Am Klang der Becher erkannte der blinde Christian Reinhardt alle Joghurt- Marken - und erntete bei Thomas Gottschalk tosenden Applaus.

Er kann nicht die Blitze der Kameras sehen, die ununterbrochen zucken. Er kann nicht in die staunenden Gesichter der Wartenden blicken, die am Flughafen ihre Hälse nach ihm recken. Er kann nicht die Reporter beobachten, die um einen Platz an seiner Seite rangeln. Meint man.

Doch seine strahlenden Augen sagen etwas anderes. Auch wenn Christian Reinhardt blind ist, scheint es, als sei er sehr wohl in der Lage, sich ein Bild vom Trubel zu machen, der um ihn gemacht wird. Seine Welt besteht seit seiner Geburt aus Stimmen, Geräuschen und Eindrücken, die ihm seine tastenden Hände vermitteln. Sie fügten sich im Lauf der Jahre zu einer Symphonie der Sinne zusammen, die eine schier unglaubliche Fähigkeit schulte - und ihn über Nacht bei zum Fernsehstar machte.

Der 15-Jährige aus Volksdorf hatte bei "Wetten, dass" gewettet, 175 Joghurt-Becher an ihrem Klang zu erkennen. 14,86 Millionen TV-Zuschauer und 2000 in der Böblinger Sporthalle bezeugten, wie Christian Reinhardt locker am Esstisch neben Showmaster Thomas Gottschalk saß, Becher für Becher an sein rechtes Ohr führte, prüfend mit seinen kleinen flinken Fingern auf den Verpackungsboden trommelte und kurz horchte. Souverän landete er zehn Volltreffer.

Tosender Applaus brandete auf, und der sonst so schlagfertige Thomas Gottschalk war für einen Moment sprachlos: Christian Reinhardt hatte allen die Show gestohlen, einem langbeinigen blonden Top-Model (Nadja Auermann), einem weltberühmten Sänger (Paul McCartney) und einem aufstrebenden Tennis-As (Thommy Haas). Er wurde Wettkönig und bewahrte auch noch seine Wettpatin Auermann vor einem Striptease. Hätte Christian verloren, hätte sie die Kleider mit Thomas Gottschalk tauschen müssen.

Doch nach "Wetten, dass" wurde es erst richtig turbulent. 150 Glückwunsch-E-Mails gingen beim ZDF für Christian ein, die Mailbox von Vater Jürgen (37) war voll. Auf der anschließenden Party rissen sich alle um den Jungen mit der Bubi-Frisur. Bei der Rückankunft am Flughafen drängten sich zwölf Kamera-teams, fünf Radiostationen und ein Dutzend schreibende Journalisten, und alle wollten wissen: "Wie biste denn auf so 'ne irre Idee gekommen?"

Ja, wie eigentlich? Christian ist auch gehbehindert. Dreimal täglich muss er Medikamente nehmen, am besten mit Milchprodukten, raten die Ärzte. Also stapeln sich im Hause Reinhardt die Paletten mit Joghurts und Quarkspeisen. "Statt Karten oder Computer spielt Christian mit Joghurt-Bechern", sagt Vater Jürgen, ein Berufssoldat. "Einer unserer Verwandten sagte, dass Christian ins Fernsehen müsse." Im März schickte Mutter Sabine die Bewerbung - mit 80 Bechern. Doch Christian hat sich gesteigert, immer wieder gekratzt, gelauscht und weitere Marken gesammelt. 217 Stück umfasst jetzt seine internationale Kollektion, Freunde brachten aus ganz Europa und Amerika verputzte Joghurts mit.

"Christian, wie machst du das mit den Bechern?" - "Hier", sagt er und drückt mir zwei Becher in die Hand, "fühl mal." Ich fahre über stumpfes Plastik - und merke keinen Unterschied. "Hier", sagt er, "hör mal". Ich höre ein dumpfes Klopfen - und keinen Unterschied. Dann taucht er wieder in die Welt der Töne ein, setzt sich an sein Keyboard. "Er klimpert, bis er ein Stück nachspielen kann", sagt Sabine Reinhardt.

Seit Freitag hat Christian ein neues Lieblingslied: Andrea Bocellis "Time to say Goodbye". Bei den Proben für "Wetten, dass" sang der ebenfalls blinde italienische Barde das Stück "nur für mich", sagt Christian stolz und legt die signierte CD in die Hifi-Anlage. Robert Dunker