört spätestens jetzt der "Angriff", Hitlers "Mein Kampf" hat sie schon gelesen. Fragen stellen sich ihr offensichtlich keine. Dass sie nicht weiß, worum es geht, kann nicht sein. Sie ist intelligent, spricht vier Sprachen fließend, und Goebbels weiht sie in alles ein. Wie geht das?

Wir bekommen keine Antwort. Eine Erklärung - kein Grund - ist vielleicht Magdas Machtgier. Der Wunsch, etwas Bedeutendes darzustellen. Und an Goebbels Seite hat sie teil am großen Machtkampf um Deutschland, ist Komplizin eines Mannes von morgen und arbeitet mit an der "großen Aufgabe".

Herbst 1931. Hotel Kaiserhof, Berlin. Beim Tee in der Halle lernt Magda Adolf Hitler endlich persönlich kennen. Es ist Faszination auf den ersten Blick. Noch am selben Abend sagt er zu SA-Stabschef Otto Wagener: "Diese Frau könnte in meinem Leben eine große Rolle spielen, auch ohne dass ich mit ihr verheiratet wäre. Sie könnte bei meiner Arbeit den weiblichen Gegenpol gegen meine einseitig männlichen Instinkte spielen . . . Schade, dass sie nicht verheiratet ist." Wenige Wochen später ist das Problem gelöst.

Magda Goebbels. Hitlers "Muse". Jeden Abend kommt er in die Wohnung am Reichskanzlerplatz. Man isst vegetarisch - sehr gerne Karamellpudding - musiziert am Flügel und arbeitet an der Eroberung Deutschlands. "Heute Abend, auf dem Ball, war Magda wirklich schön", schreibt die jüdische Journalistin Bella Fromm 1932 in ihrem Tagebuch. "Ihre großen schillernden Augen, die die Farbe von Stahlgrau bis Dunkelblau ändern können, strahlen eisige Entschlossenheit und ungewöhnlichen Ehrgeiz aus . . . Ich habe nie so eiskalte Augen bei einer Frau gesehen."

Vielleicht liegt in diesen Sätzen die Antwort.

Die Antwort auch auf Fragen, die sich später stellen. Denn mehr als "Frau Reichsminister" mit Sonderstellung beim Führer geht nicht. Gäbe sie das auf, stünde sie vor dem Nichts. Jetzt, wo sie endlich einmal in einer Gemeinschaft voll akzeptiert ist.

Aber warum aufgeben? Nicht etwa Zweifel an Hitlers Mission wegen. Wenn, dann wären es private Gründe. Goebbels nämlich beschert Magda zwar fast jährlich eine Schwangerschaft, betrügt sie aber noch häufiger. Anfangs lügt sie sich die Demütigung noch weg: "Ein so genialer Mensch, der dreimal so intensiv lebt wie andere, kann eben nicht mit dem gewohnten Maßstab bürgerlicher Moral gemessen werden." Später gibt es Weinkrämpfe und Szenen - Goebbels notiert im Tagebuch: "Zum Kotzen." und flüchtet zu einer Geliebten. Doch Magda bleibt. Weil sie nicht auf sich selbst vertraut. Ihr ganzes Ich hängt an dem Namen Goebbels und an der Figur, die sie damit repräsentiert. Die Person Magda - es gibt sie gar nicht, so scheint es.

Vielleicht musste sie auch deshalb so schrecklich enden. Jemand, der sich nie selbst trug, sondern hat tragen lassen von starken Persönlichkeiten und deren Idealen, der kann nicht weiterleben, wenn all das zusammenfällt.

Berlin, Führerbunker. Magda Goebbels beißt auf eine Zyankalikapsel, Joseph Goebbels erschießt sich. "Ich werde bis ans Ende der Welt mit ihm gehen", hatte sie einmal gesagt. Am 1. Mai 1945 geht diese Welt unter.

Folgerichtig erscheint das. Aber warum - warum hat sie zuvor ihre sechs Kinder ermorden lassen? In einem Brief an den Sohn aus erster Ehe schreibt sie: "Sie sind zu schade für das nach uns kommende Leben . . ." Welch ein Wahn.

Anja Klabunde: Magda Goebbels - Annäherung an ein Leben. C. Bertelsmann Verlag, 352 Seiten, 44,90 Mark