Sie ist die Frau aus Tausendundeiner Nacht: Mehr als zweieinhalb Jahre lang lebte die Schweizerin Denise Zintgraff in einem Harem von König Fahd in Saudi-Arabien.

Denise Zintgraff liebt das Abenteuer. Deshalb hat die unternehmungslustige Schweizerin nicht lange gezaudert, als ihr Anfang der 90er Jahre ein reizvolles Jobangebot unterbreitet wurde. Ein befreundeter Innenarchitekt berichtete der damals 40jährigen, daß eine seiner Kundinnen, eine arabische Prinzessin, jemanden suche, der ihrem Sohn französische Märchen vorläse. "Das klang so abenteuerlich, so verlockend", erinnert sich Zintgraff, "daß ich nicht zögerte, die Prinzessin in einer ihrer Pariser Wohnungen aufzusuchen. Wir fanden uns auf Anhieb sympathisch. Sie fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, für eine gewisse Zeit in Riad zu leben und ihrem Sohn Amir Französisch beizubringen. Ich dachte kurz nach, dann nahm ich das Angebot an."

Ein folgenschwerer Schritt: Zintgraff fliegt nach Riad, sie wird von einer Limousine in den Königspalast chauffiert und bezieht eine hibiskusumrankte Villa in jenem Teil des Palastes, den Männer nicht betreten dürfen.

Leben in Luxus und ohne Kontakt zur Außenwelt

Das Wort "Harem" stammt aus dem Türkischen, es bezeichnet jenen Teil eines Hauses, der in der islamischen Welt den Frauen vorbehalten ist. "Es war wie ein Traum", schildert Zintgraff ihre Eindrücke in ihrem Erinnerungsbuch "Die Frau aus Tausendundeiner Nacht - Mein Leben in einem Harem": "Überall sah man Palmen, Blumen und Springbrunnen. Das Haus war verschwenderisch ausgestattet - die Eßzimmermöbel waren aus massivem Silber, die Fenstergitter arabeskenverziert, überall standen kostbare Blumenvasen und Schalen mit Süßigkeiten."

Ein Paradies? Nur auf den ersten Blick. Für ungewisse Zeit würde Denise Zintgraff jetzt in Einsamkeit und Isolation eintauchen. Sie würde inmitten von Luxus und Prunk leben, aber ohne Verbindung zur Außenwelt, ohne Kontakt zu Männern und - in absoluter Keuschheit.

"Westliche Männer setzen das Wort ,Harem' mit erotischen Abenteuern gleich", erklärt Zintgraff. "Mit dem wirklichen Leben in einem Harem hat das nichts zu tun."

Das hängt mit den strengen Sitten im Reiche König Fahds zusammen. Eine Frau darf in ihrem Wohnbereich nur ihren Ehemann und ihre allerengsten männlichen Verwandten empfangen: den Vater, die Brüder. Eine Frau, die mit einem fremden Mann auf der Straße auch nur ein paar Worte wechselt, wird, wenn sie Pech hat und die Sittenpolizei sie erwischt, ohne viel Federlesens ins Gefängnis geworfen.

Denise Zintgraff bleibt von solchen Erfahrungen verschont. Sie zieht sich in ihren goldenen Käfig zurück und genießt fürs erste die Sorglosigkeit ihres neuen Lebens. Die beruflichen Pflichten sind bescheiden. Den Tag über hat sie frei, am Abend, bevor der sechsjährige Prinz Amir zu Bett geht, steht eine halbe Stunde Vorlesen auf dem Programm. Die ersten Tage in ihrem neuen Domizil verbringt die Gastarbeiterin ausschließlich mit Nichtstun: "Ich nahm duftende Vollbäder, ließ mich von meiner philippinischen Dienerin frisieren, aß Pralinen und hörte Wüstentrommelmusik." Ein orientalisches Idyll - mit Mißtönen. "Am Abend sah ich fern. Vor einigen Stunden hatten die öffentlichen Hinrichtungen stattgefunden. Kurz vor dem Wetterbericht nannte der Nachrichtensprecher in sachlichem Ton die Zahl der Enthauptungen."

Saudi-Arabien - ein Land voller Kontraste. Des Königs Untertanen leben im 20. Jahrhundert, mit westlichem Wohlstand, CNN und einem perfekt organisierten Sozialsystem, zugleich ist die arabische Gesellschaft tief verwurzelt: Namen wie Sigmund Freud oder Karl Marx dürfen in den Schulen nicht erwähnt werden, auf vorehelichen Geschlechtsverkehr steht - nicht anders als vor 1000 Jahren - die Todesstrafe. Die Nation wird als echtes Familienunternehmen geführt: Vom Finanzminister bis zum Außenminister sind alle Schlüsselpositionen mit Verwandten des Königs besetzt. Mehr als 3000 Prinzen hat das Land zu ernähren, sie beziehen fürstliche Apanagen und bilden eine müßiggängerische Clique von allseits verehrten Herrenmenschen - unsagbar reich, unsagbar verwöhnt.

