Hamburgs Umgebung wartet südlich der Elbe mit einer einzigartigen Landschaft auf, die stets aufs Neue überrascht. Am besten erkundet man sie zu Fuß. Anima Berten (Fotos) und Jürgen Fredel (Text) haben für die Rundschau einige reizvolle Wanderungen ausgesucht. Sie dauern zwei bis drei Stunden, das hält fit und bringt ein langes Leben. Also, die Stiefel geschnürt, die altgedienten Treter sind die besten, und bringen Sie Muße zum Verweilen mit!

Vor hundert Jahren, im Mai 1899, verschied Baron Alexander von Schulte, Premierleutnant a. D., Erbherr auf Esteburg und Burgmann zu Horneburg. Er war, wie auf seinem Grabstein auf dem Friedhof von Estebrügge zu lesen ist, der "Letzte seines Stammes". Mit Alexander erlosch ein Adelsgeschlecht, das die Geschichte des Alten Landes entscheidend geprägt hat. Der Reichtum und Einfluß der Schultes ist durchaus mit jenem des Geschlechts der Medici in Oberitalien vergleichbar, und was sich dort im 18. Jahrhundert ereignete, passierte nun auch hier: Es gibt sie nicht mehr, die "Medici des Alten Landes".

Die Schultes, von Alters her auch "Schulte von der Lüh(e)" genannt, kamen vermutlich schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts als holländische "Lokatoren" in den Raum zwischen Schwinge und Süderelbe, als Siedlungsunternehmer, die von Erzbischof Albero von Bremen und Heinrich dem Löwen zur Kultivierung der offenen Marsch ins Land gerufen wurden. Man weiß das aber nicht genau. Da sie über längere Zeit ein hohes, das Schulzen- oder Richteramt bekleideten, wurde aus dem Amtsnamen der eigentliche Zuname des Geschlechts.

Der erste Schulte, der uns in den Urkunden begegnet, ist im Jahre 1224 ein gewisser Johann "Schultetes de Lüh", ein Knappe des Erzstifts Bremen. Einer seiner Nachkommen war Gerlach, "Schultheiß von Lu", dessen Sohn Johann 1270 zusammen mit seiner Gemalin Hebele an der Lühe, im heutigen Neuenkirchen, ein Nonnenkloster stiftete. Den frommen Damen scheint es dort aber nicht gefallen zu haben, denn schon 16 Jahre später zog das Kloster zum Geesthang nach Bredenbeck um. Das kleine Dorf wurde daraufhin in Neukloster umgetauft, im Gegen-satz zu dem Kloster in Buxtehude, welches schon 1197 gegründet worden war und folglich das Alte Kloster genannt wurde.

Die Besitztümer der Schultes, die über Jahrhunderte hinweg Gräfe des Alten Landes waren, beschränkten sich nicht auf die Marsch, sondern reichten auf die Geest hinauf bis Daudiek, Sittensen und Bötersheim. Ihr Hauptsitz befand sich aber dort, wo das Flüsschen Aue den Namen Lühe erhält, nämlich in Horneburg. So erklärt sich anscheinend auch ihr ursprünglicher Name. Am Bau der Horneburg (1250-55) waren sie maßgeblich beteiligt, und sie trugen den Titel Burgmann bis zuletzt. Als die Horneburg an Bedeutung verlor, erbaute sich eine Linie des Geschlechts als Stammessitz in den Jahren 1609-11 eine neue Burg in Moorende bei Eschete, dem heutigen Estebrügge: die Esteburg.

Bauherr war Diedrich von Schulte, ebenfalls Gräfe und natürlich Burg-Mann und Erbherr zu Horneburg. Diedrich war der einzige männliche Erbe seiner Linie und besaß neben großen Ländereien ein beträchtliches Barvermögen. Das brauchte er auch, denn der Bau seiner Burg gestaltete sich wegen des unsicheren Untergrundes schwierig und verschlang Unsummen. Deshalb soll er die Rechnungen auch, so berichtet der Chronist Luneberg Mushard, "verbrandt haben, damit die Nachkommen nicht sehen möchten, wie groß Geld daran verwendet worden". Doch als die Burg fertig war, galt sie lange Zeit als der prächtigste Herrensitz in den Herzogtümern Bremen und Verden.

Nachdem Sophie, die Witwe des letzten Schulte, die Burg mitsamt großer Teile des Gutes im Jahre 1911 an einen Privatmann verkauft hatte, zerfiel die Pracht nach und nach. Die erhaltenen Reste lassen das einstige Aussehen noch erahnen, wovon Sie sich anlässlich unseres heutigen Wandervorschlags überzeugen können. Die kleine Rundtour, mit knapp sieben Kilometern kaum mehr als ein Spaziergang, führt von Estebrügge aus auf dem Estedeich durch Moorende zu den Moorwettern; durch ein geschlossenes Obstanbaugebiet gelangen Sie anschließend zur Esteburg, womit fast schon wieder der Ausgangspunkt erreicht ist. Nach Estebrügge gelangen Autofahrer von Harburg aus am bequemsten über den Obstmarschenweg: Nach der Überquerung der Este in Hove biegen Sie sofort links in Richtung Buxtehude und nach wenigen Metern links zur Ortsmitte von Estebrügge ab. Normalerweise bieten in Estebrügge die Parkbuchten rund um die Kirche St. Martin ausreichend Gelegenheit, das Fahrzeug abzustellen.

