Morgen beginnt in Lübeck der Prozess gegen Hartmut Crantz. Dessen Frau ist seit dem 6. Januar 1999 verschwunden. Der Staatsanwalt geht von einem Verbrechen aus.

Mittwoch, 6. Januar 1999, zwischen 14.30 und 16 Uhr, Ratzeburg, Berkenbusch 34. Die Eheleute Monika und Hartmut Crantz sind allein zu Hause. Ihr 14-jähriger Sohn spielt auf der Straße. Die 23-jährige Tochter, die in Hamburg lebt, hatte am Vormittag ein gemeinsam geplantes Mittagessen abgesagt und war nicht gekommen. Der 30-jährige Sohn von Monika Crantz, den sie mit in die Ehe gebracht hatte, wohnt ebenfalls in Hamburg. Vor dem repräsentativen Einfamilienhaus am Ende der etwa 150 Meter langen Sackgasse parkt ein schwarzes 320er BMW-Cabrio mit dem Kennzeichen RZ - HC 96. Punkt 16 Uhr kommt Hartmut Crantz aus dem Haus, trägt mehrere blaue Mülltüten ins Auto, stapelt sie auf den Rücksitzen und auf dem Beifahrersitz, redet kurz mit seinem Sohn, steigt in den Wagen und fährt weg. Mit der Leiche seiner ermordeten Frau im Kofferraum?

Fest steht: Seit diesem Zeitpunkt ist die 48-jährige vermögende Geschäftsfrau Monika Crantz spurlos verschwunden. Die Lübecker Mordkommission ermittelt und kommt zu dem Ergebnis: Monika Crantz lebt nicht mehr. Zwischen dem Ehepaar habe es einen tödlichen Streit gegeben. Ihr 53-jähriger Ehemann wird des Mordes verdächtigt und verhaftet. Sein Motiv: Habgier. Die Staatsanwaltschaft erhebt Mordanklage. Das Oberlandesgericht in Schleswig bestätigt den Tatverdacht. Am 15. Oktober wird es vor dem Landgericht Lübeck zum Mordprozess kommen. Er ist bis ins nächste Jahr terminiert. Doch wo ist die Leiche?

Mord ohne Leiche - eine äußerst delikate und schwierige Angelegenheit für Mordkommissionen, Staatsanwaltschaften und Gerichte. In den vergangenen vierzig Jahren gab es in Deutschland weniger als zehn Fälle dieser Art.

In Bochum trägt ein Häftling auf seinem Körper die Tätowierung "Mörder ohne Leiche". Er verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes an seiner Frau. Er hatte eine Geliebte. Die tote Ehefrau wurde nie gefunden. Ein Geständnis liegt nicht vor.

Der Saarbrücker Rotlichtkönig Hugo Lacour wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Er soll einen Kaufmann aus Habgier getötet haben. Dessen Leiche blieb bis heute unentdeckt.

Ebenso die Leiche des Millionärs Erich Simon. Er soll von dem Düsseldorf Makler Hans H. ermordet worden sein. Der hatte es auf das Haus des Millionärs abgesehen, ein Millionenobjekt an der Königsallee. Der Mordprozess ohne Leiche wurde ausgesetzt - aus Krankheitsgründen des Angeklagten.

"Eine Leiche ist für einen Mordprozess nicht zwingend notwendig", sagt Klaus-Dieter Schultz, Sprecher der Lübecker Staatsanwaltschaft. "Eine Verurteilung ist möglich, auch wenn kein Geständnis vorliegt. Ein solcher Fall wird dann ein reiner Indizienprozess." Die Lübecker haben mit Mordprozessen ohne Leichen schon Erfahrung. Anfang der 70er-Jahre stand der Astrologe Arwed Imiela vor dem dortigen Schwurgericht. Der gut aussehende und elegant gekleidete Junggeselle hatte vier vermögenden Frauen die Ehe versprochen. Alle vier waren auf mysteriöse Weise verschwunden, ebenfalls ihr Geld. Arwed Imiela, ein passionierter Jäger, wurde des vierfachen Mordes angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwei Frauen blieben bis heute verschwunden, ihre Leichen wurden nie gefunden. Von den beiden anderen Vermissten entdeckte die Polizei in einer Ludergrube von Imielas Jagdrevier auf Fehmarn Leichenteile. Der Frauenmörder bestritt die Taten. Er starb in der Haft, sein Geheimnis nahm er mit ins Grab.

Auch Hartmut Crantz gesteht nicht. Seit 3. Februar sitzt er in Untersuchungshaft. "Für Herrn Crantz eine Katastrophe", sagt der Hamburger Rechtsanwalt Oliver Meixner. Er ist von der Unschuld seines Mandanten absolut überzeugt. Gemeinsam mit der bekannten Hamburger Strafverteidigerin Leonore Gottschalk-Solger vertritt er die Interessen des Mordverdächtigen.

"Mehrere Zeugen haben Frau Crantz nach der von der Polizei angenommenen Tatzeit gesehen, unter ihnen ein Taxifahrer und eine Frau, die sich hundertprozentig sicher sind", sagt Meixner. Die Zeugin sei an dem Tag gegen 15 Uhr auf einem Weg hinter dem Wohnhaus des Ehepaares Grantz der angeblich Ermordeten begegnet. Sie habe Frau Crantz gegrüßt, diese habe jedoch nicht zurückgegrüßt. Für Monika Grantz habe es einen plausiblen Grund gegeben, sich auf diesem Weg aufzuhalten. Ganz in der Nähe wohne ihre Mutter, die sie an diesem Nachmittag besuchen wollte. Ihren Besuch hatte sie am Vormittag angekündigt.

