Zum 75. Firmen- jubiläum erschien ein Buch über den legendären Reederei-Gründer. Morgen wird in der Börse gefeiert.

Von MATTHIAS SCHMOOCK

Seit 75 Jahren gibt es in Hamburg ein erfolgreiches Familienunternehmen, das alle Stürme der Zeit unbeschadet überstanden hat, aber dabei nie stromlinienförmig war. Die Hamburger kennen die Tankreederei John T. Essberger mindestens dem Namen nach - nun haben Interessierte endlich Gelegenheit, sich in die spannende Familien- und Firmengeschichte zu vertiefen.

Der Hamburger Publizist Svante Domizlaff ist den Spuren des Firmengründers, dessen Nachfahren und den Schiffen gefolgt - sein Buch "John T. Essberger. Eine deutsche Geschichte der Tankschiffahrt" (Koehler-Verlag, 175 Seiten 68 Mark) bündelt fachliche Informationen und gute Unterhaltung und liefert so viele spannende Einblicke. Das reich bebilderte Buch ist auch in allen Abendblatt-Geschäftsstellen erhältlich.

John Leonhard Theodor Essberger (genannt Johnny), 1886 als mittlerer von drei Söhnen eines wohlhabenden Unternehmers geboren, war gebürtiger Engländer und von Jugend an innig mit dem Wasser verbunden. Nach Angaben seiner Witwe Elsa wollte Essberger schon sehr früh Marineoffizier werden, "weil er für sich eine straffe, disziplinierte Erziehung wünschte".

Diese Einstellung machte sich bezahlt - ein Leben lang. Essberger machte rasch Karriere, aus dem Jungen mit den weichen, fast mädchenhaften Zügen wurde binnen kurzer Zeit ein hagerer, energischer Torpedoboot-kommandant: Als kaiserlicher Seeoffizier kämpfte er an den Brennpunkten des Ersten Weltkriegs.

Die Verbundenheit mit anderen Offizieren und die an Bord erlernten Fähigkeiten und Kenntnisse zahlten sich aus: 1924 gründete John T. Essberger mit Marinekameraden eine Tankschiffreederei, die sich schnell zum größten privaten Schifffahrtsunternehmen Deutschlands entwickelte. Sein Lebensmotto war dabei ebenso schlicht wie eindrucksvoll und alles andere als fatalistisch: "So Gott will".

Von den aufstrebenden Nationalsozialisten wurde der Reeder laut Domizlaff "ebenso gefördert wie bekämpft". Zwei Menschen haben dazu beigetragen, dass die kritische Distanz zu den braunen Machthabern schließlich überwog: Essbergers zweite Frau Elsa und sein langjähriger Freund, der Hitler-Gegner Admiral Wilhelm Canaris.

Elsa Essberger war in erster Ehe mit dem jüdischen Fabrikanten und Jagdflieger Johannes Jacob Wolff verheiratet gewesen. Obwohl sie durch ihren tödlich verunglückten Mann mit Hermann Göring bekannt war, machte sie aus ihrer zunehmenden Ablehnung der Nazis keinen Hehl und fand auch öffentlich deutliche Worte. Zwar wurde die Reederei als "NS-Musterbetrieb" ausgezeichnet, parteiintern laut Autor Domizlaff aber auch immer wieder als "Judenbude" beschimpft. John T. Essberger taktierte, ohne sich anzupassen - vor allem im Interesse seiner Angestellten. Er war hamburgischer Staatsrat und Reederverbandsvorsitzender bis 1941, doch am Ende stand auch für die Reederei die Katastrophe. Die gesamte Flotte mit dem blauen "E" auf weißem Grund ging verloren, John T. Essberger, nach Kriegsende bereits im Pensionärsalter, musste sich an den Wiederaufbau machen. Er schickte einen von den Besatzungsmächten verschmähten Seelenverkäufer über den Atlantik und kam so langsam wieder ins Geschäft.

Auf dem Höhepunkt seiner unternehmerischen Arbeiten vereinigte John T. Essberger einige ungewöhnlich gegensätzliche Eigenschaften in sich. Er galt als Gentleman, liebte an Bord aber auch schlichte Auftritte. Bei Geschäftsverhandlungen beherrschte er Smalltalk, im Gespräch mit Angestellten blieb er leutselig. Trotz seiner immensen Geschäftstüchtigkeit war der feinsinnige Kunstsammler stets von Selbstzweifeln geplagt. Ein ehemaliger Mitarbeiter erinnert sich daran, dass John T. Essberger immer so operiert habe, als sei die Reederei faktisch pleite und als dürfe kein Pfennig zu viel ausgegeben werden.

In den 50er-Jahren schien - wie Domizlaff schreibt - "keines der Familienmitglieder in der Lage oder ernsthaft gewillt, die Rolle eines Großreeders zu übernehmen". Die Kräfte des genialen Visionärs, John T. Essberger, ließen in diesem Jahrzehnt stark nach, der kunstsinnige Genießer wurde von Depressionen und Todesahnungen gequält. 1959 starb John T. Essberger in einem Hamburger Krankenhaus.

Zu organischen Krankheiten hatte sich laut Witwe Elsa zuletzt eine "große Traurigkeit" eingestellt. Svante Domizlaff schreibt, dass "nicht nur die körperlichen, sondern auch die seelischen Kräfte des Reedereigründers verbraucht waren".

Ebenso eindrucksvoll wie der Lebenslauf John T. Essbergers sind die Biografien seiner Nachfolger - vor allem der Tochter Lieselotte von Rantzau (1918 bis 1993), die 1955 als Teilhaberin in die Reederei aufgenommen wurde. Ihr gelang es - auch ohne klassische Ausbildung als Schifffahrtskauffrau - die Geschicke des weit verzweigten Unternehmens erfolgreich zu leiten. Ihr Vater hatte ihr einen weisen Ratgeber zur Seite gestellt: den Mitgeschäftsführer Rolf Stödter.

John T. Essberger hatte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten in der Geschichte der Handelsschifffahrt gehört. Doch auch nach dem Tode des Patriarchen steuerte das Unternehmen mit seinem Namen weiter auf Erfolgskurs. Das Abenteuer Großtankerfahrt hatte die Reederei in den 80er-Jahren beendet. Die Flagge mit dem blauen "E" wehte fortan über einer Flotte kleinerer, hochspezialisierter Küstentanker in der Chemikalienfahrt. Ihr Einsatzgebiet sind vornehmlich die Nord- und Ostsee.

Die Gruppe macht inzwischen mit weltweit 1400 Mitarbeitern rund 500 Millionen Mark Jahresumsatz. Geschäftsführende Gesellschafter sind Lieselotte von Rantzaus Söhne Eberhard und Heinrich.

Essbergers Enkel weiten das Geschäftsfeld aus - zum Beispiel durch Aktivitäten in Fernost. Auf der Sietas-Werft sind zurzeit zwei weitere 4500-Tonnen-Tanker im Bau, die von September 2000 an geliefert werden sollen.

1936 hatte der Firmengründer das ehemalige Baursche-Palais an der Palmaille 49 erworben, 1967 wurde es mit einem Bürogebäude zu einem historisch-modernen Ensemble zusammengeführt, in dem die Rantzau-Gruppe heute ihren Sitz hat. Im Gartensaal des Palais befindet sich ein Portal-Relief John T. Essbergers mit den Worten "So Gott will".

Morgen feiern Inhaber und Geschäftsführung in der Börse das Firmenjubiläum mit einem festlichen Abend.