Als verwöhntes kleines Monster erweist sich auch der sechsjährige Amir. Als Denise Zintgraff sich zum erstenmal dem Himmelbett des Prinzen nähert, unterm Arm ein Dutzend Kinderbücher, brüllt der Kleine: "Out of my room!" Die Vorleserin läßt sich von solchen Drohgebärden nicht beeindrucken. Sie setzt sich an den Bettrand und flüstert: "Komm, hilf mir, eine Geschichte auszusuchen." Amir springt aus dem Bett, schleudert die Bücher zu Boden und brüllt: "Verlaß sofort mein Zimmer! Wenn du nicht tust, was ich will, lasse ich dich köpfen!"

Soweit kommt es nicht. Zintgraff bringt den Machtkampf mit Bravour hinter sich. Sie erobert das Herz des Prinzen.

An den langen, brütendheißen Tagen ergibt sich Denise Zintgraff dem Dolcefarniente. Sie nascht Pistazien und Datteln, legt erheblich an Gewicht zu, unterhält sich mit ihren arabischen Freundinnen über Mode, edle Stoffe und luxuriöse Düfte. In den Stunden des Alleinseins wird die Schweizerin von Einsamkeit und Langeweile geplagt: In diesen Stunden findet Zintgraff genügend Zeit, um über die Unterschiede zwischen westlichem und orientalischem Lebensstil nachzudenken. Der Westen sieht den Orient ja bevorzugt durch die Brille seines Vorurteils: Assoziationen von geknechteten Frauen, wüsten Machos und fanatischen Mullahs werden immer wieder gepflegt. Denise Zintgraff hat aber auch die Vorzüge des Morgenlandes kennengelernt: "Der Islam legt ein paar allgemeine Lebensregeln fest. An diese Regeln muß man sich halten, zum Beispiel an die Geschlechtertrennung. Ansonsten aber ist man völlig frei. Jeder wird auf Lebenszeit akzeptiert, wie er ist, mit all seinen guten und schlechten Eigenschaften. Ein Mensch ist faul? Okay, dann soll er eben faul sein. Er hat die Freiheit dazu."

Fasziniert zeigt sich Zintgraff auch vom Zeitbegriff des Orients: "Die Leute wissen in der Regel nicht, wie alt sie sind. Wenn man jemanden fragt: "Wie alt ist diese Frau?" - dann kann man zur Antwort bekommen: "Zwischen 20 und 60."

Die meisten Orientalinnen blicken auf ihre westlichen Schwestern mit einer Mischung aus Neugier und Mitleid herab: "Ich habe immer wieder erlebt, daß sie uns tief bedauert haben", erläutert Zintgraff: "Erstens, weil wir arbeiten müssen, und zweitens, weil wir von unseren Männern verlassen werden können, obwohl wir ihnen Kinder geboren haben. Ein arabischer Mann, so behaupteten sie, würde der Mutter seiner Kinder niemals Schutz und Unterhalt entziehen. In Europa schien ihnen das an der Tagesordnung zu sein."

Aus der Perspektive arabischer Prinzessinnen stellt sich manches anders dar, als von Zintgraff vermutet. "In den Gesprächen mit meinen Gefährtinnen mußte ich feststellen, daß sie von der Welt, aus der ich stammte, herzlich wenig hielten: Paris erschien ihnen arm und schmutzig, Madrid erschien ihnen arm und schmutzig, ganz Europa erschien mehr oder weniger arm und schmutzig."

Lernen von fremder Kultur

Ein Thema spielte in den Haremsgesprächen eine zentrale Rolle: Sex. Mangels realer Auslebbarkeit schossen die Phantasien der Haremsdamen heftig und schwül ins Kraut. "Unentwegt wurde über den großen Abwesenden gesprochen", erinnert sich Zintgraff, "über den Mann."

Als Tagtraum und als Klatschthema war die Fleischeslust in den marmornen Kemenaten des saudischen Königspalastes omnipräsent. Sobald die Prinzessin, Amirs Mutter, ihrem Mann beiwohnte, wußte es der gesamte Hofstaat. Das hing mit der Trennung der Schlafzimmer zusammen. Wollte sich die Prinzessin mit ihrem Gemahl vergnügen, mußte sie vor aller Augen seine Gemächer aufsuchen.

Zweieinhalb Jahre hat die Schweizerin im Harem des Prinzen ausgeharrt. Dann quittierte sie ihren Dienst und kehrte zurück nach Europa. Heute lebt Denise Zintgraff wieder in ihrem Haus auf Ibiza. "Ich möchte meine Zeit in Saudi-Arabien nicht missen", erklärt sie im Rückblick: "Ich habe viel gelernt."

Was konkret? Zintgraff wirft einen Blick auf den alten Johannisbrotbaum vor ihrem Haus: "Ich glaube nicht mehr an die Überlegenheit einer Kultur über die andere. Im Orient ist manches besser, manches schlechter als bei uns. Die Menschen dort haben weniger Rechte, politisch aber sind sie gelassener, zufriedener. Ich habe eine Kultur kennengelernt, die der unseren gewiß nicht gleich ist, aber gleichwertig."