Wurde die reiche Geschäftsfrau von bisher Unbekannten entführt? Kam sie dabei ums Leben? Musste ihre Leiche verschwinden, um alle Spuren eines Kidnappings zu vertuschen? Und wurde so automatisch der Verdacht auf den Ehemann gelenkt? Polizei und Staatsanwalt schließen dies eindeutig aus. Ebenso einen Selbstmord, ein Unglück oder ein freiwilliges Untertauchen. "Es spricht nichts dafür. Wir haben auch in diese vier Richtungen intensiv ermittelt", sagt der Staatsanwalt.

Seine Anklage fußt auf einer Reihe von Indizien. Crantz habe versucht, die Leitung der Geschäfte seiner Frau sowie ihr Vermögen an sich zu bringen. Am Tag ihres Verschwindens habe er eine Generalvollmacht vorgelegt, die den Namenszug "Monika Crantz" trug. Bei dem Papier habe es sich um eine Kopie gehandelt. Der Namenszug könne gefälscht oder auf die Vollmacht kopiert worden sein.

Monika Grantz war Inhaberin mehrere Fitness-Studios in Hamburg und Lübeck. Nahezu die ganze Familie arbeitet in dem Unternehmen mit. Der älteste Sohn als Geschäftsführer, die Tochter als Angestellte. Mit ihrem Mann lebte Monika Crantz in Gütertrennung. Sie habe ein Vermögen in Millionenhöhe besessen. Er sei von ihr wirtschaftlich abhängig gewesen, ermittelte die Staatsanwaltschaft. Das Motiv zur Tat?

Sein Anwalt hält dagegen: Die Gütertrennung sei damals aus verständlichen Gründen erfolgt: Denn er war mit einer eigenen Baufirma in Konkurs gegangen. Schon seit Jahren sei er der Macher in ihrem Unternehmen gewesen. Er kümmerte sich um die Bank- und Baugeschäfte. Außerdem plante er mit einem Freund den Bau eines eigenen Fitness-Studios. Der Kredit war von der Bank bereits zugesagt. Die Kripo ermittelte: Die seit etwa 25 Jahren verheirateten Eheleute sollen sich auseinandergelebt haben. Am 6. Januar, dem Tag ihres Verschwindens, ließ Monika Crantz sämtliche Geschäftskonten für ihren Ehemann sperren. Gegenüber ihren Kindern äußerte sie, dass sie sich von ihrem Mann bedroht fühle. Und bei einem Anwaltsbüro bat sie für den 8. Januar um einen Termin. Angeblich wollte sie sich scheiden lassen.

Was geschah am 6. Januar? Hartmut Crantz fuhr vormittags mit seinem BMW Cabrio zum Ratzeburger Bahnhof, stieg in den Zug nach Lübeck und mietete dort zwischen 10 und 11 Uhr auf seinen Namen einen silberfarbenen Ford Mondeo Kombi. Mit dem Auto fuhr er zurück nach Ratzeburg, stellte ihn ab und kam kurze Zeit später mit dem eigenen Wagen wieder zu Hause an. Am Nachmittag brachte er die Müllsäcke weg. Am nächsten Tag gab er den Mietwagen in Lübeck wieder zurück, nahm den Zug nach Ratzeburg und stieg am Bahnhof in seinen BMW.

Nach Ermittlungen der Kripo hatte Crantz mit dem Mietwagen eine größere Zahl von Kilometern zurückgelegt. Kripo und Staatsanwalt glauben, dass er die Leiche seiner Frau im Kofferraum des BMW Cabrio transportierte, sie in den Mietwagen umlud, wegbrachte und vergrub. Mehrere groß angelegte Suchaktionen im Kreis Herzogtum Lauenburg, in Niedersachsen und in Mecklenburg-Vorpommern blieben jedoch erfolglos.

Keine verdächtigen Spuren wurden auch bei einer kriminaltechnischen Untersuchung in beiden Fahrzeugen gefunden. Der Ford war in der Zwischenzeit wieder vermietet gewesen, der eigene Wagen gründlich gesäubert. Was bisher fehlt: eine plausible Erklärung des Angeklagten für seine Mietwagen-Aktion.

Auch in den blauen Müllsäcken, die Hartmut Crantz nach dem Verschwinden seiner Ehefrau mit seinem Wagen transportierte, fand die Kripo keinerlei Spuren. Er hatte in den Säcken Müll entsorgt und die Polizei bereitwillig zum Abladeplatz gefahren.

Die bisher einzige Spur: ein kleiner Fleck auf einer Gummi-Matte unter dem Schreibtisch von Hartmut Crantz im Haus am Berkenbusch 34. Ein speziell ausgebildeter Polizeihund erschnüffelte ihn. Der betroffene Teil der Matte wurde ausgeschnitten und ins Labor nach Kiel geschickt. Das Ergebnis liegt offenbar noch nicht vor.

Gab es Auffälligkeiten kurz vor dem spurlosen Verschwinden von Monika Crantz? Nachbarn und Bekannte sagen: Nein! 29. Dezember: Die Eheleute laden Freunde zu einer kleinen Weihnachtsfeier in ihr Haus ein. 3. Januar: Die ganze Familie trifft sich zum Brunch in Lübeck. 6. Januar: Der tödliche Streit? Eine Tat von langer Hand vorbereitet? Eine Affekthandlung? Oder doch ein Verbrechen, mit dem Hartmut Crantz nichts zu tun hat?

6. Januar, 22 Uhr, sechs Stunden nach dem spurlosen Verschwinden: Familienangehörige erstatten Vermisstenanzeige bei der Polizei. Der später als Täter verdächtigte Ehemann verbringt die Nacht zu Hause. Allein.