Biologische Waffen sind kein Science-Fiction-Horror mehr: 17 Länder arbeiten weltweit daran, im Internet gibt es Bastelanleitungen und erstmals trafen sich jetzt Forscher, um über die Gefahr von Bio-Terrorismus zu diskutieren.

Von DELIA WILMS

Das Schweigen der Forscher wird allmählich gebrochen. Jahrelang wurden die Risiken von biologischen Waffen totgeschwiegen - aus Angst, die Leute auf dumme Gedanken zu bringen.

Doch inzwischen gibt es erste Anleitungen zum Basteln von Biobomben im Internet. Die Bedrohung der Verbreitung von Viren durch Terroristen ist zu groß geworden und der Schutz der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet. Erstmals haben sich in der vergangenen Woche Wissenschaftler, Militär- und Kriminalexperten im kanadischen Montreal zu einem Symposium zusammengefunden, um über "Bioterrorismus" und die Möglichkeit von Angriffen auf Nutzpflanzen zu diskutieren. Auch die Spannungen zwischen China und Taiwan sowie Indien und Pakistan geben dem Thema eine traurig aktuelle Note. Von den meisten der beteiligten Länder ist bekannt: Sie experimentieren mit Biowaffen.

Und deren Gefahr steht der herkömmlicher Bomben in nichts nach. Im Gegenteil: Wenn heute ein Virus wie das Pockenvirus mutwillig zum Beispiel in einem U-Bahn-Tunnel freigesetzt wird, dann können sich innerhalb kürzester Zeit Tausende von Menschen durch Einatmen der Luft mit der Krankheit infizieren. Da die ersten Symptome meist erst Tage später auftreten, sind Infizierte in der Zwischenzeit mit unzählig vielen Personen in Kontakt gekommen, die sich ebenfalls angesteckt haben könnten und nun wiederum das Virus weitergeben. "Wenn man bedenkt, dass die Menschen innerhalb von 24 Stunden um die ganze Welt reisen können, ergibt sich ein Horrorszenario ohnegleichen", sagt James M. Hughes, Direktor des National Center For Infectous Diseases, Centers For Disease Control And Prevention (CDC), Atlanta, USA.

Die Krankenhäuser wären nicht vorbereitet

Dass die Krankenhäuser auf so einen Notfall nicht eingerichtet sind, daran sind sich alle Experten einig. Da bisher kaum ein Arzt mit diesen Virenerkrankungen zu tun hatte, würden die Symptome nicht sofort damit in Verbindung gebracht werden. Durch Fehldiagnosen kann sich die Anzahl der Ansteckungen weiter erhöhen und das Krankenhauspersonal wäre ebenfalls akut gefährdet. Die Impfung gegen Pocken wurde in den USA 1972 gestoppt. Die derzeitigen Reserven langen bei weitem nicht aus, um eine Impfung der Gesamtbevölkerung der USA durchzuführen. Falls das Virus manipuliert wurde, ist es ohnehin denkbar, dass eine Impfung wirkungslos bleibt.

17 Länder experimentieren zur Zeit mit biologischen und chemischen Kampfstoffen, vermutet das amerikanische Verteidigungsministerium. Dazu gezählt werden Russland, Ägypten, Südafrika, Israel, Iran, Irak, Lybien, Syrien, China, Taiwan, Vietnam, Laos, Kuba, Bulgarien, Indien, Süd- und Nordkorea. In den 70er- Jahren argwöhnten die amerikanischen Behörden bereits, dass die Sowjetunion über Labore verfügte, in denen mit biologischen Waffen geforscht wurde. Aber erst 1989, als sich der russische Forscher Wladimir Paschenick in die USA absetzte, hatte man Gewissheit. 1991 durfte ein westliches Team einige Labore inspizieren und war überrascht, ein derart großes Biowaffenprogramm vorzufinden.

Im Irak wurden die internationalen Experten ebenfalls fündig. Trotzdem glaubt man, dort längst nicht alle Labore gefunden zu haben. Es wird vermutet, dass einige Forschungsstätten inzwischen mobil sind, um nicht mehr geortet werden zu können.