Bei dieser Gelegenheit sollten Sie der Kirche einen Besuch abstatten, ein fünfachsiger Backsteinbau in feinstem Barock, überspannt von einer mit Sternen bemalten hölzernen Segmentbogentonne. St. Martin wurde im Jahre 1700 errichtet, doch sind in das festliche Innere geschickt Stücke des Vorgängerbaus, zum Beispiel das Altarretabel, integriert. Die sehenswerte Bronzetaufe von Meister Eglert stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, und der herrliche Orgelprospekt (1702) ist das Werk Arp Schnitgers.

Kurios der an der Westseite stehende Glockenturm mit den aufgesetzten Uhrtürmchen: Seine bizarre Drehung um 36 Grad in Sonnenrichtung war 1640 von dem Zimmermann Gerdt von der Born aus Königreich nicht beabsichtigt; sondern ist das Resultat des nachgebenden Untergrundes. Ein besonders eindrucksvoller Blick auf den Kirchplatz öffnet sich vom Steinweg aus, denn dort schiebt sich noch ein monumentaler Torbogen, das 1895 errichtete Denkmal für die Gefallenen des Krieges von 1870/71, zwischen Kirche und Betrachter. Dann erblicken Sie die Büsten von Kaiser Wilhelm I und Friedrich III, während auf der Rückseite diejenigen von Bismarck und Moltke sorgenvoll auf die Kirche und die Statik ihres Glockenturms gerichtet sind.

Über den Steinweg gelangen Sie zur Brücke über die Este, die dem seit 1200 aus den Urkunden bekannten "Eschete" seinen heutigen Namen gegeben hat. Solange die Menschen zurückdenken können, gab es hier eine Brücke. Sie wird in einer weiteren Urkunde aus dem Jahre 1331 erwähnt, muss aber schon früher existiert haben, denn bereits 1261 war der Ort als Estebrügge eingetragen. Sie bot bis 1873 die letzte Möglichkeit, die Este vor Erreichen der Elbe trockenen Fußes zu überqueren. Früher überspannten zwei Klappen nach Holländer Art den Fluß. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Konstruktion durch eine Drehbrücke ersetzt.

Am Ende der Brücke, auf der rechten Esteseite, treffen Sie auf das schöne Haus von Johan Hinrich Gade aus dem Jahre 1733, dessen Besitzer - das Gebäude steht unter Denkmalschutz - mit der Restaurierung nicht so recht vorankommt. Hier biegen Sie rechts auf den Estedeich in Richtung Buxtehude ab. Jetzt sind Sie auch schon in Moorende. Hinter dem Gasthof "Krug-Haus" befindet sich die Anlegestelle der Barkasse "Plumslucker", die Estefahrten zwischen Cranz und Buxtehude durchführt. Wenn Sie jetzt nach links blicken, erhebt sich über die Obstbäume das massive Gebäude der Esteburg. Man benötigt für den Wanderweg auf dem Deich keine historische oder sonst eine Legitimation: Die Route ist malerisch und zählt zum Feinsten, das man im Alten Land durchwandern kann. Es sind nur etwa zweieinhalb Kilometer durch Moorende, aber das Panorama, zu beiden Seiten abwechselnd vom Fluss und von Obstplantagen begrenzt, durchsetzt von einigen Weiden und einer üppigen Vegetation, ist unvergleichbar.

Am Ortsausgang von Moorende gehen Sie vor den Moorwettern links auf dem Hinterdeich direkt in das Obstanbaugebiet hinein. Zahlreiche Siele, an den Rändern dicht bewachsen, säumen den Weg. Nach etwa anderthalb Kilometern führt die Route hinter einer Schutzhütte links durch die Plantagen der Zweiten Meile. Äpfel, Birnen, Pflaumen, soweit das Auge reicht.

Von rechts wird dann ein breiter und abgesperrter Wirtschaftsweg auf unsere Route treffen, welche nach einigen Metern links auf ein großes Wirtschaftsgebäude zuläuft: auf das Hofgebäude der Esteburg. Hier befand sich das bereits 1607 errichtete Vorwerk, eine dreischiffige Scheune nach Altländer Vorbild, die zwölf hoch beladenen Erntewagen Platz bot. Das Gebäude ist leider abgebrannt. Hinter der Scheune, der Weg schwenkt kurz nach rechts und gleich wieder links auf die Este zu, erreichen Sie den Zugang zur alten Esteburg: Eine verfallene Brücke, dahinter ein kleines Torhaus, unter dessen Bogen das von zwei in Sandstein gehauenen Rittern flankierte Eingangsportal der Burg auftaucht, mehr ist nicht erhalten. Die Grundfesten des fast quadratischen Gebäudes stehen noch, und einige Eckbossen zeugen noch von seinem wehrhaften Charakter. Die Esteburg war von einem tiefen Wassergraben umschlossen und besaß einen 300 Meter langen Fluchttunnel zur Este. Der ist inzwischen zugeschüttet, und auch die wertvolle Einrichtung, etwa die des Rittersaals, wurde ein Opfer der bäuerlichen Nutzung des Gutes. Zwischen dem Brückenhaus und dem Portal befand sich ein Garten. Ein großes Rondell war von Diedrich, der in Marburg, Wittenberg und Helmstedt studiert hatte, mit antikisierenden Figuren aus Sandstein ausgestattet worden.

Der Weg, inzwischen zur Straße geworden, läuft nun auf die Anlegestelle des "Plumsluckers" zu, und in wenigen Minuten sind Sie wieder an der Estebrücke. Hier gingen einst diverse Bierbrauer und Weinbrenner ihren Geschäften nach, eine Tradition, die heute von vielen Estebrügger Gaststätten gepflegt wird.