Nach dem Anschlag mit dem Nervengas Sarin der Aumsekte 1995 in der Tokioer U-Bahn, bei dem es zwölf Tote und über 5000 Verletzte gab, stellte sich heraus, dass die Sekte bereits mit Botulismus- und Milzbrand-Bakterien experimentiert hatte. Es wird angenommen, dass die Sekte bereits einige kleine Versuche an Menschen durchgeführt hatte.

Die Forscher wissen, dass es heute sehr einfach und billig ist, eine biologische Waffe herzustellen. Bei Bakterien braucht man lediglich den Keimstamm, sie wachsen zu lassen ist einfach. Bei einem Virus ist das schwieriger. Gefährliche Viren sind schwerer zu beschaffen, denn sie werden in den Laboren unter höchster Sicherheitsstufe gehalten. Dieses Virus dann so zu behandeln, dass es zu einem Aerosol (Luft, die feste oder flüssige Schwebstoffe enthält) wird und damit in der Luft übertragbar, ist die Herausforderung. Diese Vorgänge müssen unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen geschehen, um versehentliche Infektionen zu vermeiden. Experten halten es aber für machbar. CDC-Präsident James M. Hughes meint: "Ein Anschlag mit einer biologischen oder chemischen Waffe war bisher als sehr unwahrscheinlich eingestuft worden, aber jetzt scheint es sehr möglich zu sein. Viele Kollegen glauben, dass es nicht mehr eine Frage ist ob, sondern wann solch ein Anschlag passieren wird.

64 Menschen starben durch ein Milligramm Bakterien

2. April 1979: In der sowjetischen Stadt Sverdlosk (heute Ekaterinburg) traten plötzlich Milzbrandfälle auf. Betroffen davon waren 94 Menschen, mindestens 64 starben. Die sowjetische Regierung behauptete, dass die Erkrankung auf verseuchtes Fleisch zurückzuführen sei. Erst 1992 gab Präsident Jelzin zu, dass die Milzbranderkrankungen auf eine versehentliche Freigabe von Anthrax-Bakterien aus den Forschungslabors zurückging. Ein amerikanisches Forschungsteam, das später vor Ort den Vorfall nachvollziehen wollte, kam zu dem Schluss, dass ungefähr eine Minute lang die verschwindend geringe Menge von einem Milligramm Anthrax-Bakterien ausgetreten sein musste. Selbst in 50 km Entfernung starben noch einige Tiere an Milzbrand. Der Wind wehte die gefährlichen Keime zum Glück von der nahe gelegenen Stadt fort, sonst wären hier mehr Todesopfer zu beklagen gewesen.

Auch die Verbindung Biowaffen und Gentechnologie macht von sich reden. Bereits im Zweiten Weltkrieg versuchten Deutsche und Japaner ethnische Unterschiede im Genmaterial zu finden, um eine Waffe zu schaffen, die andere Rassen tötet. In den 50er-Jahren experimentierte die USA damit, das durch Pilze verursachte Valley-Fieber auf Afro-Amerikaner zuzuschneiden, weil diese zehnmal häufiger daran starben als Weiße. In diese Richtung forschte in den 80er-Jahren auch das südafrikanische Apartheid-Regime.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit ist eine Bedrohung herangewachsen, deren Ausmaß nicht abzuschätzen ist. Keiner weiß, wie die Sicherheitsvorkehrungen in den verschiedenen Ländern gehandhabt werden. Ein russisches Labor mit 30 Gebäuden in Novosibirsk, dass Anfang der 90er-Jahre noch 4000 Angestellte beschäftigte, und dort mit Pocken-, Ebola-, Marburg-Viren und anderen Erregern von hämorrhagischen Fiebern arbeitete, wurde im Herbst 1997 von einem amerikanischen Forschungsteam halb leer vorgefunden. Eine Hand voll Wächter bewachte die Gebäude. Die russischen Forscher hatten ihrem alten Arbeitgeber den Rücken gekehrt, weil sie dort schlecht oder gar nicht bezahlt wurden. Wo und für wen sie inzwischen arbeiten, kann niemand sagen.